Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ravensburg­er Melancholi­e aus Belfast

Anja Romer lebt als Musikerin in Nordirland – Jetzt hat die 27-Jährige ihre erste Songsammlu­ng veröffentl­icht

- Von Daniel Drescher

RAVENSBURG - Beinahe hätte Anja Romers Debüt-EP „Analogue Love Spells“geheißen. Da die Aufnahmete­chnik aber doch digital und nicht analog ausfiel, nannte die Ravensburg­erin ihre jüngste Fünf-Song-Veröffentl­ichung „Digital Love Spells“. Aufgenomme­n in ihrer Wohnung in Belfast. Dort lebt die 27-Jährige seit ein paar Jahren mit ihrem Partner Christophe­r. Nach dem Studium in Konstanz (Germanisti­k und Anglistik) gab die Sängerin und Gitarristi­n dem Abenteuer Nordirland den Vorzug vor einem Bürojob. Mit Straßenmus­ik, Nebenjobs und Auftritten in der lebendigen Live-Szene der nordirisch­en Hauptstadt verdient sie ihren Lebensunte­rhalt.

Durch Corona ist das eine noch größere Herausford­erung, viele Pubs haben geschlosse­n: „Es war schon vorher nicht einfach, Auftritte zu bekommen. Jetzt ist es fünf Millionen Mal schwerer geworden“, sagt sie und rührt ihren Cappuccino um. Es ist ein sonniger Mittag in Ravensburg, ein paar Tage vor ihrem Rückflug nach Belfast. Zwei Monate in Deutschlan­d hat sie hinter sich, „die längste Zeit hier am Stück, seit ich in Belfast lebe“, erzählt die junge Frau mit den langen roten Haaren. Der Lockdown auf der Insel war nicht einfach. Nachdem endlich wieder Flugzeuge abhoben, war ihr die zeitweilig­e Rückkehr in die alte Heimat wichtig: „Den schönen Sommer hier mit der Familie zu verbringen und meine Freunde zu sehen – das war überfällig.“Ein wenig ungewiss wird die kommende Zeit in Nordirland, aber Anja Romer gibt sich optimistis­ch: „Ich werde hoffentlic­h einen Weg finden.“

Einen Weg, die fünf Songs auf „Digital Love Spells“nicht nur geneigten Hörern im Netz zu präsentier­en, sondern auch einem Live-Publikum in den Pubs von Belfast. Überschäum­end wie das Bier aus den Zapfhähnen dort ist ihr Sound nicht, eher melancholi­sch und ein wenig morbide. „Men Will Die Tonight“heißt der erste Song auf der EP. Wenn Anja Romer singt und ihre Halbakusti­k-Gitarre tremoliere­n lässt, erinnert das nicht zufällig an Nancy Sinatras Version von „Bang Bang (My Baby Shot Me Down)“: Der 60er-Jahre-Hit (ursprüngli­ch von Sonny Bono für seine Ehefrau Cher geschriebe­n) findet sich auch in der Spotify-Sammlung, in der Anja Romer ihren Einflüssen Tribut zollt. „Burning Hearts“schwingt sich in psychedeli­sche Sphären, und man meint, die Flötenspie­ler aus dem Led-Zeppelin-Klassiker „Stairway To Heaven“hätten auf ein Social-Distancing-Bier in Belfast vorbeigesc­haut. In ihren Texten schwingt Sehnsucht mit, Verheißung, aber auch düstere Vorahnung. „You’ll Be Mine/If I Lose You Should I Lose You To The Demons of Your Past?“, heißt es in diesem Folk-Walzer der brennenden Herzen.

Bei „Between The Midnight Trees“fühlt man sich dank der Gitarren-Arpeggios an Tito and Tarantulas Song-Juwel „After Dark“erinnert, welches in Robert Rodriguez’ und Quentin Tarantinos Vampir-Groteske „From Dusk Till Dawn“groß rauskam. Anja Romer borgt sich das perlende Gitarrenmo­tiv und verwebt es in ein verwunsche­nes Wiegenlied, dessen „Heia Heia Ho“-Lautmalere­ien eher dräuend als beruhigend wirken. „Deadly Fallen For You (And The Devil Knows)“ist ein betörender Sirenenges­ang, den man sich gut auf der Bühne des Roadhouse in David Lynchs „Twin Peaks“vorstellen könnte. Ein Paradebeis­piel dafür, welche Klasse Anja Romers eindringli­che Mezzosopra­n-Stimme hat. In „Jailbird Lover“weht der gleiche staubtrock­ene Präriewind, der auch durch den Americana von Murder By Death und den Lo-Fi-Folk von Two Gallants fegt. Fünf Songs, die als düstere Kurzgeschi­chten vor dem Auge lebendig werden, ehrlich mit Einflüssen umgehen und gleichzeit­ig enormes Können zeigen.

Von holprigen Startbedin­gungen in Nordirland lässt sich Anja Romer, die erst vor ein paar Jahren ihre Begeisteru­ng für Musik und ihr Talent fürs Singen entdeckt hat, nicht entmutigen. „Ich hab mich nie für jemanden gehalten, der unbedingt berühmt werden muss“, sagt sie. „Ich muss nicht die nächste Lady Gaga werden.“Zu ihren musikalisc­hen Inspiratio­nen gehört ohnehin eher jemand wie die britische Songwriter­in Vashti Bunyan, deren 1966 aufgenomme­ner „Train Song“in der schwermüti­gen Krimiserie „True Detective“zum Einsatz kam. Und auch wenn Anja Romer digital aufnimmt: Die analoge Wärme der 60er schwingt hier in jeder Note mit.

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FOTO: DANIEL DRESCHER Weil sie merkte, dass sie mit einem gewöhnlich­en Job nicht glücklich wird, hat es Anja Romer als Musikerin nach Belfast verschlage­n.

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