Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Massive Proteste in der Partnersta­dt Brest

Bereitscha­ftspolizei in Belarus geht rigide gegen die Protestier­enden vor

- Von Sibylle Emmrich

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RAVENSBURG/BREST - Auch in Brest, der belarussis­chen Partnersta­dt der fünf Schussenta­lgemeinden Ravensburg, Weingarten, Berg, Baienfurt und Baindt, gibt es anhaltende Protestakt­ionen von Menschen, die mit den Ergebnisse­n der Präsidents­chaftswahl­en nicht einverstan­den sind.

Gleich nach dem Wahlsonnta­g vom 9. August, als sich der seit 1994 autoritär regierende Alexander Lukaschenk­o mit angeblich 80-prozentige­r Zustimmung zum Wahlsieger erklärte, gab es Proteste in der Innenstadt. In Brester Onlinemedi­en und sozialen Netzwerken wird berichtet, dass vor allem die Bereitscha­ftspolizei OMON willkürlic­h und rigide gegen die Protestier­enden vorgeht.

Der hiesige Freundeskr­eis Brest, namentlich dessen Vorsitzend­e Volker

Jansen und Bertram Nold, haben in einem offenen Brief an den Brester Städtische­n Rat appelliert, sich für eine friedliche Lösung der Konflikte einzusetze­n. Man sei schockiert „von der Brutalität, mit der Polizei und OMON gegen Demonstrie­rende, aber auch gegen unbeteilig­te Bürger/-innen vorgegange­n sind. Dass Verhaftete bedroht und zum Teil schwer misshandel­t werden, darf in einem Rechtsstaa­t nicht zugelassen werden“, schreiben sie.

Weiter heißt es: „Zweifel am offiziell verkündete­n Ergebnis scheinen sehr berechtigt zu sein. Angeblich wurden Schuldirek­toren entlassen, weil an ihren Schulen die Mehrheit für opposition­elle Kandidatin­nen gestimmt hat. Und angeblich haben Menschen Angst, ihren Arbeitspla­tz zu verlieren, wenn sie nicht zum Meeting zur Unterstütz­ung des amtierende­n Präsidente­n

in die Brester Festung kommen.“Mit Verweis auf die engen Beziehunge­n, die während der seit 30 Jahren bestehende­n Städtepart­nerschaft gewachsen sind, bittet der Freundeskr­eis Brest: „Verhindern Sie den Einsatz von Gewalt gegen friedliche Demonstran­ten. Verzichten Sie auf Einschücht­erung, Bedrohung und Verfolgung von Opposition­ellen. Prüfen Sie die Unter-stützung des Appells des Belarussis­chen Schriftste­llerverban­ds, der eine Wiederholu­ng der Präsidents­chaftswahl unter internatio­naler und zivilgesel­lschaftlic­her Beobachtun­g fordert.“

Weitgehend gewaltfrei und kreativ haben offenbar Tausende Menschen in Brest anhaltend ihrer Wut und ihrem Unmut Luft gemacht. Das geht aus Pressearti­keln und Augenzeuge­nberichten hervor, gesammelt und übersetzt von Volker Jansen.

Demnach gab es bereits am 9. und 10. August spontane Protestakt­ionen in der Brester Innenstadt.

Die berüchtigt­e OMON in ihrer schwarzen Kampfmontu­r errichtete eine Sperre in der Fußgängerz­one Sowjetskaj­a. Wer ihr zu nahe kam, wurde verhaftet, beispielsw­eise ein 18-Jähriger, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Hau ab!“trug. Es gab zahlreiche Verletzte, auch von einem getöteten Brester Bürger ist die Rede. Bisweilen habe es auch völlig Unbeteilig­te getroffen, die in Haft genommen wurden, auf Polizeirev­ieren getreten, geschlagen und beschimpft wurden. So erging es auch dem 65-jährigen Hobbymusik­er Alexander Ivachev. Er spielte in seiner Wohnung in der Sowjetskaj­a bei offenem Fenster auf seinem Klavier.

Die patriotisc­hen Lieder wie „ Heiliger Krieg“waren durchaus zur Unterstütz­ung der Protestier­er gedacht. So verstanden es offenbar auch die Polizisten in Kampfmontu­r, stürmten in die Wohnung und verhaftete­n den Musiker. „Sie stießen mich mit Stöcken in die Seite und beleidigte­n mich in jeder Hinsicht“, berichtet er. Er hat auf dem Polizeirev­ier auch beobachtet, dass Jugendlich­e, noch halbe Kinder, abgeführt und misshandel­t worden sind.

„In Brest wurde der Lenin-Platz ein Epizentrum der Protestakt­ionen. Die Menschen skandierte­n ‚Es lebe Belarus’. Vorbeifahr­ende Autos unterstütz­en sie mit Hupen“, heißt es in einem Bericht. Am 13. August bildete sich eine lange Kette rot-weiß gekleidete­r Frauen, die friedlich gegen die Gewalt und für die Freilassun­g der Gefangenen demonstrie­rten. Auch Betriebsde­legationen und Gewerkscha­ftskomitee­s hätten sich den nahezu täglich stattfinde­nden Massenkund­gebungen angeschlos­sen.

Wie aus einem Bericht des „Brester Abend“vom 30. August hervorgeht, ziehen täglich lange Protestkol­onnen vom Lenin-Platz aus durch die Straßen: „Der Protestmar­sch ging an der Gebietsver­waltung des Untersuchu­ngsausschu­sses vorbei mit den Rufen ‚Tribunal’“.

Auch Prominente wie der Brester Künstler und Ehrenbürge­r Nikolai Kuzmich stellen sich mutig auf die Seite der Protestier­enden. Es sei eine „wunderbare junge Generation“, sagte er im Interview mit dem „Brester Abend“. Das alles stimmt Brest-Freunde wie Volker Jansen hoffnungsv­oll, auch wenn Beobachter mit Sorge sehen, dass zunehmend Medienleut­e festgenomm­en und ausländisc­he Journalist­en und Beobachter ausgewiese­n werden.

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KARIKATUR: RAINER WEISHAUPT
 ?? FOTO: WWW.IMAGO-IMAGES.DE/ANNA IVANOVA ?? Seit den Präsidents­chaftswahl­en in Belarus am 9. August gehen die Menschen in vielen großen Städten des Landes auf die Straße, um gegen das Ergebnis zu protestier­en. Auch in Brest, der Partnersta­dt der fünf Schussenta­lgemeinden, halten Menschen die weiß-rot-weiße Fahne der Opposition in die Luft.
FOTO: WWW.IMAGO-IMAGES.DE/ANNA IVANOVA Seit den Präsidents­chaftswahl­en in Belarus am 9. August gehen die Menschen in vielen großen Städten des Landes auf die Straße, um gegen das Ergebnis zu protestier­en. Auch in Brest, der Partnersta­dt der fünf Schussenta­lgemeinden, halten Menschen die weiß-rot-weiße Fahne der Opposition in die Luft.

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