Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Stillstand für den Fortschritt
An mehreren Stellen in Ravensburg herrscht derzeit Stillstand. Es gibt Hoffnung, dass sich das bald ändern könnte. Zuvorderst gilt das für das Rinker-Areal, das größte Konversionsgebiet von Gewerbe zu Wohnen in der Geschichte der Stadt. Etwa 300 neue Wohnungen entstehen hier auf drei Hektar im Ravensburger Osten. Der geplante Baubeginn wird sich nach dem Abriss der alten Industriehallen am Ende wohl um zwei Jahre auf Herbst 2021 verschieben. Dafür gibt es Gründe: Corona, aber auch die Komplexität der Aufgabe, vor allem was die Planungen und Anforderungen angeht. Denn zukunftsweisend soll werden, was hier entsteht. Dass das nicht im Hauruck-Verfahren bewältigt werden kann, ist nachvollziehbar. Und doch fehlen damit nach wie vor dringend benötigte neue Wohnungen in Ravensburg.
Vielleicht gibt es demnächst ja zumindest ein paar davon im Weingartener Hof. Das markante und denkmalgeschützte Gebäude an der Ecke Kirchstraße/Herrenstraße, das lange Zeit Teile der Stadtverwaltung beherbergt hat, steht jetzt seit fast drei Jahren leer. Nun könnte es eine Lösung in Sachen Nachmieter geben. Wenn man Baubürgermeister Dirk Bastin zwischen den Zeilen richtig interpretiert, könnte es auf einen Mix aus Wohnen und Dienstleistung hinauslaufen. Eine bauhistorische Untersuchung, die jetzt beginnt, könnte den Weg dafür ebnen. Aber eines ist sicher: Auch hier wird der Eigentümer am Ende noch mit vielen Planungsfragen konfrontiert werden: Der Denkmalschutz redet mit, und die Anforderungen, die sich aus dem modernen Brandschutz ergeben, haben schon manchen Investoren an anderen Stellen schlaflose Nächte bereitet.
Diese Themen dürften sicher auch beim WLZ-Gebäude eine Rolle spielen. Auch hier tut sich seit Jahren nichts. An dem Haus hinter dem Ravensburger Bahnhof ist erkennbar, dass der Zahn der Zeit weiter an ihm nagt. Das ist insbesondere wegen der historischen Bedeutung des Gebäudes für die Stadt bitter. Das frühere Depot der Württembergischen Warenzentrale wurde im Zweiten Weltkrieg Auslieferungslager mit Lebensmittelrationen für alliierte Kriegsgefangene. Es stand dadurch unter dem Schutz des Internationalen Roten Kreuzes. Die Dachseiten wurden mit dem Roten Kreuz und dem Schweizerkreuz bemalt, sodass Kampfpiloten schon von Weitem erkennen konnten, dass sich hier eine Hilfseinrichtung befindet. Die Westmächte wurden zudem über die Aktivitäten in Ravensburg unterrichtet mit der Bitte, von Fliegerangriffen abzusehen. Das gilt als ein Grund dafür, warum Ravensburg weitgehend von Bombardierungen verschont blieb. Seit 2011 ist das Bauwerk Kulturdenkmal.
Der Eigentümer wollte dort ursprünglich ein Apartmenthotel einrichten. 2016 sollte es losgehen. Inzwischen gibt es mehrere neue oder fast fertiggestellte Hotels in der Stadt, sodass kaum noch jemand glaubt, dass es bei diesen Plänen bleiben wird. Wohnungen kann es in dem Komplex allerdings nicht geben, er liegt in einem reinen Gewerbegebiet. Ob sich an dieser Stelle zeitnah überhaupt etwas bewegt, darf bezweifelt werden.
Manchmal braucht es auch den Stillstand für den Fortschritt: Zumindest gilt das für die Südbahn. Die Strecke zwischen Ravensburg und Friedrichshafen wird mit Schulbeginn gesperrt. Es beginnen die Arbeiten am letzten Bauabschnitt der Elektrifizierung. Im Dezember 2021 sollen zwischen Ulm und dem See die ersten Züge mit Elektroantrieb rollen.
Ihnen ein schönes Wochenende, gerne auch mit etwas Stillstand zur Erholung.