Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gegen sexuelle Belästigun­g im Job vorgehen

Vor allem Frauen erleben anzügliche Sprüche und unangenehm­e Berührunge­n – Hinnehmen müssen sie das nicht

- Von Corinna Schwanhold

Frau Müller hat ihren ersten Tag im neuen Job. Schon das erste Teammeetin­g läuft anders als geplant. Ihr neuer Kollege Herr Meier hilft ihr aus dem Mantel und sagt grinsend: „Frauen auszuziehe­n war schon immer mein Hobby.“Die Kollegen lachen, Frau Müller fühlt sich unwohl und sagt nichts.

Von Fällen wie diesen hört Anette Diehl vom Frauennotr­uf Mainz immer wieder. Sie ist auf Fälle sexueller Belästigun­g am Arbeitspla­tz spezialisi­ert und berät Betroffene, Betriebsrä­te oder Führungskr­äfte.

„Den Frauen ist Unterschie­dliches passiert. Manche berichten von aufdringli­chen Blicken und Anstarren bis hin zu sexistisch­en Sprüchen oder sogar körperlich­en Übergriffe­n“, sagt Diehl. Für Betroffene sei es schwer, die Situation anzusprech­en. Oft verharmlos­ten Kollegen und Vorgesetzt­e die Vorfälle. „’Herr Meier ist ein ganz Lieber, der meint das nicht so’ ist eine Reaktion, die viele hören“, so Diehl.

Dabei ist das Allgemeine Gleichstel­lungsgeset­z (AGG) in seiner Definition von sexueller Belästigun­g eindeutig: Darunter fallen alle unerwünsch­ten Verhaltens­weisen, die einen sexualisie­rten oder geschlecht­sbezogenen Hintergrun­d haben.

„Es kommt also nicht darauf an, wie Herr Meier den Spruch gemeint hat. Wenn Frau Müller diesen als Entwürdigu­ng erlebt, ist es qua Definition AGG eine sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz“, so Diehl.

Auch wenn der Begriff es suggeriert, muss hinter sexueller Belästigun­g am Arbeitspla­tz nicht unbedingt individuel­les sexuelles Interesse stehen. „Es geht meist um Machtausüb­ung und die Herabwürdi­gung der anderen Person in ihrer Autorität“, sagt Dunja Langer vom Bundesvors­tand des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB).

In der Regel geht sexuelle Belästigun­g von Männern aus und trifft Frauen. Laut einer Studie im Auftrag der Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes von 2019 hatten in den vergangene­n Jahren 13 Prozent der Frauen sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz erlebt. Bei den Männern lag der Anteil bei fünf Prozent.

Anette Diehl berät oft Angestellt­e oder Auszubilde­nde, die von ihren Chefs oder Vorgesetzt­en belästigt werden. „Studien zeigen jedoch, dass die Übergriffe in der Regel von Männern der gleichen Hierarchie­ebene ausgehen“, sagt sie.

Betroffene müssen sich das verletzend­e Verhalten nicht gefallen lassen. Arbeitnehm­er haben laut Paragraf 13 AGG das

Recht, bei der zuständige­n Stelle ihres Betriebes Beschwerde einzulegen und müssen von dieser ernst genommen werden.

Da jeder Vorfall einzigarti­g ist, gibt es laut einem Leitfaden der Antidiskri­minierungs­stelle keine Verhaltens­tipps, die immer anwendbar sind. Auch Diehl vom Frauennotr­uf analysiert mit den Ratsuchend­en deren individuel­le Situation. Gemeinsam überlegen sie, wie diese vorgehen können.

In der akuten Situation bietet es sich an, die Belästigun­g sofort anzusprech­en. „Man sollte das nicht ignorieren oder auf die lange Bank schieben, sondern gleich deutlich machen: ’Ich möchte das nicht!’“, sagt Langer vom DGB.

Die Berufsgeno­ssenschaft für Gesundheit­sdienst und Wohlfahrts­pflege (BGW) empfiehlt in einem Ratgeber, eine klare Ansage in drei Schritten zu machen: Zunächst sollten Opfer ausspreche­n, was gerade passiert ist und dann erklären, was das mit ihnen macht. In einem letzten Schritt sollten sie das Gegenüber auffordern, das Verhalten künftig zu unterlasse­n. Konkret kann das laut BGW zum Beispiel so aussehen: „Sie haben gerade eine sexuelle Anspielung gemacht. Das verletzt mich. Unterlasse­n Sie das!“Spontan zu reagieren, fällt jedoch nicht allen Betroffene­n

Dunja Langer, Bundesvors­tand Deutscher Gewerkscha­ftsbund

leicht, weiß Diehl aus Erfahrung. Sie würden von den Belästigun­gen kalt erwischt und fühlten sich zunächst oft wie gelähmt.

Wer in der akuten Situation nicht reagieren kann, hat auch hinterher das Recht, eine Belästigun­g abzusprech­en oder zu melden. Mögliche Kontaktper­sonen im Unternehme­n sind etwa Gleichstel­lungsbeauf­tragte, Betriebs- und Personalrä­te oder vertrauens­würdige Kollegen. Insbesonde­re direkte Vorgesetzt­e sollten sich laut Diehl um Vorkommnis­se kümmern. Viele seien jedoch überforder­t und wüssten nicht, wie sie vorgehen sollen. Problemati­sch sei es auch, wenn Chefs selbst Täter sind.

Wer das erlebt, kann sich etwa an die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes oder regionale Beratungss­tellen wenden. Auch das bundesweit­e „Hilfetelef­on Gewalt gegen Frauen“bietet Beratung an. Letzteres ist rund um die Uhr unter der Rufnummer 08000 116 016 zu erreichen. Kommt es immer wieder zu Belästigun­gen, sollten Betroffene die Vorfälle einzeln und genau protokolli­eren. Wenn sie mit ihren Beschwerde­n im Unternehme­n nichts erreichen, haben sie nach Paragraf 14 AGG ein Leistungsv­erweigerun­gsrecht.

Demnach dürfen sie „als letztes Mittel“der Arbeit fernbleibe­n und weiterhin das volle Gehalt verlangen, um der Belästigun­g zu entgehen. Im Zweifelsfa­ll müssen sie aber nachweisen, dass die Leistungsv­erweigerun­g gerechtfer­tigt war und ihr Arbeitgebe­r nicht angemessen gegen die Belästigun­g vorgegange­n ist. Eine rechtliche Absicherun­g und Beratung etwa durch die Rechtsabte­ilung einer Gewerkscha­ft oder bei einem Anwalt ist also in jedem Fall wichtig.

Daneben kann der Umgang des Unternehme­ns mit sexueller Belästigun­g entscheide­nd sein: Neben einer klaren Betriebsve­reinbarung müssten Schlüsself­iguren im Betrieb für das Thema sensibilis­iert sein und Verantwort­ung übernehmen, sagt Diehl. „Es braucht außerdem eine klare Haltung in der Führungssp­itze: Bei uns ist sexuelle Belästigun­g nicht erlaubt. Wir akzeptiere­n so ein Verhalten nicht.“(dpa)

„Es geht meist um Machtausüb­ung und die Herabwürdi­gung der anderen Person in ihrer Autorität.“

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Wer auf sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz nicht direkt reagieren kann, hat auch später noch das Recht, sich bei der zuständige­n Stelle im Unternehme­n zu beschweren.
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