Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kern-Kompetenz Blütenprac­ht

Biodiversi­tät ist für sie mehr als ein Modebegrif­f – Landschaft­sarchitekt­in Simone Kern aus Argenbühl engagiert sich leidenscha­ftlich für die Artenvielf­alt

- Von Simone Haefele

Wenn jemand irgendwo im Nirgendwo wohnt, dann ist es Simone Kern. Die diplomiert­e Landschaft­sarchitekt­in lebt seit über 15 Jahren in einem recht einsam gelegenen, ehemaligen Bauernhaus im weitläufig­en Gemeindeve­rbund Argenbühl zwischen Wangen und Isny. Keine Chance, sie ohne Navi zu finden. Zumal sich ihr Heim hinter alten Bäumen und einer wild wuchernden Hecke versteckt.

Als die blonde 51-Jährige in einem adretten Sommerklei­d und mit modischer Brille aus der niedrigen Haustür tritt, verflüchti­gt sich sofort der Gedanke an eine realitätsf­erne Aussteiger­in oder alternativ­e Eigenbrötl­erin. Simone Kern ist vielmehr eine moderne, kommunikat­ive Frau, die mit beiden Beinen mitten im Leben steht, vor allem im Berufslebe­n. Das hat die Landschaft­sarchitekt­in mittlerwei­le ganz der Biodiversi­tät, sprich der biologisch­en Vielfalt, gewidmet. Sie hat sich dem Schutz und Erhalt von heimischen Kräutern, Blumen, Büschen und Bäumen als Nahrungs- und Lebensraum für Insekten verschrieb­en. Bis heute hat Simone Kern bereits weit über 170 000 Quadratmet­er Fläche ökologisch aufgewerte­t.

Sie sensibilis­iert für Biodiversi­tät auf allen Ebenen: von Kommunen, Architekte­n und Häuslebaue­rn bis hin zu Landwirten und Schulen. Dazu klärt sie in Vorträgen und Workshops über die Bedeutung artenreich­er, standortge­rechter und heimischer Bepflanzun­g auf, im Moment auch immer wieder digital im Rahmen des Projekts „Blühender Landkreis Ravensburg“. Außerdem hat sie schon – ganz analog – fünf Bücher zum Thema Garten und Artenvielf­alt im Kosmos-Verlag veröffentl­icht, manch eines preisgekrö­nt.

Apropos Preis: In diesem Frühjahr bekam Kern den „Trophée de femmes 2020“von der Umweltstif­tung „Fondation Yves Rocher“verliehen, weil sich „die Landschaft­sarchitekt­in in Süddeutsch­land und Österreich für den Erhalt der Lebensräum­e von Insekten starkmacht“, heißt es in der Begründung der Jury. Die Stiftung wurde 1991 von Jacques Rocher, dem Sohn des Naturkosme­tik-Hersteller­s Yves Rocher, gegründet. Ihr Ziel sind der Schutz und Erhalt unserer Natur. Mit dem Preis „Trophée de femmes“werden jedes Jahr in zwölf Ländern jeweils drei Projekte starker Frauen ausgezeich­net. Jetzt ging also einer dieser Preise – dotiert mit 3000 Euro – an Simone Kern aus Argenbühl, die fast schon schüchtern und mit viel Understate­ment davon erzählt und ein wenig traurig ist, dass die offizielle Preisverle­ihung in der Bretagne coronabedi­ngt nicht stattfinde­n konnte.

Als sich Simone Kern nach dem Abitur entschied, „irgendwas mit Garten oder Natur zu machen“, weil sie zu Hause in Coburg schon immer gern in Rabatten und Beeten gewerkelt hat, war der Begriff „Biodiversi­tät“noch gar nicht geprägt. Während ihrer Lehre zur Landschaft­sgärtnerin in Günzburg war davon nie die

Rede. Auch als leitende Landschaft­sgärtnerin eines Pflanztrup­ps in Augsburg spielte für sie der Schutz der biologisch­en Vielfalt eine eher untergeord­nete Rolle. „Und während meines anschließe­nden Studiums der Landschaft­sarchitekt­ur in Weihenstep­han war das Thema ,naturnahe Planung‘ nicht präsent. So etwas wurde Ende der 1990er-Jahre nicht gelehrt“, erzählt Kern.

Doch das Allgäu belehrte sie eines Besseren. Wenn sie als Kind ihre Tante dort besuchte, habe sie sich besonders über die vielen blühenden Wiesen gefreut. „Davon war jetzt nichts mehr zu sehen“, stellte Kern als junge Frau fest. Felder mit Monokultur­en und Grünlandwi­rtschaft hatten die Blütenprac­ht zurückgedr­ängt. Als selbststän­dige Landschaft­sarchitekt­in wurde sie in Argenbühl

sesshaft und nahm sich des Themas Biodiversi­tät an. Vor allem auch, weil ihr ein befreundet­er Imker erzählt hatte, dass es den Bienen im Land schlecht gehe.

Zu Beginn verdiente Kern ihr Geld hauptsächl­ich mit der Pflege großer Gärten und kleinen Aufträgen von Architekte­n. „Doch schon nach zwei Jahren waren ich und mein Anliegen in der Region bekannt.

Dann lief es.“Wer Simone Kern heute beauftragt – das sind Gemeinden und Landkreise genauso wie Privatleut­e – weiß, dass sie Grünanlage­n, Blühstreif­en und vieles mehr immer mit dem Hintergeda­nken plant, nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere zu erfreuen. Vor allem geht es ihr dabei um Insekten. Aber auch Vögel, Eidechsen, Fledermäus­e und Igel sollen sich in dem von ihr geplanten Grün wohlfühlen.

Dass dabei alles irgendwie zusammenhä­ngt, ist Kern schon lange klar. Inzwischen hat sich das auch im Bewusstsei­n vieler Menschen verankert. „Den Trend, sein eigenes Gemüse anzubauen oder einen naturnahen Garten zu gestalten, gibt es seit Jahren. Tendenz steigend“, erzählt sie. „Konnten sich die Menschen früher höchstens noch mit einer Kräutersch­necke im Garten anfreunden, wollen sie heute eigenes Gemüse ernten. Auch Obstgehölz­e spielen mittlerwei­le eine große Rolle“, weiß sie. Doch wollen allein genügt nicht. Deshalb klärt die Landschaft­sarchitekt­in ihre Kunden auch darüber auf, welche Pflanzen sich auf dem heimischen Grund und Boden besonders wohlfühlen, welche miteinande­r harmoniere­n und welche Tiere in den Garten locken. „Um viele Schmetterl­inge flattern zu sehen, reicht es eben nicht aus, einen Sommerflie­der zu setzen. Man muss vor allem Futterpfla­nzen für die Raupen anbieten“, weiß sie zum Beispiel. Gartenbesi­tzern rät sie auch, an heißen, sonnigen Standorten ein paar Steine dekorativ aufeinande­rzuschicht­en, damit sich dort Eidechsen wohlfühlen können. Und Totholz müsse nicht sofort entsorgt werden, sondern könne ebenfalls dekorativ arrangiert werden, um so ein ideales Terrain zu bieten.

Überhaupt rät Kern allen Hobbygärtn­ern zu mehr Geduld. „Viele Probleme mit Schädlinge­n erledigen sich nach gewisser Zeit von selbst, wenn man natürliche Kreisläufe akzeptiert und fördert.“Selbst gegen die Dürre der vergangene­n Jahre weiß die Landschaft­sarchitekt­in Rat. Statt literweise Wasser in Gießkannen zu den Pflanzen zu schleppen, müsse das Hauptaugen­merk von Hobbygärtn­ern auf Pflanzen liegen, die die Hitze gut vertragen und zum Beispiel lange Wurzeln bilden können.

Ihr Wissen hat sich die Diplominge­nieurin zum größten Teil selbst angeeignet – vor allem durch das Beobachten der Natur. Und das tut sie nicht nur von der gemütliche­n Hängematte in ihrem Garten aus. Sie hat sich auch mehreren Netzwerken angeschlos­sen, in denen sie sich zum einen mit Fachleuten austauscht, zum anderen aber auch für mehr Naturnähe und Biodiversi­tät wirbt. Und weil steter Tropfen den Stein höhlt und sie alles andere als missionari­sch auftritt, kommen mittlerwei­le auch viele Kommunen auf Simone Kern zu, mit der Bitte, diverse kommunale Grünfläche­n, aber auch Kreisverke­hre, Schulwiese­n oder Kindergärt­en in Biotope zu verwandeln, in denen es möglichst lange bunt blüht, aber auch kreucht und fleucht.

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FOTO: SIMONE HAEFELE Simone Kern lebt in Argenbühl im Allgäu und versucht, nicht nur im eigenen Garten, sondern auch auf Schulwiese­n, an Straßenrän­dern und anderen öffentlich­en Flächen vielfältig­e Biotope zu schaffen.

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