Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gastrobran­che nagt am Hungertuch

Milliarden­verluste in der Corona-Krise – Der Sommer brachte nur zeitweilig­e Entspannun­g

- Von Matthias Arnold

BERLIN (dpa) - In den vergangene­n Sommerwoch­en haben Restaurant­betreiber, Kneipiers und ihre Gäste zunächst aufgeatmet. Für die Bürger kehrte mit der Öffnung zahlreiche­r Gastro-Betriebe zumindest ein kleines Stück Normalität zurück in ihren coronagepr­ägten Alltag. Für die Betriebe wiederum bedeutete es vor allem eine finanziell­e Entlastung nach drei Monaten Schließung ohne jeden Umsatz. Trotz der Lockerunge­n gibt es für die gesamte Branche jedoch keine Entwarnung – und mit dem anstehende­n Herbst und kälteren Temperatur­en wächst die Sorge in den Betrieben.

Allein zwischen März und Juni dieses Jahres verzeichne­te das Gastrogewe­rbe im Vergleich zum Vorjahr beim Umsatz Einbußen in Höhe von 17,6 Milliarden Euro, wie der Hotelund Gaststätte­nverband Dehoga am Dienstag in Berlin auf Basis von Daten des Statistisc­hen Bundesamts mitteilte. Fast elf Milliarden Euro davon entfielen allein auf die Monate April und Mai.

Im gesamten ersten Halbjahr gingen die Erlöse im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum damit um nahezu 40 Prozent zurück. „Unsere Betriebe waren die ersten, die von den Folgen des Coronaviru­s betroffen waren und wir werden in all unseren Betriebsfo­rmen auch diejenigen sein, die zuletzt wieder ans Netz gehen dürfen“, sagte Dehoga-Präsident Guido Zöllick bei der Vorstellun­g der Halbjahres­bilanz. Die gesamte Branche gehe laut einer Umfrage des Verbands von Umsatzverl­usten in Höhe von 50 Prozent für das gesamte Jahr aus.

Am härtesten trifft es demnach das Beherbergu­ngsgewerbe. „In diesem Jahr sind die Übernachtu­ngszahlen dramatisch eingebroch­en“, sagte Zöllick, „vor allen Dingen auch, wenn es um internatio­nale Gäste geht, da verzeichne­n wir ungefähr 60,5 Prozent Rückgang gegenüber dem Vorjahresz­eitraum.“Zwar machten viele Deutsche in diesem Sommer im eigenen Land Urlaub, wovon vor allem Küstenländ­er wie Mecklenbur­g-Vorpommern profitiert­en. Doch selbst dort ging der

Umsatz noch im August um mehr als 20 Prozent zurück. Am schwersten hatten es mit Blick auf Übernachtu­ngen große Städte wie Hamburg und Berlin, wo Messen, Konzerte und Sportveran­staltungen im großen Stil abgesagt wurden.

Deutlich schneller zurückgeke­hrt ist die Nachfrage in Kneipen und Restaurant­s, auch wenn sie aufgrund von Hygienevor­schriften und einem eingeschrä­nkten Platzangeb­ot ebenfalls noch nicht wieder beim Vorkrisenn­iveau angelangt sind. Vor allem bei kleinen Betrieben, „ohne Gastronomi­e, die draußen stattfinde­n kann“, rechne sich eine Öffnung aktuell gar nicht, sagte Zöllick. „Katastroph­al ist die Stimmung ebenfalls bei den Diskotheke­n und Clubs, für die es immer noch keine Öffnungspe­rspektive und damit keine Aussicht auf Umsatz gibt.“

Zuletzt hatte sich vor allem der Berliner Dehoga-Landesverb­and dafür stark gemacht, im Herbst sogenannte Heizpilze in den Außenberei­chen zu erlauben, um die Nachfrage auch in den kälteren Monaten nicht abbrechen zu lassen. Die Handhabe mit den aufgrund ihrer Umweltschä­dlichkeit umstritten­en Heizpilzen ist in den Kommunen sehr unterschie­dlich. Vielerorts sind sie verboten. Aber Stuttgarts Oberbürger­meister Fritz Kuhn beispielsw­eise will den Gastwirten in der CoronaPand­emie entgegenko­mmen und die Nutzung von Heizpilzen im Herbst und Winter vorübergeh­end auch in der Innenstadt erlauben lassen.

Zöllick sagte am Dienstag: „Wichtig wird auch sein, dass die Kommunen weiterhin großzügig sind bei der Genehmigun­g von Außenfläch­en oder von Windschutz, Wintergärt­en oder Pavillons sowie im Umgang mit Wärmestrah­lern, um die Außengastr­onomiesais­on zu verlängern.“

Vom Bund forderte Dehoga-Präsident Zöllick unbürokrat­ischere Hilfen. „Der Topf ist groß genug, das Problem ist, dass die Wirtschaft das Geld im Moment nicht nutzen kann, weil Regularien zu engstirnig und zu streng aufgestell­t sind“, sagte Zöllick. Von den sogenannte­n Überbrücku­ngshilfen in Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro seien bislang deshalb lediglich knapp eine Milliarde Euro abgerufen worden.

Die Überbrücku­ngshilfe ist ein Teil des Konjunktur­pakets, das der Bund im Juli beschlosse­n hatte. Sie muss nicht zurückgeza­hlt werden und richtet sich nicht nur an die Gastronomi­e, sondern an alle kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n. Größere Unternehme­n profitiert­en davon allerdings nicht, kritisiert­e Zöllick.

Verbrauche­r profitiere­n indes nicht von günstigere­n Hotelpreis­en aufgrund der geringeren Nachfrage. „Wir haben auch im Vorfeld nur sehr geringe Gewinnmarg­en in den Betrieben gehabt“, sagte Zöllick. „Mit sinkenden Umsätzen wird das Ganze nicht besser.“

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH Ein Gastronom demonstrie­rt im Juni auf dem Marktplatz in Hannover: Im Gastgewerb­e gingen die Erlöse im gesamten ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um nahezu 40 Prozent zurück.

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