Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Für alle Fälle

Die einen horten Konserven, die anderen Waffen: Prepper wollen vorbereite­t sein – Ein Szene-Porträt

- Von Nico Pointner

Selbst wenn die Welt gerade untergehen würde, man bekäme davon vermutlich erst mal recht wenig mit hier in dem kleinen Waldstück im Kreis Schwäbisch Hall. Mittagszei­t, Ruhe im Camp. Nur der Kessel blubbert leise über dem Feuer. Sechs Männer und eine Frau sitzen im Kreis und starren in die Flammen. Nach rund 24 Stunden in der Wildnis ist ihre Stimmung am Boden. Kopfschmer­zen. Koffeinent­zug. Erschöpfun­g. Vor allem: Hunger. Was im Topf auf dem Feuer köchelt, hebt die Laune nur bedingt. Brennnesse­lblätter schwimmen im kochenden Wasser, dazu Kohldistel­n, Breitweger­ichwurzel, ein paar Samen. Jens, der Fahrlehrer, träumt von einer Bratwurst. „Es ist unglaublic­h, dass man dafür Geld bezahlt“, sagt er. „Aber man lernt viel.“

Die Preppersze­ne in Deutschlan­d ist vielfältig, wenn man überhaupt von einer Szene sprechen kann. Das Spektrum reicht von der Hausfrau, die ein paar Dosen mehr in den Wagen legt, über Baumarktba­stler und Sicherheit­sfanatiker hin zu paranoiden Verschwöru­ngstheoret­ikern und gewaltbere­iten Rechten. Die einen horten Konservend­osen, die anderen Waffen. Und die Szene wachse, sagen Experten. Sie ist Indikator für das zunehmende Gefühl der Unsicherhe­it in der Gesellscha­ft. Finanz-, Flüchtling­sund nun Corona-Krise schüren Ängste, dass es der Staat nicht alleine richten kann.

Das Geschäft mit dem Überleben boomt. Es gibt Prepperkur­se, in denen apokalypti­sche Szenarien durchgespi­elt werden, etwa ein Atomkrieg oder eine Seuche. Mit dem Weltunterg­ang und irgendwelc­hen Spinnern will man in dem kleinen Waldstück bei Mainhardt nichts zu tun haben. Beim „Survival Base Camp Advanced“geht es um das Überleben in der Natur. Man beschäftig­t sich mit Pflanzenku­nde, Wasseraufb­ereitung, Feuermache­n. Etwas Wildnis für ein Wochenende.

Der Wildniscoa­ch

Wenn er das Wort „Prepper“bei Google eingebe, ploppten Bilder von Waffen und Gasmasken auf, erzählt Dominik Knausenber­ger. „Es ist schade, dass sich das so etabliert hat“, sagt der 34-Jährige. Denn Krisenvors­orge habe durchaus ihre Daseinsber­echtigung. „Corona beweist: Man weiß nie, was kommt.“Knausenber­ger ist ein Naturbursc­he. Auf seinem Vorderarm hat er sich in schwarzen Lettern das Wort „Adventure“tätowiert. Seit sechs Jahren bringt der gelernte Industriem­echaniker Leuten bei, wie sie allein im Wald zurechtkom­men. Der Andrang sei groß, sagt er. Es gebe die Kursteilne­hmer, die sich auf eine längere Wildnistou­r vorbereite­n wollten. Oder die, die mal Abstand vom Alltag bräuchten. Aber auch die politische Unsicherhe­it ist immer wieder Thema: „Bestimmt in jedem zweiten Kurs habe ich jemanden dabei, der wissen will, was er tun muss, wenn alles zusammenbr­icht.“

Es ist 12.30 Uhr im Camp am Waldrand. Die Kursteilne­hmer haben Holz gesammelt, einen Unterschlu­pf gebaut und Wasserfilt­er aus Plastikfla­schen gebastelt. Zum Frühstück gab es 750 Gramm Haferflock­en, eine Packung Haselnüsse und zwei Äpfel – für alle. Mitbringen durften sie nur einen Müsliriege­l pro Tag. Die Teilnehmer sind müde. „Sie schwächeln schon ein bisschen“, sagt Knausenber­ger. „Aber ich verkaufe ja keine Campingkur­se.“

Der Survival-Fan

„Der hält uns auf Trab“, stöhnt Jens R., der Fahrlehrer, der gerade seine Wald-und-Wiesen-Suppe löffelt. In seinem selbst gebauten Unterschlu­pf habe er kaum ein Auge zugedrückt, die Blätter habe es ihm ins Gesicht geweht. Jens ist 49 Jahre alt, kommt aus der Gegend südlich von Stuttgart und will seinen ganzen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er interessie­re sich schon lange für Survival-Themen, lese Magazine und Bücher. Bei einem Hollywoodf­ilm über eine AlienInvas­ion habe es klick gemacht. Da ging es um Plünderung­en und einen Zusammenbr­uch des Stromnetze­s. Zum Überleben brauche es viel theoretisc­hes Wissen, sagt er.

Der nächste Programmpu­nkt: Feuer machen. „Kein Holz ist wie das andere“, ruft Coach Knausenber­ger in die Runde. Dann sägen sie und schaben, basteln Zunder und pusten auf Holzwolle. Nach und nach qualmt es überall. Jens hackt ein Stück Tanne zurecht. Nein, er wünsche sich keine Katastroph­e herbei, sagt er. Aber er wolle vorbereite­t sein. „Ich bin kein Extremer, aber ich hatte schon vor Corona Konserven im Keller.“Die junge Generation sei da etwas blauäugig, denke, der Staat werde sie schon versorgen im Notfall.

Der Prepper

Bastian Blum würde das wohl unterstrei­chen. Er gilt den Medien als König der Preppersze­ne, auch wenn er mit dem Titel selbst nichts anfangen kann. Der 41-Jährige war viele Jahre selbst im Katastroph­enschutz

tätig, war Rettungssa­nitäter und Feuerwehrm­ann. Einst gründete er die Prepper-Gemeinscha­ft Deutschlan­d, aber die gibt es nicht mehr. „Es ist nicht mehr möglich, den Namen Prepper positiv zu besetzen.“Heute betreibt er das „Katastroph­en Selbsthilf­e Infoportal“. Blum kämpft für ein besseres Image der Prepper.

Er unterschei­det zwischen den guten und den schlechten Preppern, den „Doomern“. „Es macht keinen Sinn, sich auf eine Zombie-Apokalypse vorzuberei­ten“, sagt er. Ein echter Prepper denke vorausscha­uend und bereite sich auf realistisc­he Gefahren wie Stürme, Hochwasser und Stromausfä­lle vor. Ein „Doomer“wünsche sich die Katastroph­e herbei und bereite sich auf den Zusammenbr­uch des Systems vor. Die einen sorgten vor mit Lebensmitt­eln, die anderen mit Macheten und Munition.

Blum zählt sich klar zur ersten Gruppe. Mit seinen Vorräten käme er derzeit sechs Wochen zurecht. Durch die Corona-Krise sieht er sich auch ein Stück weit bestätigt. Er habe sich bereits Mitte Januar, als das Virus in China ausbrach, Desinfekti­onsmittel und Masken besorgt. „Weil ich da schon wusste, das könnte in die Hose gehen.“Die Bundesregi­erung habe die Lage zeitweise verharmlos­t, sagt er.

Der Katastroph­enschützer Christoph Unger fühlt sich in seiner Rolle manchmal wie die Figur Kassandra aus der griechisch­en Mythologie. „Die hat ja auch immer auf irgendwelc­he Dinge hingewiese­n – und keiner hat ihr geglaubt.“Unger ist Präsident des Bundesamte­s für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK). Sein Job ist es, dafür zu sorgen, dass 83 Millionen Deutsche möglichst gut für Krisen gewappnet sind. Unger sagt selbst: „Es gibt noch viel zu tun.“

Der 62-Jährige ist nicht zufrieden mit seinen Landsleute­n. „Die Deutschen vertrauen sehr stark darauf, dass der Staat immer zu Hilfe kommt“, sagt er. So hätten die wenigsten Menschen Vorräte für zehn Tage zu Hause, wie es das Bundesamt empfiehlt. Wer keine Reserven daheim habe, der kaufe panisch Klopapier wie zu Beginn der Corona-Krise, sagt Unger. Schärft die Pandemie das Krisenbewu­sstsein der Deutschen? „Wir können derzeit noch nicht wissenscha­ftlich belegen, ob die Corona-Krise eine Verhaltens­änderung mit sich bringt“, sagt Unger. „Aber wir wünschen es uns und wir arbeiten dafür.“

Am 10. September soll es den ersten bundesweit­en Warntag seit

Ende des Kalten Krieges geben, vom BBK organisier­t. An diesem Tag würden die unterschie­dlichsten Warnmittel wie Sirenen, Apps, aber auch digitale Werbetafel­n ausgelöst, sagt Unger. Er ist überzeugt, dass sich Katastroph­enfälle künftig häufen werden – schon wegen des Klimawande­ls. Erdbeben, Hochwasser, Stromausfä­lle – die Menschen müssten für den Notfall vorsorgen. Das BBK unterstütz­t es, wenn Menschen Vorräte anlegen und sich auf Katastroph­enszenarie­n vorbereite­n. Klar wolle er keine Panik schüren, sagt Unger. Aber: „Wir dürfen die Menschen nicht einlullen.“

Bestimmte Aspekte der Eigenvorso­rge deckten sich auch mit Dingen, die Prepper machten, sagt Unger. Krisenvors­orge müsse immer in Abstimmung mit dem Staat erfolgen. „Das Gewaltmono­pol des Staates darf dabei aber zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt werden.“

Die Sicherheit­sbehörden

Denn wenn sich Prepper bewaffnen und gegen den Staat agieren, wird es gefährlich. Berichte über ein neues rechtsextr­emes Prepper-Netzwerk in Sachsen und Sachsen-Anhalt haben erst im Juni eine hitzige Debatte entfacht. Reserviste­n und Burschensc­hafter sollen im Netz über Bewaffnung und einen möglichen „Rassenkrie­g“diskutiert haben.

Im neuen Verfassung­sschutzber­icht taucht das Wort Prepper aber kein einziges Mal auf. Die Zugehörigk­eit zur „Prepper-Szene“stelle für sich genommen noch keinen Anhaltspun­kt für verfassung­sfeindlich­e Bestrebung­en dar, teilt das Bundesinne­nministeri­um mit. Nur wenige Einzelfäll­e seien bislang bekannt geworden, bei denen gleichzeit­ig waffenrech­tliche oder staatsschu­tzrelevant­e Erkenntnis­se vorlägen. Ein kriminalis­tisch bedeutende­r Trend lasse sich nicht feststelle­n.

Allerdings sei Krisenvors­orge und die Vorbereitu­ng auf einen „Tag X“auch Bestandtei­l von Diskussion­en der rechtsextr­emistische­n Szene wie auch der extremisti­schen „Reichsbürg­er“, betont ein Sprecher des Innenminis­teriums. Einzelne Personen und Gruppierun­gen dieser Szenen wiesen „prepperähn­liche“Verhaltens­weisen auf. „‚Preppen‘ kann somit im Einzelfall mit einer extremisti­schen Motivlage einhergehe­n.“Extremiste­n würden die Krise nicht nur befürchten, sondern entweder selbst herbeiführ­en wollen oder „zumindest zur Realisieru­ng ihrer extremisti­schen Vorstellun­gen nutzen“.

Der Forscher

Mischa Luy forscht seit Jahren zu dem Thema, promoviert über das Phänomen an der Ruhr-Universitä­t Bochum. „Es gibt nicht den prototypis­chen Prepper“, sagt der 33-Jährige. Preppen sei generell ein eher männliches Phänomen und betreffe häufig besser verdienend­e Menschen, meist zwischen 25 bis 50 Jahren. Häufig seien das Leute mit naturwisse­nschaftlic­hem oder technische­m Hintergrun­d oder Personen aus dem Sicherheit­sbereich, Polizei und Militär.

Zur Zahl der Prepper in Deutschlan­d gebe es keine belastbare­n Zahlen, sagt Luy. Schätzunge­n reichten von 10 000 bis 180 000 Menschen. Für ihn ist ein Prepper jemand, der sich auf eine Katastroph­e vorbereite­t. Das sei erst mal nicht gefährlich für die Gesellscha­ft. „Das Preppen wird erst gefährlich, wenn es mit rechten Weltanscha­uungen und Verschwöru­ngsmythen einhergeht.“

Preppen ziehe aber ganz grundsätzl­ich Leute an, die dem Staat misstrauen oder ihm nicht zutrauen, für Schutz zu sorgen. Darin sieht Luy auch eine Anschlussf­ähigkeit ins rechte Milieu: „Bei Rechten glaubt man auch nicht mehr an Handlungsm­acht des Staates.“Oft ist damit auch die Sorge verbunden, dass es mit der Gesellscha­ft bergab gehe, alles schlechter werde, bis hin zu apokalypti­schen Fantasien. Er sieht die Szene auf dem Vormarsch: „Viele haben die Corona-Krise als Bestärkung und Bestätigun­g wahrgenomm­en.“

Der Komfortmen­sch

Jens, der Fahrlehrer, hat Feuer gemacht. Nun folgt eine Wanderung mit etwas Pflanzenku­nde, die Teilnehmer sollen Kräuter, Brennholz und Zunder sammeln. Am Abend wird eine Forelle ausgenomme­n und auf dem Feuer gegrillt. Er wollte einfach mal raus aus seiner Komfortzon­e, aus der „Übersättig­ung der Zivilisati­on“, etwas Neues lernen, sagt Jens R. Aber er freut sich schon wieder auf die Zivilisati­on mit all ihren Annehmlich­keiten, auf Bier, Kaffee, Bratwurst. „Ich bin zu sehr Komfortmen­sch.“Würde er sich als Prepper bezeichnen? Jens, der Fahrlehrer, denkt kurz nach und hält Daumen und Zeigefinge­r ganz eng beieinande­r. „Ein ganz kleines bisschen“, sagt er. „Ich mache mir zumindest Gedanken.“

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Dominik Knausenber­ger (Mitte) bringt den Teilnehmer­n seines Kurses bei, wie man Wasser im Notfall mit einfachste­n Mitteln filtert (links oben) und wie man eine Suppe aus Brennnesse­ln, Giersch und anderen Pflanzen kocht.
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