Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine Frage von Abständen, Visa und Bundesländern
Tischtennis-Bundesligist TTC Neu-Ulm könnte dank zwei neuer Stars ein Titelkandidat werden, sucht aber noch eine Spielstätte
NEU-ULM - Am Sonntag beginnt die neue Bundesliga-Saison, das Tischtennis macht als erste Hallensportart den Vorreiter in Deutschland. Dass der Deutsche Olympische Sportbund die Leibesübung im Gegensatz zum Hand- oder Basketball nicht als Kontakt-, sondern als Individualsportart einstufte, machte das Unterfangen in Corona-Zeiten etwas leichter – in vorauseilendem Gehorsam hatten die Macher des Sports bereits im Sommer das Doppel aus den Modi entfernt. Wie knifflig die Runde dennoch werden könnte, sah man sofort. Das Spitzenspiel zwischen den TTF Ochsenhausen und Meister Saarbrücken, die Neuauflage der letztjährigen Finals, wurde gleich mal drei Wochen nach hinten verlegt. Grund: Ein Saarbrücker war COVID-positiv, ein weiterer musste in Quarantäne, auch in Bad Königshofen gab es einen Infizierten.
Die Fälle könnten der Auftakt einer kleinen Termin-Havarie sein, vor dem das Tischtennis in der Olympiasaison steht. Laut Liga-Beschluss werden Partien zwar nur dann zwingend verlegt, wenn mindestens zwei Spieler betroffen sind (Corona-Tests sind nicht vorgeschrieben, werden aber im Vorfeld der Spiele empfohlen). Befinden sich allerdings Akteure zuweilen im Ausland, werden selbst Einsätze gesunder Spieler schwierig. Ein Problem, das schnell Realität werden könnte. Am Freitag meldete der Weltverband, er werde im November nach dann acht Monaten Pause seine Turnierserie wieder aufnehmen. Der World Cup in Düsseldorf fällt aus, stattdessen werden zwei Turniere und das Finale der World Tour im November gebündelt in China ausgetragen, wo die Spieler hermetisch in einer Blase abgeschirmt werden sollen. Das bedeutet Stand jetzt, dass die Spieler davor und danach jeweils zwei Wochen in Quarantäne müssten.
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Deutschlands Vorzeigespieler Timo Boll und etliche Europäer dürften deshalb in China fehlen. Boll sei „sehr, sehr skeptisch“bezüglich der Reise, sagt Borussia Düsseldorfs Manager Andreas Preuß, gleichzeitig der Ligachef, und Preuß ist es auch. „Er kennt unseren Plan und seine Verpflichtungen für den Verein.“
Auch Nadine Berti, Sportdirektorin des TTC Neu-Ulm, bezweifelt, dass die Pläne der ITTF massentauglich sind: „Für unsere Spieler ist das irrelevant. Zwei Mal Quarantäne, das macht keinen Sinn, zumal sie ihren Hauptverdienst im Club haben.“Wie schwierig es ist, in Corona-Zeiten zu planen, erlebt Berti gerade im Fall Hao Shuai. Der chinesische Ex-Asienmeister und frühere Weltranglisten-Siebte, der aus Neu-Ulm einen Titelkandidat machen würde, hat zwar alle nötigen Formalitäten erfüllt, die für mehrwöchige Einsätze an der Donau nötig wären. Und als Berufssportler sollten ihm Reisen von Staats wegen erlaubt werden. Nur: Auf sein Visum wartet der 36-Jährige noch immer. „Es ist eine komplexe Angelegenheit“, sagt Berti, „schon im Vorjahr war die Visa-Frage kompliziert, deshalb haben wir am Ende auf Haos Einsatz verzichtet. Klar ist: Wir würden ihn gern für das eine oder andere Spiel einplanen und ihn sporadisch einsetzen, er würde dann für mehrere Wochen in Ulm bleiben.“
Vor allem im Pokal-Achtelfinale in Saarbrücken am 4. Oktober hätte der TTC, der als Lokalmatador vom ersten Einzug ins Final Four träumt, Hao gerne im Boot, zwei Tage zuvor steigt zudem das erste Heimspiel der Saison, das Derby gegen Ochsenhausen. Duelle, die für den Präsidenten Florian Ebner der Grund waren, überhaupt im Tischtennis einzusteigen. Ebner freute sich immens über die Zusage Haos: „Mit seiner Verpflichtung ist uns ein Husarenstück gelungen.“Der neue Trainer Dimitrij Mazunov, der das russische Talent Vladimir Sidorenko aus Ochsenhausen mitbrachte, bleibt eher auf dem Teppich: „Mit Hao Shuai sind wir ein Kandidat für die Play-offs“, sagte der 49-jährige: „Ohne ihn wäre das schwierig.“
Das widerum ist etwas tiefgestapelt. Auch ohne Hao darf man die neuen Neu-Ulmer zumindest für das fünftstärkste der Liga halten. Zu Führungsspieler Tiago Apolona und Talent Kay Stumper gesellten sich Sidorenko und der Franzose Emmanuel Lebesson, Europameister von 2016, der allerdings wie Apolonia in der Heimat trainieren wird. Dennoch hält sich der TTC, in seiner Debütsaison Achter, mit aggressiven Zielvorgaben zurück: „Wir wollen uns im Mittelfeld etablieren“, sagt Berti, „Tendenz natürlich nach oben, vor allem möchten wir gleich am Sonntag in Bad Homburg einen Sieg vorlegen.“Für den Aufsteiger schlagen pikanterweise der Ex-Neu-Ulmer Gustavo Tsuboi auf und die Russen Maksim Grebnev (18) und Lev Katsman (19), die bisher noch in Russland festsaßen und bald unter Landsmann Mazunov die NeuUlmer Trainingsgruppe bereichern sollen. Die ist derzeit eher dünn besetzt. Stumper und Sidorenko trainierten unter sich, am Dienstag absolvierte der TTC noch einen Test bei Pokalsieger Gründwettersbach, bei dem Sidorenko immerhin fast Topmann Wang Xi bezwungen hätte.
Zwei Wochen haben die Neu-Ulmer derweil noch Zeit, die vakante Hallenfrage zu klären. „Wir tendieren dazu, in den neuen Orange Campus der Bundesliga-Basketballer zu ziehen, mit denen wir gute Gespräche hatten. Es ist ein wunderschöner Bau, dem wir als zweite Sportart noch zusätzliche Internationalität geben könnten“, sagt Berti. „Das große Problem
ist: In Bayern sind derzeit keine Zuschauer erlaubt.“Und wenn, dann bis auf weiteres nicht viele. Im EdwinScharff-Haus etwa, Standort im Vorjahr, „hätten 800 Menschen Platz, aber es ist sehr verwinkelt, und durch die Abstandsregeln, etwa einen separaten Ein- und Ausgang, dürften derzeit nur 30 Zuschauer hinein“. Ähnlich sei die Lage im Maritim-Saal. Hallen in Baden-Württemberg seien deshalb sehr begehrt – aber von anderen Sportarten bereits blockiert. „Im Moment ist die Hallenfrage noch völlig offen“, sagt Berti, und man wird das Gefühl nicht los, dass die Meisterschaft 2020/ 21 eher durch Abstände zwischen Menschen entschieden werden könnte als durch jene in der Tabelle.
Boll immerhin ist heiß auf die Bundesliga, „nachdem ich in den Vorjahren am Ende die wichtigen Spiele verloren habe. Das hat mich wesentlich mehr gestört, als wenn ich bei irgendeinem Einzelturnier ausgeschieden wäre. Das hat mich beschäftigt, das hat an mir gezehrt. Häufig war es so, dass ich als Teil einer Mannschaft besser gespielt habe als im Einzel. Und das zeigt mir, dass mir an der Bundesliga immer noch sehr viel liegt.“