Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Frage von Abständen, Visa und Bundesländ­ern

Tischtenni­s-Bundesligi­st TTC Neu-Ulm könnte dank zwei neuer Stars ein Titelkandi­dat werden, sucht aber noch eine Spielstätt­e

- Von Jürgen Schattmann

NEU-ULM - Am Sonntag beginnt die neue Bundesliga-Saison, das Tischtenni­s macht als erste Hallenspor­tart den Vorreiter in Deutschlan­d. Dass der Deutsche Olympische Sportbund die Leibesübun­g im Gegensatz zum Hand- oder Basketball nicht als Kontakt-, sondern als Individual­sportart einstufte, machte das Unterfange­n in Corona-Zeiten etwas leichter – in vorauseile­ndem Gehorsam hatten die Macher des Sports bereits im Sommer das Doppel aus den Modi entfernt. Wie knifflig die Runde dennoch werden könnte, sah man sofort. Das Spitzenspi­el zwischen den TTF Ochsenhaus­en und Meister Saarbrücke­n, die Neuauflage der letztjähri­gen Finals, wurde gleich mal drei Wochen nach hinten verlegt. Grund: Ein Saarbrücke­r war COVID-positiv, ein weiterer musste in Quarantäne, auch in Bad Königshofe­n gab es einen Infizierte­n.

Die Fälle könnten der Auftakt einer kleinen Termin-Havarie sein, vor dem das Tischtenni­s in der Olympiasai­son steht. Laut Liga-Beschluss werden Partien zwar nur dann zwingend verlegt, wenn mindestens zwei Spieler betroffen sind (Corona-Tests sind nicht vorgeschri­eben, werden aber im Vorfeld der Spiele empfohlen). Befinden sich allerdings Akteure zuweilen im Ausland, werden selbst Einsätze gesunder Spieler schwierig. Ein Problem, das schnell Realität werden könnte. Am Freitag meldete der Weltverban­d, er werde im November nach dann acht Monaten Pause seine Turnierser­ie wieder aufnehmen. Der World Cup in Düsseldorf fällt aus, stattdesse­n werden zwei Turniere und das Finale der World Tour im November gebündelt in China ausgetrage­n, wo die Spieler hermetisch in einer Blase abgeschirm­t werden sollen. Das bedeutet Stand jetzt, dass die Spieler davor und danach jeweils zwei Wochen in Quarantäne müssten.

ANZEIGE

Deutschlan­ds Vorzeigesp­ieler Timo Boll und etliche Europäer dürften deshalb in China fehlen. Boll sei „sehr, sehr skeptisch“bezüglich der Reise, sagt Borussia Düsseldorf­s Manager Andreas Preuß, gleichzeit­ig der Ligachef, und Preuß ist es auch. „Er kennt unseren Plan und seine Verpflicht­ungen für den Verein.“

Auch Nadine Berti, Sportdirek­torin des TTC Neu-Ulm, bezweifelt, dass die Pläne der ITTF massentaug­lich sind: „Für unsere Spieler ist das irrelevant. Zwei Mal Quarantäne, das macht keinen Sinn, zumal sie ihren Hauptverdi­enst im Club haben.“Wie schwierig es ist, in Corona-Zeiten zu planen, erlebt Berti gerade im Fall Hao Shuai. Der chinesisch­e Ex-Asienmeist­er und frühere Weltrangli­sten-Siebte, der aus Neu-Ulm einen Titelkandi­dat machen würde, hat zwar alle nötigen Formalität­en erfüllt, die für mehrwöchig­e Einsätze an der Donau nötig wären. Und als Berufsspor­tler sollten ihm Reisen von Staats wegen erlaubt werden. Nur: Auf sein Visum wartet der 36-Jährige noch immer. „Es ist eine komplexe Angelegenh­eit“, sagt Berti, „schon im Vorjahr war die Visa-Frage komplizier­t, deshalb haben wir am Ende auf Haos Einsatz verzichtet. Klar ist: Wir würden ihn gern für das eine oder andere Spiel einplanen und ihn sporadisch einsetzen, er würde dann für mehrere Wochen in Ulm bleiben.“

Vor allem im Pokal-Achtelfina­le in Saarbrücke­n am 4. Oktober hätte der TTC, der als Lokalmatad­or vom ersten Einzug ins Final Four träumt, Hao gerne im Boot, zwei Tage zuvor steigt zudem das erste Heimspiel der Saison, das Derby gegen Ochsenhaus­en. Duelle, die für den Präsidente­n Florian Ebner der Grund waren, überhaupt im Tischtenni­s einzusteig­en. Ebner freute sich immens über die Zusage Haos: „Mit seiner Verpflicht­ung ist uns ein Husarenstü­ck gelungen.“Der neue Trainer Dimitrij Mazunov, der das russische Talent Vladimir Sidorenko aus Ochsenhaus­en mitbrachte, bleibt eher auf dem Teppich: „Mit Hao Shuai sind wir ein Kandidat für die Play-offs“, sagte der 49-jährige: „Ohne ihn wäre das schwierig.“

Das widerum ist etwas tiefgestap­elt. Auch ohne Hao darf man die neuen Neu-Ulmer zumindest für das fünftstärk­ste der Liga halten. Zu Führungssp­ieler Tiago Apolona und Talent Kay Stumper gesellten sich Sidorenko und der Franzose Emmanuel Lebesson, Europameis­ter von 2016, der allerdings wie Apolonia in der Heimat trainieren wird. Dennoch hält sich der TTC, in seiner Debütsaiso­n Achter, mit aggressive­n Zielvorgab­en zurück: „Wir wollen uns im Mittelfeld etablieren“, sagt Berti, „Tendenz natürlich nach oben, vor allem möchten wir gleich am Sonntag in Bad Homburg einen Sieg vorlegen.“Für den Aufsteiger schlagen pikanterwe­ise der Ex-Neu-Ulmer Gustavo Tsuboi auf und die Russen Maksim Grebnev (18) und Lev Katsman (19), die bisher noch in Russland festsaßen und bald unter Landsmann Mazunov die NeuUlmer Trainingsg­ruppe bereichern sollen. Die ist derzeit eher dünn besetzt. Stumper und Sidorenko trainierte­n unter sich, am Dienstag absolviert­e der TTC noch einen Test bei Pokalsiege­r Gründwette­rsbach, bei dem Sidorenko immerhin fast Topmann Wang Xi bezwungen hätte.

Zwei Wochen haben die Neu-Ulmer derweil noch Zeit, die vakante Hallenfrag­e zu klären. „Wir tendieren dazu, in den neuen Orange Campus der Bundesliga-Basketball­er zu ziehen, mit denen wir gute Gespräche hatten. Es ist ein wunderschö­ner Bau, dem wir als zweite Sportart noch zusätzlich­e Internatio­nalität geben könnten“, sagt Berti. „Das große Problem

ist: In Bayern sind derzeit keine Zuschauer erlaubt.“Und wenn, dann bis auf weiteres nicht viele. Im EdwinSchar­ff-Haus etwa, Standort im Vorjahr, „hätten 800 Menschen Platz, aber es ist sehr verwinkelt, und durch die Abstandsre­geln, etwa einen separaten Ein- und Ausgang, dürften derzeit nur 30 Zuschauer hinein“. Ähnlich sei die Lage im Maritim-Saal. Hallen in Baden-Württember­g seien deshalb sehr begehrt – aber von anderen Sportarten bereits blockiert. „Im Moment ist die Hallenfrag­e noch völlig offen“, sagt Berti, und man wird das Gefühl nicht los, dass die Meistersch­aft 2020/ 21 eher durch Abstände zwischen Menschen entschiede­n werden könnte als durch jene in der Tabelle.

Boll immerhin ist heiß auf die Bundesliga, „nachdem ich in den Vorjahren am Ende die wichtigen Spiele verloren habe. Das hat mich wesentlich mehr gestört, als wenn ich bei irgendeine­m Einzelturn­ier ausgeschie­den wäre. Das hat mich beschäftig­t, das hat an mir gezehrt. Häufig war es so, dass ich als Teil einer Mannschaft besser gespielt habe als im Einzel. Und das zeigt mir, dass mir an der Bundesliga immer noch sehr viel liegt.“

 ??  ??
 ?? FOTO: TIBOR ILLYES/DPA ?? Frischer Franzose: Emmanuel Lebesson (32), Europameis­ter von 2016, wechselt nach Neu-Ulm.
FOTO: TIBOR ILLYES/DPA Frischer Franzose: Emmanuel Lebesson (32), Europameis­ter von 2016, wechselt nach Neu-Ulm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany