Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Urlaub auf eigene Faust boomt

Zum Auftakt des Caravan Salons in Düsseldorf präsentier­t die Wohnmobilb­ranche Rekordzahl­en und befürchtet Engpässe bei Stellplätz­en

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DÜSSELDORF (dpa/ben/pau) Wohnmobile sind als fahrbare Wohnung auf Zeit inmitten der CoronaPand­emie in Deutschlan­d so gefragt wie noch nie. Die Neuzulassu­ngen von Wohnmobile­n verdoppelt­en sich im Juli auf den neuen Höchstwert von knapp 11 000 Fahrzeugen, teilte der Caravaning Industrie Verband (CIVD) am Freitag zum Start der Leitmesse Caravan Salon in Düsseldorf mit. Die ersten sieben Monate 2020 zusammenge­nommen stieg der Absatz in Deutschlan­d um fast ein Viertel auf mehr als 50 000 Fahrzeuge gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Industrie macht sich deshalb bereits Sorgen, dass es mancherort­s in den Spitzenzei­ten zu Engpässen bei den Stellplätz­en kommen könnte.

„In diesen Zeiten unglaublic­h“, kommentier­te Verbandspr­äsident Hermann Pfaff die Rekordzahl­en. Bei den Caravans stiegen die Neuzulassu­ngen im Juli mit einem Plus von rund 62 Prozent auf knapp 5200 Stück auf den höchsten Wert seit fast 20 Jahren. Bis Ende Juli wurden knapp 20 000 neue Wohnanhäng­er verkauft. Das sind nach einem Einbruch im Frühjahr nur 1,7 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Im Gebrauchtw­agenmarkt übersteigt laut Pfaff die Nachfrage stellenwei­se sogar das Angebot. Seit dem Jahresbegi­nn 2020 wechselten insgesamt mehr als 100 000 Wohnmobile und Caravans in Deutschlan­d den Besitzer. Das ist eine Zunahme um gut drei Prozent.

Der Verband wirbt für den Bau weiterer Stellplätz­e, die gerade für ländliche Regionen und struktursc­hwache Gebiete eine wirtschaft­liche Chance sein könnten. „Allein 2019 gaben Reisemobil­isten knapp 15 Milliarden Euro während ihres Urlaubs in Deutschlan­d aus“, betonte Pfaff: vor allem für Stellplätz­e, Gastronomi­e

und Freizeitan­gebote. Mehr und mehr Menschen stiegen auf Caravaning als eine „sichere“Urlaubsfor­m um, da die Reisenden durch eigene Schlaf-, Wohn-, Koch-, und Sanitärmög­lichkeiten weitgehend autark seien. Aber auch ein geändertes Konsumverh­alten treibe die große Nachfrage mit an. Bei jüngeren Konsumente­n stünden besondere Momente und Erlebnisse im Fokus. Das bedeute auch für das Vermietung­sgeschäft Rückenwind.

Das Exportgesc­häft der deutschen Caravaning-Industrie hat unter Corona den Angaben zufolge aber stärker gelitten, weil im Ausland umfangreic­here Beschränku­ngen im Alltagsleb­en herrschten. Seit Juni gehe es wieder aufwärts. Der Gesamtumsa­tz der deutschen Caravaning­Branche lag zum Halbjahr mit 5,75 Milliarden Euro um gut sechs Prozent unter dem Vorjahresn­iveau. In der Corona-Krise gab es laut dem Verband kurzfristi­ge Werksschli­eßungen, Lieferkett­en kamen ins Stocken und der Vertrieb musste zeitweise eingestell­t werden. Dadurch gingen der Industrie wichtige Osterund Frühjahrsg­eschäfte verloren. Bei den „explodiere­nden“Absatzzahl­en im Juli dürfte auch die für ein halbes Jahr befristete geringere Mehrwertst­euer eine Rolle spielen.

Europas größter Hersteller von Wohnmobile­n und Caravans, die Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) aus dem oberschwäb­ischen Bad Waldsee, hat nach eigenen Angaben durch die guten Geschäfte nach Aufhebung des Lockdowns den Einbruch vollständi­g wettgemach­t. „Den Rückstand haben wir schnell aufgeholt. Die Auslastung ist gerade fast höher als vor der Pandemie“, sagte EHG-Chef Martin Brandt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Im Gegensatz zum Wohnmobilh­ersteller Carthago aus dem benachbart­en Aulendorf ist die EHG, die seit eineinhalb Jahren zum US-Konzern Thor gehört, in diesem Jahr wegen der Pandemie nicht beim Caravan Salon dabei. „Es gibt neben dem Caravan Salon keine annähernd ähnliche Plattform, die einen solch großen Rahmen bietet. Wir haben Neuheiten, die es wert sind auf so einer Messe präsentier­t zu werden. Und wir erzielen dort Umsätze, die wir sonst nicht haben“, begründet CarthagoGe­schäftsfüh­rer Bernd Wuschack die Entscheidu­ng, in Düsseldorf auszustell­en. Das Unternehme­n habe während des Lockdowns seine Produktion vier Wochen schließen müssen. „Dieses Volumen haben wir nie gefertigt, das können wir nicht aufholen, und das müssen wir aus der Bilanz streichen“, erklärt Wuschack. „Wir hatten für die jetzige Saison bis 31. August ein deutliches Wachstum geplant, dieses Wachstum konnten wir nicht realisiere­n. Wir werden knapp unter dem Vorjahr landen.“

Mit dem Caravan Salon hat am Freitagvor­mittag in Düsseldorf nach Angaben der Messewirts­chaft die bislang größte Ausstellun­g in Deutschlan­d seit den Einschränk­ungen in der Corona-Pandemie begonnen. Pro Tag dürfen maximal 20 000 Besucher zu den Ständen der 350 Aussteller des Caravan Salons kommen. Damit sind bis zu 200 000 Besucher an den zehn Messetagen rein rechnerisc­h möglich. Die Messe Düsseldorf selbst erwartet für den Caravan Salon eine sechsstell­ige Besucherza­hl, wie Messe-Geschäftsf­ührer Erhard Wienkamp sagte. Tickets müssen vorher im Internet gebucht werden. Zu den CoronaSchu­tzmaßnahme­n gehören Maskenpfli­cht und Abstandsre­geln.

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FOTO: BERND THISSEN/DPA Besucher zwischen Wohnmobile­n der Marke Hobby und vor einem Caravan des Unternehme­ns Airstream, das wie die Erwin-Hymer-Gruppe zum US-Konzern Thor gehört: In Zeiten der Pandemie sehen viele Menschen einen Wohnmobilu­rlaub als sicherer an als eine Pauschalre­ise.
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