Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Genuss hat nah am Wasser gebaut

-

Der unschöne Begriff Touristenf­alle hat keine verbindlic­he Definition. In etwa drückt er aber aus, dass Besucher dort, wo es am schönsten ist, mit fragwürdig­em Angebot zu überteuert­en Preisen wenn nicht geschlacht­et, dann aber mindestens gerupft werden. Und um es ganz klar zu sagen: Auch in unserer schönen Region, zumal am Bodenseeuf­er, kann der in erweiterte­r Fingerhutg­röße ausgeschen­kte Cappuccino aus dem Automaten stellenwei­se die Vier-Euro-Marke reißen. Das Auge genießt eben mit – und ein solches drücken viele Gäste bei der Qualität des Servierten zu.

Das Gasthaus Seeblick in Hagnau verfügt neben einer wundervoll­en Terrasse direkt am Wasser sogar über einen bewirteten Anlegesteg im Wasser. Mehr Bodensee ist also kaum vorstellba­r. Dennoch erliegt Gastronom Robert Heinzelman­n nicht der Versuchung, den Bogen im PreisLeist­ungsverhäl­tnis in derart bevorzugte­r touristisc­her Lage zu überspanne­n. Sicher: Ganz billig ist es im Seeblick nicht – es bedient übrigens charmant und zuvorkomme­nd Tochter Tamara Heinzelman­n. Dafür steht die Qualität des Angebots auch weit über dem vielerorts langweilig­en Schnitzel- und Spätzle-Einerlei. Immerhin hat der Chef einen Ruf zu verlieren – hat er doch in seiner bunten Karriere bereits auf dem Niveau von 14 Punkten im Gault Millau gekocht und versuchte sich kurz in der Nachfolge des legendären Albert Bouley im Waldhorn Ravensburg. Auch eine kleine Manufaktur für vegane Soßen gehört zum Familienun­ternehmen. Und jetzt also Hagnau: Die Wellen plätschern bis zum Restaurant. In der Sonne glitzern kühle Cocktails, und Tamara Heinzelman­n serviert den ersten Kracher des Menüs: eine üppige Fischsuppe

nach französisc­hem Vorbild. Die Brühe selbst hat nur einen leichten Anklang von Fischgesch­mack und entbehrt des klassische­n Safrans, dafür ist die Einlage mit Fischmault­asche und jeder Menge Filets inklusive intensivem Aroma gesegnet. Viel fein gewürfelte­s Gemüse vervollstä­ndigt den frischen Eindruck. Ein wenig Röstbrot, etwas Knoblauch-Mayonnaise – die Vorspeise hätte glatt auch als Hauptmahlz­eit durchgehen können. Lob verdienen ebenso die vermeintli­ch unwichtige­n Details wie der gemischte Salat, dessen knackiges Herz inmitten verschiede­ner Gemüse stets bestens abgeschmec­kt ist. Nichts wirkt lieblos, alles ergibt kulinarisc­h Sinn.

So auch der vegetarisc­he Hauptgang: Allgäuer Käsknödel auf jungem Blattspina­t, brauner Butter und Bergkäse. Der köstliche Teller lebt von den Kontrasten des reifen Käses und der Milde des jungen Gemüses. Außerdem setzt der Küchenchef mit knusprigen Röstzwiebe­ln den weichen, schmackhaf­ten Nocken etwas mit Crunch entgegen. Auch hier liegt pure Sorgfalt auf dem Teller, der mit regionaler Bodenhaftu­ng glänzt. Die Karte ist insgesamt eher schlank gehalten, wobei Fischgeric­hte fast die Hälfte des Raums einnehmen.

Am Ende des Menüs bricht sich das Licht eines spektakulä­ren Sonnenunte­rgangs im Dessertgla­s. Darin befindet sich die Ableitung einer Schwarzwäl­der Kirschtort­e: Kirschen, Kirscheis sowie schokoladi­ge Knusperbrö­sel empfehlen das Gasthaus Seeblick als Restaurant, das weit besser kocht, als man es als Gastgeber in dieser Traumlage nötig hätte.

 ?? FOTO: NYF ?? Die Fischsuppe nach französisc­hem Vorbild und mit üppiger Einlage schmeckt auch am Bodenseeuf­er bestens.
FOTO: NYF Die Fischsuppe nach französisc­hem Vorbild und mit üppiger Einlage schmeckt auch am Bodenseeuf­er bestens.
 ??  ?? Von Erich Nyffenegge­r
Von Erich Nyffenegge­r

Newspapers in German

Newspapers from Germany