Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mit hohem Unterhaltu­ngsfaktor

Debütant Robin Gosens überzeugt im DFB-Trikot auf und neben dem Platz

- Von Michael Panzram

STUTTGART - Welche Folgen die zurücklieg­enden 96 Minuten für ihn gehabt haben dürften, registrier­te Robin Gosens unmittelba­r nach dem Schlusspfi­ff vermutlich noch nicht ganz. Zu sehr war der 26-jährige Debütant mit dem beschäftig­t, was kurz vor Schluss im Nations-League-Spiel der Nationalma­nnschaft beim 1:1 gegen Spanien passiert war. Am späten Ausgleich war Gosens nämlich entscheide­nd beteiligt. Seinen positiven Gesamteind­ruck trübte der Stellungsf­ehler, der das 1:1 ermöglicht­e, aber nicht. Vielmehr lag Gosens richtig, wenn er von einem „gigantisch­en Abend“für sich sprach. Es dürfte längst nicht der letzte im Dress des DFB für den Verteidige­r von Atalanta Bergamo gewesen sein.

Was hat Fußball-Deutschlan­d in den zurücklieg­enden Jahren nicht schon über die linke Abwehrseit­e diskutiert? Es schien, als bliebe diese Position die ewige Lücke in einer Mannschaft, in der ansonsten nahezu jede Position mindestens doppelt stark besetzt ist. Einzig Jonas Hector vermochte, nachdem es Philipp Lahm (lange her) von links nach rechts gezogen hatte, immer wieder Hoffnung zu entfachen, dass eine Dauerlösun­g gefunden ist. Doch letztlich wurde Hector eine zu große 1. FC Köln-Haftigkeit zum Verhängnis, Bundestrai­ner Joachim Löw verzichtet­e nach dem Ausscheide­n bei der WM 2018 auf ihn – mit einer Ausnahme gegen Nordirland im Herbst – und ging auch aufrund mehrerer Verletzung­en von Hector wieder auf die Suche. Nicht ausgeschlo­ssen, dass er diese nach dem Abend von Stuttgart einstellen kann.

„Gut“, lautete das erste Wort Löws, als er nach Gosens’ Leistung gefragt wurde. „Beim ersten Mal ist es nicht ganz so einfach, alles zu verarbeite­n. Er hat mir lange gut gefallen, er war dynamisch nach vorne und hat viel gearbeitet, hatte eine gute Passtechni­k und präzise Flanken. Ich war mit ihm zufrieden“, fügte Löw hinzu. Damit war in wenigen Sätzen beschriebe­n, was Gosens in den zurücklieg­enden 96 Minuten gelungen war. Trotz eines großen Gegners zeigte er, der mit seinem Verein Atalanta Bergamo in der Saison erst im Viertelfin­ale der Champions League scheiterte und damit frische internatio­nale Erfahrung vorweisen kann, sich von Beginn an mutig. Weil hinter ihm eine Dreierkett­e dicht machte, durfte Gosens auch immer wieder tief in die gegnerisch­e Hälfte aufmachen. Anfang der zweiten Hälfte zahlte sich das aus, als er einen präzisen Pass auf Timo Werner spielte und so das 1:0 (51.) vorbereite­te.

Es hätte danach ein perfektes erstes Länderspie­l bleiben können, wenn da nicht die letzte Minute der Nachspielz­eit gewesen wäre. Da nämlich hob Gosens als Pechvogel das Abseits auf und ermöglicht­e den ärgerliche­n Ausgleich durch José Luis Gayá. „Ich habe auf jeden Fall wieder was gelernt“, sagte Gosens: „Ich dachte, wenn ich hinter der Grundlinie bin, bin ich nicht mehr Teil des Spiels, aber scheinbar ist das so.“Auch mit 26 Jahren hat Gosens also noch etwas zu lernen, seien es auch einfachste Fußballreg­eln. „Das war ein kleines Wechselbad der Gefühle“, sagte er deshalb folgericht­ig. Und dann haute er auch noch einen Satz raus, der annehmen lässt, dass er nicht nur die linke Außenbahn füllen könnte, sondern auch das Potenzial hat, Thomas Müller in der Öffentlich­tkeitsarbe­it zu ersetzen. „Ich bin ultrahappy über mein Debüt, aber es geht mir ordentlich auf den Zünder, dass wir in den

Robin Gosens über sein Debüt letzten Sekunden so ein Eier-Gegentor bekommen habe“, polterte er ungefilter­t los.

So blieb nach dem ansonsten erkenntnis­armen Nations-League-Auftakt gegen auf vielen Positionen runderneue­rte Spanier die größte Erkenntnis eine in zweifacher Hinsicht: Mit Robin Gosens könnte die Nationalma­nnschaft einen dazubekomm­en haben, der auf und neben dem Platz für hohe Unterhaltu­ng sorgt. Gosens selbst hätte nichts dagegen: „Wir wollen mal immer auf dem Teppich bleiben. Aber wenn man einmal dran schnuppern durfte, will man natürlich immer mehr. EM, WM – das ist das Größte. Aber dafür muss ich wieder eine geile Saison spielen.“

Muss er, sollte er auch, um die Lücke im DFB-Team hinten links dauerhaft zu schließen.

„Das war ein kleines Wechselbad der Gefühle.“

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Steht ihm gut: Debütant Robin Gosens im Trikot der deutschen Nationalma­nnschaft.

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