Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Angler leiden unter Kormoran-Population
Auch die Vegetation am Bodensee leidet – Manche sprechen von einer Invasion
FRIEDRICHSHAFEN - Gibt es eine Kormoran-Invasion am Bodensee? Wer die Schwärme dieser schwarzgefiederten Fischräuber über den See ziehen sieht, gerät zumindest ins Staunen. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt Hermann Kling aus Seemoos. Seiner Schätzung nach waren es an einem Sonntag Ende Juni mehr als 1000 Vögel, die circa 150 Meter vor dem Ufer auf Jagd gingen. Das Spektakel dauerte etwa 15 Minuten. Das Wasser habe danach wie Gülle ausgesehen. „Das kann doch nicht gut sein für den See“, sagt der ehemalige CDU-Stadtrat und Landwirt.
Während Singvögel, Schwalben oder Mauersegler am Bodensee rar werden, nimmt die Population von Kormoranen beständig zu. Laut Fischereiforschungsstelle (FFS) in Langenargen wurden von 2004 bis 2014 durchschnittlich etwa 820 Kormorane am Bodensee gezählt, im Oktober 2018 registrierte man schon mehr als 3000. Berufsfischer und Angler sehen die Zunahme der Fischräuber kritisch. Zu leiden hat auch die Vegetation. Durch die Hinterlassenschaften der Vögel gehen an der Lipbachmündung, wo sich die größte Brutkolonie In Baden-Württemberg befindet, reihenweise Bäume ein.
Kormorane sind ausgesprochene Fischräuber und haben hierzulande keine natürlichen Feinde. Rund 400 Gramm frisst ein Vogel pro Tag. Hochgerechnet haben Kormorane im Jahr 2018 rund 253 Tonnen Fisch aus dem Bodensee geholt, 2019 waren es schätzungsweise mehr als 300 Tonnen. Das sind fast 100 Tonnen mehr als alle Berufsfischer zusammen 2019 gefangen haben, rechnet Anita Koops vor. „Mit der unglaublich hohen Zahl an Kormoranen sind der Fraßdruck und die Schäden für die Fischerei auf ein nicht mehr tragbares Maß angestiegen“, sagt die Sprecherin der baden-württembergischen Berufsfischer. Seit Jahren fordern sie ein gezieltes Kormoranmanagement, wie es in anderen Ländern längst der Fall ist. Auf Schweizer Seite brüte kein einiger Kormoran
mehr. Doch in Baden-Württemberg stoße man an den entscheidenden Stellen auf taube Ohren. Nach einem Fachgespräch im Landtag im Jahre 2018 habe man sich auf einen Arbeitskreis verständigt. Doch geschehen sei nichts. Durch die Pandemie drohe die Sache nun ganz einzuschlafen.
Dabei befinde man sich jetzt an einem Punkt, an dem das Problem immer größer und eine Rückkehr zu ausgewogenen Verhältnissen immer schwieriger werde, sagt Koops. Vor wenigen Tagen haben nun auch die bayerischen Bodenseeberufsfischer das Land Baden-Württemberg aufgefordert, ein KormoranmanagementPlan aufzustellen, um die Bestände zu regulieren. Doch im Stuttgarter Umweltministerium sieht man dazu keinen Anlass und verweist auf die artenschutzrechtlichen Bestimmungen. Jüngste Berichte über ungewöhnlich große Schwärme seien „subjektive Eindrücke“und „Schätzungen“.
Im Übrigen sei keine Obergrenze von Kormoranen bekannt, bei deren Überschreiten das natürliche Gleichgewicht am Bodensee beziehungsweise die Fischerei in Gefahr geraten würden, heißt es auf eine Anfrage aus dem Ministerium. Es gebe die Möglichkeit der Vergrämung der Vögel. So seien aufgrund einer Ausnahmeentscheidung 2018/2019 insgesamt 277 Kormorane am Bodensee-Untersee geschossen worden.
Auch was andere Bedenken angeht, wiegelt man in Stuttgart ab. Hinterlassenschaften von Wasservögeln gehörten zu einem natürlichen Gewässer. Das sei „aus ökologischer Sicht grundsätzlich unbedenklich“. Da bakterielle Verunreinigungen dennoch vorkommen könnten, sollten Menschen diese Gebiete aus hygienischen Gründen meiden, rät das Umweltministerium.
Den Fischern gehe es nicht darum, den Kormoran am Bodensee ganz zu vertreiben, sagt Anita Koops. In den frühen 80er Jahren sei er ein seltener, gerne gesehener Wintergast gewesen. Heute bleibe er ganzjährig am See, habe großen Bruterfolg und richte deutliche Schäden an den Fischbeständen an. Nicht nur durchs Fressen der Fische. In den Netzen fänden Fischer immer wieder Tiere, die durch Schnabelhiebe des Kormorans verletzt wurden.
Die Fischerei am Bodensee kämpfe seit Jahren mit größten Problemen. Eines davon sei der Kormoran. Hinzu kommen Nährstoffarmut oder eingeschleppte Pflanzen und Tiere, die dem Ökosystem schaden. Eine Überfischung des Sees, wie einige Ornithologen mutmaßen, weisen Berufsfischer und Angler zurück. Die Bodenseefischerei sei eine der nachhaltigsten weltweit, sagt Koops und verweist auf die strengen Bestimmungen hinsichtlich Netzen, Maschengröße und Fangzeiten. „Gerade in der jetzigen Pandemie sollten sich die Menschen bewußt werden, welchen Luxus sich das Land leistet, hunderte von Tonnen hochwertigen Fisch Vögeln zu überlassen, anstatt ihn der Bevölkerung, regional, frisch und in bester Qualität zur Verfügung zu stellen.“
Notwendig sei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Schutz von Vögeln und Fischen. Wenn man das Problem weiter vor sich her schiebe, werde es immer schwieriger, vernünftige Lösungen zu finden, sagt Anita Koops. Nur wenn sich die Entscheidungsträger in Baden-Württemberg schnell zum Handeln durchringen und sich an einem internationalen Kormoranmanagement beteiligen, seien Erfolge möglich.