Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mit hohem Unterhaltungsfaktor
Debütant Robin Gosens überzeugt im DFB-Trikot auf und neben dem Platz
STUTTGART - Welche Folgen die zurückliegenden 96 Minuten für ihn gehabt haben dürften, registrierte Robin Gosens unmittelbar nach dem Schlusspfiff vermutlich noch nicht ganz. Zu sehr war der 26-jährige Debütant mit dem beschäftigt, was kurz vor Schluss im Nations-League-Spiel der Nationalmannschaft beim 1:1 gegen Spanien passiert war. Am späten Ausgleich war Gosens nämlich entscheidend beteiligt. Seinen positiven Gesamteindruck trübte der Stellungsfehler, der das 1:1 ermöglichte, aber nicht. Vielmehr lag Gosens richtig, wenn er von einem „gigantischen Abend“für sich sprach. Es dürfte längst nicht der letzte im Dress des DFB für den Verteidiger von Atalanta Bergamo gewesen sein.
Was hat Fußball-Deutschland in den zurückliegenden Jahren nicht schon über die linke Abwehrseite diskutiert? Es schien, als bliebe diese Position die ewige Lücke in einer Mannschaft, in der ansonsten nahezu jede Position mindestens doppelt stark besetzt ist. Einzig Jonas Hector vermochte, nachdem es Philipp Lahm (lange her) von links nach rechts gezogen hatte, immer wieder Hoffnung zu entfachen, dass eine Dauerlösung gefunden ist. Doch letztlich wurde Hector eine zu große 1. FC Köln-Haftigkeit zum Verhängnis, Bundestrainer Joachim Löw verzichtete nach dem Ausscheiden bei der WM 2018 auf ihn – mit einer Ausnahme gegen Nordirland im Herbst – und ging auch aufrund mehrerer Verletzungen von Hector wieder auf die Suche. Nicht ausgeschlossen, dass er diese nach dem Abend von Stuttgart einstellen kann.
„Gut“, lautete das erste Wort Löws, als er nach Gosens’ Leistung gefragt wurde. „Beim ersten Mal ist es nicht ganz so einfach, alles zu verarbeiten. Er hat mir lange gut gefallen, er war dynamisch nach vorne und hat viel gearbeitet, hatte eine gute Passtechnik und präzise Flanken. Ich war mit ihm zufrieden“, fügte Löw hinzu. Damit war in wenigen Sätzen beschrieben, was Gosens in den zurückliegenden 96 Minuten gelungen war. Trotz eines großen Gegners zeigte er, der mit seinem Verein Atalanta Bergamo in der Saison erst im Viertelfinale der Champions League scheiterte und damit frische internationale Erfahrung vorweisen kann, sich von Beginn an mutig. Weil hinter ihm eine Dreierkette dicht machte, durfte Gosens auch immer wieder tief in die gegnerische Hälfte aufmachen. Anfang der zweiten Hälfte zahlte sich das aus, als er einen präzisen Pass auf Timo Werner spielte und so das 1:0 (51.) vorbereitete.
Es hätte danach ein perfektes erstes Länderspiel bleiben können, wenn da nicht die letzte Minute der Nachspielzeit gewesen wäre. Da nämlich hob Gosens als Pechvogel das Abseits auf und ermöglichte den ärgerlichen Ausgleich durch José Luis Gayá. „Ich habe auf jeden Fall wieder was gelernt“, sagte Gosens: „Ich dachte, wenn ich hinter der Grundlinie bin, bin ich nicht mehr Teil des Spiels, aber scheinbar ist das so.“Auch mit 26 Jahren hat Gosens also noch etwas zu lernen, seien es auch einfachste Fußballregeln. „Das war ein kleines Wechselbad der Gefühle“, sagte er deshalb folgerichtig. Und dann haute er auch noch einen Satz raus, der annehmen lässt, dass er nicht nur die linke Außenbahn füllen könnte, sondern auch das Potenzial hat, Thomas Müller in der Öffentlichtkeitsarbeit zu ersetzen. „Ich bin ultrahappy über mein Debüt, aber es geht mir ordentlich auf den Zünder, dass wir in den
Robin Gosens über sein Debüt letzten Sekunden so ein Eier-Gegentor bekommen habe“, polterte er ungefiltert los.
So blieb nach dem ansonsten erkenntnisarmen Nations-League-Auftakt gegen auf vielen Positionen runderneuerte Spanier die größte Erkenntnis eine in zweifacher Hinsicht: Mit Robin Gosens könnte die Nationalmannschaft einen dazubekommen haben, der auf und neben dem Platz für hohe Unterhaltung sorgt. Gosens selbst hätte nichts dagegen: „Wir wollen mal immer auf dem Teppich bleiben. Aber wenn man einmal dran schnuppern durfte, will man natürlich immer mehr. EM, WM – das ist das Größte. Aber dafür muss ich wieder eine geile Saison spielen.“
Muss er, sollte er auch, um die Lücke im DFB-Team hinten links dauerhaft zu schließen.
„Das war ein kleines Wechselbad der Gefühle.“