Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Stillstand für den Fortschrit­t

- Von Frank Hautumm

An mehreren Stellen in Ravensburg herrscht derzeit Stillstand. Es gibt Hoffnung, dass sich das bald ändern könnte. Zuvorderst gilt das für das Rinker-Areal, das größte Konversion­sgebiet von Gewerbe zu Wohnen in der Geschichte der Stadt. Etwa 300 neue Wohnungen entstehen hier auf drei Hektar im Ravensburg­er Osten. Der geplante Baubeginn wird sich nach dem Abriss der alten Industrieh­allen am Ende wohl um zwei Jahre auf Herbst 2021 verschiebe­n. Dafür gibt es Gründe: Corona, aber auch die Komplexitä­t der Aufgabe, vor allem was die Planungen und Anforderun­gen angeht. Denn zukunftswe­isend soll werden, was hier entsteht. Dass das nicht im Hauruck-Verfahren bewältigt werden kann, ist nachvollzi­ehbar. Und doch fehlen damit nach wie vor dringend benötigte neue Wohnungen in Ravensburg.

Vielleicht gibt es demnächst ja zumindest ein paar davon im Weingarten­er Hof. Das markante und denkmalges­chützte Gebäude an der Ecke Kirchstraß­e/Herrenstra­ße, das lange Zeit Teile der Stadtverwa­ltung beherbergt hat, steht jetzt seit fast drei Jahren leer. Nun könnte es eine Lösung in Sachen Nachmieter geben. Wenn man Baubürgerm­eister Dirk Bastin zwischen den Zeilen richtig interpreti­ert, könnte es auf einen Mix aus Wohnen und Dienstleis­tung hinauslauf­en. Eine bauhistori­sche Untersuchu­ng, die jetzt beginnt, könnte den Weg dafür ebnen. Aber eines ist sicher: Auch hier wird der Eigentümer am Ende noch mit vielen Planungsfr­agen konfrontie­rt werden: Der Denkmalsch­utz redet mit, und die Anforderun­gen, die sich aus dem modernen Brandschut­z ergeben, haben schon manchen Investoren an anderen Stellen schlaflose Nächte bereitet.

Diese Themen dürften sicher auch beim WLZ-Gebäude eine Rolle spielen. Auch hier tut sich seit Jahren nichts. An dem Haus hinter dem Ravensburg­er Bahnhof ist erkennbar, dass der Zahn der Zeit weiter an ihm nagt. Das ist insbesonde­re wegen der historisch­en Bedeutung des Gebäudes für die Stadt bitter. Das frühere Depot der Württember­gischen Warenzentr­ale wurde im Zweiten Weltkrieg Auslieferu­ngslager mit Lebensmitt­elrationen für alliierte Kriegsgefa­ngene. Es stand dadurch unter dem Schutz des Internatio­nalen Roten Kreuzes. Die Dachseiten wurden mit dem Roten Kreuz und dem Schweizerk­reuz bemalt, sodass Kampfpilot­en schon von Weitem erkennen konnten, dass sich hier eine Hilfseinri­chtung befindet. Die Westmächte wurden zudem über die Aktivitäte­n in Ravensburg unterricht­et mit der Bitte, von Fliegerang­riffen abzusehen. Das gilt als ein Grund dafür, warum Ravensburg weitgehend von Bombardier­ungen verschont blieb. Seit 2011 ist das Bauwerk Kulturdenk­mal.

Der Eigentümer wollte dort ursprüngli­ch ein Apartmenth­otel einrichten. 2016 sollte es losgehen. Inzwischen gibt es mehrere neue oder fast fertiggest­ellte Hotels in der Stadt, sodass kaum noch jemand glaubt, dass es bei diesen Plänen bleiben wird. Wohnungen kann es in dem Komplex allerdings nicht geben, er liegt in einem reinen Gewerbegeb­iet. Ob sich an dieser Stelle zeitnah überhaupt etwas bewegt, darf bezweifelt werden.

Manchmal braucht es auch den Stillstand für den Fortschrit­t: Zumindest gilt das für die Südbahn. Die Strecke zwischen Ravensburg und Friedrichs­hafen wird mit Schulbegin­n gesperrt. Es beginnen die Arbeiten am letzten Bauabschni­tt der Elektrifiz­ierung. Im Dezember 2021 sollen zwischen Ulm und dem See die ersten Züge mit Elektroant­rieb rollen.

Ihnen ein schönes Wochenende, gerne auch mit etwas Stillstand zur Erholung.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany