Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
SPD-Urgestein feiert seinen 80. Geburtstag
Rudolf Bindig saß 29 Jahre im Bundestag – Ein Rückblick auf eine bewegte politische Laufbahn
WEINGARTEN - 17 Jahre gehörte er zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates, 20 Jahre war er Mitglied des baden-württembergischen Landesverbandes, 29 Jahre saß er als Abgeordneter für die SPD im Deutschen Bundestag. Bis heute ist der Weingartener Rudolf Bindig der letzte Sozialdemokrat, der den Landkreis Ravensburg in Berlin vertrat. Kein anderer Politiker aus der Region kann acht Legislaturperioden vorweisen. Am 6. September wird er 80 Jahre alt.
Eigentlich hätte Bindig seinen Geburtstag gerne groß mit alten politischen Weggefährten in Weingarten gefeiert. Doch angesichts der Corona-Pandemie und des fortgeschrittenen Alters vieler Gäste sagte das SPD-Urgestein die Feier ab. Anstatt dessen wird Bindig seinen Geburtstag im ganz kleinen Familienkreis in seiner niedersächsischen Heimatstadt Goslar im Harz mit seinem Bruder und dessen Frau, seinen Nichten und Neffen vom bereits verstorbenen Bruder und seiner Frau Doris Spieß feiern. Das Besondere daran: Die Feier wird in der Steinbergalm, dem ehemaligen Forsthaus, in dem Bindig geboren wurde und die ersten zwölf Jahre seines Lebens gelebt hat, stattfinden. „Das ist eine sehr besondere Erinnerungsstätte. Ich bin sehr naturverbunden aufgewachsen. Das wirkt bis heute nach“, sagt der geprüfte Pilzsachverständige und leidenschaftliche Ornithologe.
Sein Vater, der ebenfalls Rudolf Bindig hieß, fiel bereits zwei Jahre nach Bindigs Geburt im Russlandfeldzug. Doch weil der Vater Goslars Revierförster war, durfte die Mutter mit den drei Söhnen in der Dienstwohnung bis zum Jahr 1952 wohnen bleiben, bevor sie in die Innenstadt zogen, wo Rudolf Bindig dann auch im Jahr 1960 Abitur machte. In der Folge zog es ihn nach Göttingen und Nürnberg zum Studium, das er als Diplom-Kaufmann abschloss. Doch reichte das dem wissensdurstigen jungen Mann nicht. 1966 begann er ein weiteres Studium der Politik, Geschichte und Soziologie an der neu gegründeten Universität Konstanz. „Ich gehörte zu den Gründungsstudenten. Ich war der 14. Student an der Uni Konstanz“, erinnert er sich. „Das war eine Zeit des Aufbruchs. Und so kam ich dann auch in die 68er-Bewegung und hatte meine ersten politischen Auftritte für die APO, die außerparlamentarische Opposition. Das war die Gegenbewegung gegen das Establishment.“
Doch schnell merkte Bindig, dass ihm das nicht reicht. Nur in der Politik könne man etwas bewegen, dachte er damals – und heute. „Wir haben uns auf den langen Weg durch die Institutionen gemacht, um die Gesellschaft zu verändern“, sagt Bindig. Folgerichtig trat er im Jahr 1967 in die SPD ein. Bei den jungen Sozialisten (Jusos) war er Kreisvorsitzender im Landkreis Konstanz, Mitglied im Landesvorstand und Vertreter Baden-Württembergs im Bundesausschuss der Jungsozialisten. Dadurch kam er auch in Kontakt mit Heidemarie Wieczorek-Zeul, Hans Eichel und Gerhard Schröder, die in der Folge allesamt große politische Karrieren machten. Bindig selbst hegte keine großen bundespolitischen Ansprüche. Doch durch seine guten Kontakte und sein markantes Auftreten wurde die SPD-Größe Erhard Eppler auf den jungen Mann mit dem markanten Schauzer aufmerksam und nahm ihn fortan unter seine Fittiche. „Er hatte mich mehrfach sprechen hören und mich danach sehr gefördert“, erinnert sich Bindig. „Seine ökosoziale Ausrichtung fand ich sehr ansprechend.“Eppler war es auch, der Bindig 1973 zur Kandidatur für den „grosagt Bindig über die SPD-Größe Erhard Eppler. ßen“SPD-Landesvorstand ermutigte. 20 Jahre gehörte er in der Folge dem Gremium an. Noch heute ist er Mitglied der „Kontrollkommission“, ist ein kleines Gremium, welches das Finanzwesen der Landespartei begleitet und überwacht. Im Jahr 1976 kandidierte er dann erstmals für den Bundestag. Auch wenn er das Direktmandat klar verpasste, zog er über die Landesliste in das höchste deutsche Parlament ein. Platz 24 der Landesliste reichte ihm, denn die SPD kam im Bund auf 42,6 Prozent der Stimmen. „Wir hatten damals drei Parteien im Bundestag. Die SPD, die CDU und die FDP. Und die FDP entschied, wer regierte“, erinnert sich Bindig.
Kümmerte sich der junge SPDler anfangs vor allem um verkehrspolitische Themen, interessierten ihn im Laufe der insgesamt acht Legislaturperioden, die Bindig im Deutschen Bundestag saß, verstärkt die Themen Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Bindig wurde von seiner Fraktion zum Sprecher für Menschenrechte ernannt, was ihm zahlreiche Begegnungen mit Altbundeskanzler Willy Brandt bescherte. Häufig habe Brandt, wenn er ausländische Gäste aus Problemregionen zu Besuch hatte, Bindig mit hinzu gebeten: „Das war schon toll und eine Lebenschance. Ich höre ihn jetzt noch: Rudolf, was können wir denn da machen?“, erinnert sich der Jubilar.
So verwundert es kaum, dass Bindig Brandt und Helmut Schmidt – neben Erhard Eppler – als die für ihn beeindruckendsten Politiker nennt. Am prägendsten in Erinnerung ist ihm derweil das konstruktive Misstrauensvotum von Helmut Kohl gegen Helmut Schmidt geblieben. Und auch den Tag der Maueröffnung wird er nicht vergessen: „Da wurde zum ersten Mal die Nationalhymne im Plenarsaal gesungen. Das bleibt schon in Erinnerung.“
Er selbst schärfte im Lauf der 29 Jahre als Abgeordneter immer stärker sein Profil. So wurde auf seine Initiative hin ein ständiger Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe gebildet, der bis heute Bestand hat. Im Jahr 2001 wurde unter seiner parlamentarischen Federführung das Deutsche Institut für Menschenrechte
gegründet. „Das habe ich zusammen mit den Grünen und Herta Däubler-Gmelin eingetütet“, erinnert er sich. „Ich kann sagen, dass ich einen wesentlichen Impuls gesetzt habe. Menschenrechte wurden zu einem eigenen politischen Bereich.“
Ebenfalls stolz ist der Jubilar auf einen etwas anderen Akzent, den er gesetzt hat. Nach dem Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin forderte der bekennende Europäer, dass neben der deutschen Flagge auch die Europafahne im Plenarsaal aufgestellt wird: „Am nächsten Tag hat mich Wolfgang Thierse (seinerzeit Präsident des Deutschen Bundestags, Anmerkung der Redaktion) angerufen und gesagt, dass er das im Altenrat vorantreiben will. Und dann kam es auch so. Nach Finnland waren wir das zweite Land in Europa, die das aufgestellt haben. Und danach kamen noch viele andere.“Wenige Jahre zuvor, nach dem Wahlsieg seiner Sozialdemokraten im Jahr 1998, wäre Bindig nach eigener Aussage fast parlamentarischer Staatssekretär geworden. Da Heidemarie Wieczorek-Zeul das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung übernahm, war er schon eingeplant. Doch dann soll Joschka Fischer (Grüne) noch eine weitere Frau in der Regierung gewollt haben, was er bei einem kurzen Gespräch mit dem künftigen Kanzler Gerhard Schröder dann auch aushandelte. Uschi Eid bekam den Posten. „Eigentlich galt es als gesetzt, dass ein rotes Ministerium auch einen roten Staatssekretär bekommt. Doch buchstäblich in letzter Sekunde wurde die Farbenlehre außer Kraft gesetzt. Das war ein bis dahin einmaliger Vorgang“, erinnert sich Bindig.
Zwar hätte er gerne Regierungsverantwortung übernommen, „aber vielleicht habe ich sogar mehr auf den Weg gebracht als in der Regierung“, meint der Jubilar. So gehörte er von 1988 bis 2005 auch der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates an, wurde Leiter der deutschen Delegation und wurde 2002 gar zum Vizepräsidenten gewählt, bevor er 2005 – als er nicht mehr für den Bundestag kandidierte – ausschied. Später wurde er noch zum Ehrenmitglied ernannt. Diese Arbeit habe ihn stark geprägt, meint Bindig, der auch Berichterstatter des Europarates im Tschetschenienkrieg war. Auch an anderer Stelle waren seine diplomatischen Fähigkeiten gefragt. 38-mal reiste er beispielsweise nach Russland, wo er mit Innen- und Justizministern, zweimal gar mit Wladimir Putin verhandelte.
„Er war wirklich ein Guter. Er war immer bemüht, ausgleichend zu wirken. Deswegen war er auch so angesehen“, sagt die politische Wegbegleiterin und ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin über den Jubilar. „Mich hat immer schwer beeindruckt, wie er die Liebe zu seiner schwäbischen Heimat und den Blick über den eigenen Tellerrand hinbekommen hat.“
Letzteres zeichnete Bindig auch stets in seinen 38 Jahren als Vorsitzender des wohltätigen Vereines „Help – Hilfe zur Selbsthilfe“aus. 73 Hilfsprojekte in 23 Ländern haben bislang 4,2 Millionen Menschen geholfen. Allerdings wird er seinen Posten zum Ende des Jahres aufgeben. „Nach 38 Jahren muss ich auch mal ein Amt abgeben“, meint er. Das dürfte auch im Jahr 2024 noch einmal der Fall sein. Dann endet sein Mandat im Ravensburger Kreistag, welchem er seit 2009 angehört. Dann wird er noch mehr Zeit für seine Ehefrau, die Weingartener Stadträtin Doris Spieß, haben.
Nach 23 Jahren in Waldburg zog er wegen ihr im Januar 2000 nach Weingarten. Und auch diesbezüglich blieb er seiner politischen Linie treu: „Sie war eine meiner SPD-Ortsvorsitzenden“, sagt er lachend.
„Er hatte mich mehrfach sprechen hören und mich danach sehr gefördert. Seine ökosoziale Ausrichtung fand ich sehr ansprechend“,
„Er war wirklich ein Guter. Er war immer bemüht, ausgleichend zu wirken. Deswegen war er auch so angesehen“,
sagt die politische Wegbegleiterin und ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin über Bindig