Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Dehnen, aber richtig

Ob beim Sport oder im Alltag: So bleibt der Körper beweglich bis ins hohe Alter

- Von Julia Felicitas Allmann Von Elena Zelle

Gegen das ständige Vergleiche­n und die Selbstopti­mierung in sozialen Medien ankämpfen: Das ist das Ziel der „Body Positivity“-Bewegung. Viele Menschen gewinnen dadurch Mut und zeigen ihre vermeintli­chen Schönheits­fehler ganz offen. Es gibt aber auch Bedenken.

Was steckt hinter der Bewegung? „In erster Linie heißt Body Positivity, seinen eigenen Körper nicht mehr zu hassen – wie es ja leider viele Menschen tun –, sondern anzufangen, den eigenen Körper lieben zu lernen“, sagt Serin Khatib. Die Journalist­in und Bloggerin aus Köln setzt sich für Body Positivity ein. Sie postet auf ihrem Instagramk­anal „serintogo“ganz natürliche Fotos von sich und inspiriert damit andere Menschen, sich so zu akzeptiere­n, wie man ist. Es gehe darum, vermeintli­che Makel wie Dehnungsst­reifen, Cellulite, schlaffe Haut, Dellen, Pickel, Narben, Übergewich­t, Untergewic­ht und Pigmentfle­cken nicht zu verstecken. „Sondern im Gegenteil: Wir wollen sie zelebriere­n“, sagt Khatib.

Vor allem Frauen sind es, die sich diesem Trend anschließe­n – als Gegenström­ung zu all den Fotos von Models und Influencer­innen, die auf jedem Bild strahlend schön erscheinen, kein Gramm zu viel auf den Rippen haben und gelegentli­che Hautunrein­heiten unter einer dicken Schicht Make-up verstecken – oder wegretusch­ieren. „Nichts ist so unecht wie Social Media“, sagt Khatib. „Durch Bildbearbe­itung haben wir eine digitale glitzernde Scheinwelt kreiert, die suggeriert, dass wir alle gleich aussehen müssen.“Body Positivity soll das ändern und dafür sorgen, dass sich mehr Menschen wieder wohl in ihrem Körper fühlen. „Ich schreibe immer wieder mit Frauen, die sich durch meine Beiträge auch trauen, in kurzer Hose rauszugehe­n, obwohl sie vielleicht dicke Beine mit Dellen haben – so wie ich“, sagt die Bloggerin. „Aber wenn sie sehen, dass ich es einfach mache, dann gibt ihnen das Mut.“

Aus psychologi­scher Sicht sei die Bewegung differenzi­ert zu betrachten,

Beim Dehnen scheiden sich die Geister. Für manchen Sportwisse­nschaftler sollte das Beweglichk­eitstraini­ng fester Bestandtei­l des wöchentlic­hen Übungsprog­ramms sein. Andere Fachleute meinen, dass man nur bei Defiziten etwas tun muss. Fest steht: Wer sehr unbeweglic­h ist, bekommt auf kurz oder lang Probleme mit den Gelenken. Aber wie beweglich sollte man sein? Und wie kann man etwas für seine Flexibilit­ät tun?

Wem es an Beweglichk­eit mangelt, dem fällt vieles schwerer: sich zu bücken, um etwas aufzuheben, sich zu strecken, um ins oberste Regal zu greifen, oder an die Füße heranzukom­men, um Socken anzuziehen. Der Sportwisse­nschaftler und Fitnesstra­iner Daniel Gärtner sagt: „Wer sich viel bewegen muss, aber nicht beweglich ist, der macht schneller schlapp.“Unbeweglic­he brauchen für vieles mehr Kraft, weil sie gegen höhere Dehnungswi­derstände arbeiten müssen als flexible Menschen. Das ist besonders bei Bewegungen mit hohen Amplituden anstrengen­der und hindert einen im Sport daran, sein Potenzial auszuschöp­fen.

Auf Dauer passen sich die Muskeln und Sehnen an. Der Körper begibt sich in eine Schonhaltu­ng, das belastet die Gelenke. „Letzten Endes sagt Professor Björn Enno Hermans, Diplom-Psychologe und systemisch­er Therapeut aus Essen. „Man sollte gesellscha­ftlich etwas Druck nutzen die Gelenke schneller ab und die Gefahr, an Arthrose zu erkranken, steigt“, erklärt Gärtner. Auch die Faszien – das wabenartig­e, elastische Netz, das die Muskeln umspannt – werden starrer und verkleben. Das kann zu Schmerzen und chronische­n Sehnen- und Muskelverl­etzungen führen.

Wie beweglich man sein sollte, darauf gibt es allerdings keine pauschale Antwort. Das sei von Gelenk zu Gelenk unterschie­dlich, sagt Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochs­chule Köln.

Beispiel Schulter: Sie ermöglicht dem Arm eigentlich eine Rotation von 360 Grad. Aber viele Leute sind dafür nicht beweglich genug und müssten etwas tun. Im Kniegelenk sei eine Beweglichk­eitseinsch­ränkung bis zu zehn Grad dagegen zu verschmerz­en, weil man im Alltag nicht darauf angewiesen ist, das Knie über 90 Grad zu beugen. Die eigene Beweglichk­eit lässt sich prüfen. Zum Beispiel mit dieser altbekannt­en Übung: Man stellt sich mit geschlosse­nen und gestreckte­n Beinen hin und versucht dann, sich so weit wie möglich nach vorne zu beugen. „Bis zur Mitte des Unterschen­kels sollten die Fingerspit­zen reichen – das ist das Minimum“, sagt Froböse. Wer nur bis zum Knie komme, der müsse dringend etwas tun.

Daniel Gärtner, der auch Dozent an der Technische­n Universitä­t rausnehmen und lernen, dass man Selbstzufr­iedenheit nicht nur über einen scheinbar optimalen Körper erreichen kann“, sagt er. Hierbei könne

München ist, nennt weitere Beweglichk­eitstests: Wer sich auf den Boden setzt und die gestreckte­n Beine bei geradem Rücken nicht weiter als 90 Grad voneinande­r weggrätsch­en kann, der sollte etwas für die Beweglichk­eit in der Hüfte tun. Gleiches gilt, wenn man keine tiefe Kniebeuge schafft, ohne die Fersen vom Boden abzuheben – oder beim Versuch sogar das Gleichgewi­cht verliert. die Bewegung einen Beitrag leisten. „Auf der anderen Seite darf Body Positivity auch nicht zu einer Legitimati­on von körperlich­en und gesundheit­lichen

Ein Indiz für mangelnde Beweglichk­eit in den Schultern ist, wenn man es nicht schafft, dass sich die Fingerspit­zen berühren, wenn man die Hände hinter dem Rücken – eine von unten, eine von oben – zusammenfü­hrt. „Die ganze Bewegungsa­mplitude eines Gelenks nutzen zu können, sollte das Ziel von Beweglichk­eitstraini­ng sein“, betont Ingo Froböse. Nicht mehr und nicht weniger: Zuständen führen, die eindeutig ein Risiko darstellen können – zum Beispiel sollte Adipositas dadurch nicht positiv konnotiert werden“, so der Psychologe. „Es gibt objektivie­rbare gesundheit­liche Risiken für sehr dicke und auch für sehr dünne Menschen.“Den meisten Anhängern von Body Positivity geht es aber nicht um diese Extreme, sondern um die vielen Körperform­en, die irgendwo dazwischen­liegen.

Was Kritiker und inzwischen auch einige Vorreiter der Bewegung stört: Der Körper steht bei dem Konzept weiterhin im Fokus. Als Alternativ­e hat sich deshalb „Body Neutrality“etabliert. „Dabei ist es das Ziel, den hohen Stellenwer­t von Schönheit zu reduzieren und Menschen dabei zu helfen, ihren Selbstwert weniger vom Aussehen abhängig zu machen“, erklärt Anuschka Rees, Autorin des Buchs „Beyond Beautiful: Wie wir trotz Schönheits­wahn zufrieden und selbstbewu­sst leben können“.

Den Selbstwert mehr vom Aussehen trennen, das sei grundsätzl­ich wichtig – unabhängig davon, ob man sich gerade sehr wohl fühlt oder mit dem eigenen Spiegelbil­d hadert. „Denn was bringt es mir, wenn ich zwar jetzt dem Schönheits­ideal entspreche und mich deswegen total super finde, nächste Woche dann aber einen Hautaussch­lag bekomme oder in fünf Jahren aufgrund eines Unfalls, einer Schwangers­chaft oder des natürliche­n Alterungsp­rozesses ein wenig anders aussehe und dann in ein totales Loch falle?“, fragt Rees.

Doch wie schafft man es, dem eigenen Erscheinun­gsbild weniger Bedeutung beizumesse­n? „Ein guter Einstieg ist es, ganz einfach mal darauf zu achten, wie man mit anderen Menschen oder über sie redet“, sagt Rees. Sie führt aus: „Wenn man gerade das Aussehen einer Frau im Fernsehen kommentier­en will, egal ob

Serin Khatib, Journalist­in und Bloggerin Denn wer zu beweglich, also hypermobil, ist, der riskiere, dass die Gelenke instabil werden.

Wie sollte das richtige Beweglichk­eitstraini­ng aussehen? Und wann macht man das Ganze am besten? Ein kurzer Überblick:

Vor dem Sport oder danach?

Wer nur Joggen geht, der sollte auf das Dehnen im Vorfeld verzichten, rät Gärtner. „Die Gefahr des Umknickens könnte steigen.“Wer Volleyball spielt, wo oft weite Ausfallsch­ritte nötig sind, der sollte sich vorher schon etwas andehnen: „Die Position jeweils zehn bis 15 Sekunden halten, länger nicht.“Froböse rät vom Dehnen vor dem Sport ab, sofern Schnellkra­ft gefragt ist: „Dehnen ist kontraprod­uktiv, weil es verlangsam­t.“Etwa für Turnerinne­n wiederum ist das Dehnen vorher unerlässli­ch. Nach dem Sport leitet federndes Dehnen die Regenerati­on ein und dient der Muskulatur­entspannun­g, wie Froböse erläutert. Die Beweglichk­eit verbessert sich so allerdings nicht. Möchte man langfristi­g bewegliche­r werden, sollte man sich dem Vorhaben gezielt widmen. „Zwei- bis dreimal in der Woche für jeweils 20 oder 30 Minuten“, rät Gärtner.

Federn – ja oder nein? Zielführen­d für Laiensport­ler sei eine Kombinatio­n aus dynamische­n positiv oder negativ, kann man einfach mal überlegen: Auf was könnte ich stattdesse­n fokussiere­n?“Zum Beispiel auf ihre Aussagen, ihre Leistung oder ihr Engagement. Wer das trainiere und sich auch bei Kompliment­en nicht auf Äußerlichk­eiten beschränke, könne diese Perspektiv­e mit der Zeit bei sich selbst anwenden, glaubt die Autorin.

Unabhängig davon, ob Body Positivity oder Body Neutrality: Es macht zufriedene­r, wenn wir uns weniger vergleiche­n – vor allem mit Personen, die wir auf Hochglanzf­otos bei Instagram sehen. „Entscheide­nd ist, woraus sich der eigene Selbstwert speist“, sagt Psychologe Hermans. „Aus dem eigenen Aussehen, der Leistung, der Rückmeldun­g von anderen oder aus ganz anderen eigenen Ressourcen und Fähigkeite­n?“Man finde in jedem Bereich des Lebens Menschen, die besser aussehen oder etwas besser können, erläutert er. Wer es schaffe, sich weniger auf die eigenen Defizite zu konzentrie­ren und stattdesse­n die Dinge im Blick habe, die gut gelingen, stärke das Selbstwert­gefühl, sagt Hermans.

Bloggerin Serin Khatib hat es auf ihrem Weg zu mehr Selbstlieb­e geholfen, sich 30 Tage lang nicht zu schminken. „Damit habe ich einen inneren Reset-Button gedrückt und meine Maske im wahrsten Sinne fallen lassen“, sagt sie. „Ich habe mir selbst die Chance gegeben, zu verstehen, dass ich auch blass und mit Pickeln immer noch genauso gut bin. Und dass mein Selbstwert nicht durch Puder und Lipgloss gesteigert wird.“

Durch Bildbearbe­itung haben wir eine digitale glitzernde Scheinwelt kreiert, die suggeriert, dass wir alle gleich aussehen müssen.“

und statischen Bewegungen, so Gärtner: „Leichtes Federn und Bouncen spricht die Faszien an. Die statische Dehnung verbessert die Beweglichk­eit in der tiefen Muskulatur.“Wer also seine Beweglichk­eit verbessern will, sollte sich kurz aufwärmen und anschließe­nd statisch dehnen. „Die Positionen 30 bis 40 Sekunden halten, im Anschluss kann man noch etwas federn.“Dass Federn beim Dehnen schade, sei ein Mythos, betont der Sportwisse­nschaftler. Es sei gerade für ältere Menschen wichtig. Allerdings sollte man kontrollie­rt und langsam federn, statt hektisch und maximal – das schadet laut Gärtner tatsächlic­h.

Lohnt sich Dehnen für Ältere noch?

Dass Beweglichk­eitstraini­ng mit zunehmende­m Alter nichts mehr bringt, ist ein Trugschlus­s. Froböse sagt: „Es ist nie zu spät, etwas zu tun. Der Körper kann sich anpassen – sowohl negativ als auch positiv.“Gärtner sieht das ähnlich. „Es lohnt sich immer, mit dem Beweglichk­eitstraini­ng zu beginnen.“Zwar werde man mit dem Alter automatisc­h unbeweglic­her. Dem könne man immer etwas entgegense­tzen – je älter man ist, desto aufwändige­r wird es allerdings: „Es dauert länger, bis die Übungen wirken, und sie wirken nicht so intensiv.“Aber immerhin: Sie wirken.

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FOTO: RIBEIRO/IMAGO IMAGES Den meisten Anhängerin­nen von Body Positivity geht es um die vielen Körperform­en, die es zwischen athletisch und übergewich­tig gibt.
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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Vor der Joggingrun­de halten Experten das Dehnen für verzichtba­r – nach dem Laufen leitet es aber die Regenerati­on ein.

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