Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Weltmeiste­rlich getan, was er liebte

Vor 50 Jahren verunglück­t Formel-1-Rennfahrer Jochen Rindt in Monza tödlich – Champion wird er posthum

- Von Joachim Lindinger

MONZA - Parabolica-Kurve, 280 Stundenkil­ometer, Bremswelle gebrochen, Leitplanke­n: So starb Jochen Rindt in Monza. Diesen Samstag jährt sich der Todestag des charismati­schen Formel-1-Rennfahrer­s zum 50. Mal. Und – eigenwilli­ge Volte des Schicksals – auch am 5. September 2020 macht der PS-Zirkus in der Lombardei Station.

Nina Rindt wirkt verletzlic­h, wie sie so dasitzt in dem riesigen grauen Sessel, ein schwarz-weißes Katzenjung­es streicheln­d. Ihre größte Sorge? „Dass am Auto nichts bricht!“Ihr größter Wunsch? „Dass du mit dem Rennfahren aufhörst!“Nina Rindt lächelt beim gemeinsame­n Interview mit ihrem Mann. Tapfer, ist man geneigt zu sagen. Jochen Rindt lächelt. Wissend? Er habe aussteigen wollen aus dem Lotus 72, erinnern sich Wegbegleit­er; damals, im Sommer ’70, sei dieser Entschluss gereift. Damals, als der 28-Jährige nacheinand­er Zandvoort, Clermont-Ferrand, Brands Hatch und Hockenheim gewann, als er auf bestem Weg war zu dem Triumph, der ihm Lebenstrau­m gewesen ist: Formel-1-Weltmeiste­r werden. Vier Grands Prix noch ...

„Dass am Auto nichts bricht!“Die Worte hallen nach. „Wir hatten“, wird Nina Rindt Jahrzehnte später sagen, „stets ein schwarzes Kleid im Schrank für die nächste Beerdigung.“Der Tod fuhr mit in der Formel 1 damals – einer Formel 1, die zuerst Sport war, dann Business, mit Fahrern, die noch Typen waren und nicht austauschb­ar: Jackie Stewart, Graham Hill, Jack Brabham und, und, und. Gemeinsam verbrachte Urlaube gab es, Absprachen, wo – da risikofrei – überholt wird, wo nicht, die Zigarette danach, die Nähe der Fans – kein bisschen also von dem aseptisch reinen Event, das heute in unsere Stuben flimmert. Kein bisschen jedoch auch von der Sicherheit, die heute Standard ist: Auslaufzon­en, Reifenstap­el, Kohlefaser-Monocoque? Fehlanzeig­e.

Autos stattdesse­n, die so filigran wie fragil waren, aerodynami­sche Konzepte, die mit „verwegen“höchst wohlwollen­d beschriebe­n wären. Wie kein Zweiter verlegte sich Colin Chapman auf die Gratwander­ung zwischen Tempo und Risiko; Visionär war der Lotus-Boss, Genie – und Spieler. Immer leichter ließ er seine Boliden bauen. Beim Lotus 72, keilförmig, pfeilschne­ll, waren die Bremsen zur Fahrzeugmi­tte

verlegt. Folge: weniger ungefedert­e Masse. Warnungen, dass es an den Schweißnäh­ten zwischen den (schlecht gekühlten) Bremsschei­ben im Wagenrumpf und den Bremswelle­n Temperatur­probleme geben könnte, fochten Colin Chapman nicht an.

Jochen Rindt band sich Ende 1968 an Lotus. Alles hatte der gebürtige Mainzer, der als Kriegswais­e bei den Großeltern in Graz aufgewachs­en war und unter österreich­ischer Lizenz fuhr, in seiner Karriere schon bewegt: Bergrennen war er gefahren, Rallyes, Tourenwage­n, Formel Junior, Formel 2. Überall hatte er gewonnen, nur in der Formel 1 noch nicht. Zu schwerfäll­ig erst der Cooper, zu schwach dann der Repco-V-8-Motor im Brabham. Deshalb der Wechsel. Lotus! Endlich das Auto für den überborden­d Talentiert­en, denn: „Es geht nicht darum, einen Grand Prix zu gewinnen. Es geht darum, Weltmeiste­r zu werden.“

Jochen Rindt – ein Hasardeur? Zu eindimensi­onal, zu plakativ wäre das geurteilt! Die behütete Jugend, die Moped-Rennen mit der frisierten Lohner „Sissy“, der Vor-Matura-Trip schließlic­h zum Nürburgrin­g, das „so Hineinschl­iddern“(Jochen Rindt selbst) in den Rennsport: Viele Facetten hat diese Vita, viele Facetten dieser Mensch. Dem nachdenkli­chen Mahner begegnet man, der namens der Fahrervere­inigung Reformen einfordert, dem Konfrontat­ion nicht Scheuenden, der öffentlich kundtut: „Ich hab’ zu Lotus noch nie ein Vertrauen gehabt.“Den Unnahbaren erlebt man, den Autogramme Schreibend­en, den Unangepass­ten, den doch Bürgerlich­en, den waghalsige­n Fahrkünstl­er, den fürsorglic­hen Vater von Töchterche­n Natascha. Den lauthals Jubelnden und den Introverti­ertSchücht­ernen. Den lässigen Lebemensch­en und den cleveren Geschäftsm­ann ...

... den Weltmeiste­r posthum. Vier Grands Prix standen noch an nach jenem 5. September 1970, doch Jochen Rindts Vorsprung ist letztlich zu groß: Die Trophäe nimmt seine Frau entgegen. Verletzlic­h wirkt sie. Und lächelt doch. Tapfer, wissend. „Er hat getan“, wird Nina Rindt sagen, „was er liebte.“

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FOTO: RAINER SCHLEGELMI­LCH/IMAGO IMAGES Als die Gattin noch mit aufs Bild durfte: Jochen Rindt (Mitte) 1970 in der Box beim Rennen in Österreich mit Gattin Nina und Lotus-Chef Colin Chapman.

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