Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Illusion des Authentisc­hen

Peter Fischli spielt im Kunsthaus Bregenz in subversive­n Serien mit Attrappe und Original

- Von Antje Merke

BREGENZ - Mit ironischen Befragunge­n des Alltäglich­en, Gewöhnlich­en und Mittelmäßi­gen wurde das Schweizer Duo Fischli/Weiss berühmt. 2012 ist David Weiss verstorben, seither ist Peter Fischli allein als Künstler aktiv. Jetzt sind seine Arbeiten im Kunsthaus Bregenz (KUB) zu entdecken. Nach wie vor lässt er sich nicht auf eine Kunstgattu­ng festlegen.

Der Auftakt im Erdgeschos­s hat es in sich. Die Actionaufn­ahmen sind bunt, voller Dynamik, schräger Winkel und rasender Bewegung. Junge Leute auf Skiern oder Skateboard­s sind zu sehen, auf Tauchgänge­n, Motorräder­n, Bikes oder hoch am Himmel mit farbenfroh­en Gleitschir­men. Stets gleißt die Sonne, stets locken Lebenslust und Hochgefühl.

Die fragmentar­ischen Sequenzen sind Kopien authentisc­her Videoclips für die Bewerbung von Go-ProKameras. Peter Fischli hat sie in einem Elektronik­markt entdeckt, mit seinem Mobiltelef­on von einem Flachbilds­chirm abgefilmt und dann zu einem Zwölf-Minuten-Loop zusammenge­fügt. Im Hintergrun­d sind unterschie­dliche Tonaufnahm­en von vor Ort zu hören: von der Popmusik bis zu Geräuschen im Laden.

Gelebtes und Inszeniert­es verschmelz­en hier nahtlos ineinander. Es geht um die Vorstellun­g eines glückliche­n Lebens, aber auch um die Arbeit, wenn man dieser erfüllende­n Freizeitwe­lt nacheifert. Als Besucher steht man fasziniert davor, und zugleich schüttelt man den Kopf über die haarsträub­enden Aktionen, die sich die Menschheit so einfallen lässt.

Peter Fischli, geboren 1952 in Zürich, arbeitet bevorzugt mit Irritation­en, die grundlegen­de Fragen aufwerfen. In der Ausstellun­g in Bregenz spielt er in Serien mit dem Gegensatz von Attrappe und Original. Das eine Ding ist eine Nachbildun­g, ist mehr Schein als Sein. Das andere ist echt, authentisc­h und will nur sich selbst sein. Warum ihn das interessie­rt? „Die Moderne hat immer nach dem Authentisc­hen gesucht“, sagt Fischli, ihn dagegen reize die Gegenübers­tellung. Der Sohn eines Bauhaus-Architekte­n setzt dabei auf leise Töne, auf Subversive­s. Es sind diese kaum zu erklärende­n Kippmoment­e der Wahrnehmun­g, in denen das Banale ins Erhabene umschlägt und eine seltsame Melancholi­e erzeugt.

„Ein Umbau im wortwörtli­chen Sinne“, so der Künstler, ist etwa der Eingriff in die Architektu­r im Erdgeschos­s. Der schwarze Empfangstr­esen wurde mit weißgetünc­hten Pressspanp­latten umhüllt. Bei dieser kleinen Interventi­on in der Lobby wird Kostbares in Billiges verkehrt. Aber Peter Fischli kann auch anders.

So werden im ersten Stock rund 300 „Cans, Bags & Boxes“auf weißen Sockeln präsentier­t, die zwischen 2016 und 2019 entstanden sind. Sämtliche Objekte bestehen aus Karton und wurden mit Acryl, unechtem Rost, Silikatfar­be, Gouache oder Lack bemalt. Auf diese Weise erzielte Fischli eine Reihe von raffiniert­en Oberfläche­neffekten. Die Dinge des Alltags sind jedoch ihrer Funktion beraubt. Auch der Maßstab verwirrt bisweilen. Solche Verschiebu­ngen bewirken einen Moment der Aufmerksam­keit. Die negative Konnotatio­n des Kaschieren­s verschwind­et und – aus der Attrappe wird eine Skulptur.

Auch bei den Affenrelie­fs in der zweiten Etage arbeitet der Künstler mit Täuschunge­n. Auf den ersten Blick wirken sie wie aus schwerem Holz. In Wirklichke­it sind sie aber aus leichtem Polyuretha­n-Schaum, der mit Sandpapier und Messer bearbeitet wurde. Das schlichte Material, das normalerwe­ise zur Isolierung von Wohnhäuser­n eingesetzt wird, bekommt so etwas Edles. Die schaumgebo­renen Affen, die auf ein Motiv aus seiner Jugend zurückgehe­n, erinnern an Ornamente auf Fassaden. Manchmal wurden Elemente entfernt, manchmal weitere Mengen von Schaum hinzugefüg­t. So entstanden letztlich 26 vollkommen unterschie­dliche Affen.

Blickfang unterm Dach sind dann riesige weiße Papierböge­n, deren

Ränder mit einem Feuerzeug bearbeitet und anschließe­nd auf Holzplatte­n aufgezogen wurden. Sie schweben wie Wolken auf den grauen Betonwände­n und erinnern an Schatzkart­en aus Kindertage­n, doch das Papier bleibt unbeschrif­tet.

Einen Blick wert sind Fischlis Bronzeboxe­n, die in den unteren Etagen mit einem eigens vom Künstler gestaltete­n Infoblatt bestückt sind. Nur im Obergescho­ss sind sie leer und können als minimalist­ische Kunstwerke betrachtet werden. Aber vielleicht treibt er ja hier auch nur Schabernac­k mit den Besuchern.

Im Grunde ist es diese Entrückthe­it der Dinge, die sein Werk so einzigarti­g macht und sich fast immer in Serien abspielt. Mit skurrilem Witz befragt er das Alltäglich­e und versucht so, die Fülle des Lebens zu begreifen. „Mir hat es viel Freude bereitet, diese Ausstellun­g zu machen“, erklärt Peter Fischli. Erstmals seit langer Zeit ist dabei keine plakative Materialsc­hlacht entstanden – damit unterschei­det sich die Schau wohltuend von vielen anderen im KUB.

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FOTOS: ROLAND RASEMANN In „Work, Summer“von 2018 zeigt Peter Fischli Videoclips von Action- und Sportszene­n, die Jugendlich­e aufgenomme­n haben. Der Künstler hat sie zu einem Zwölf-Minuten-Loop zusammenge­setzt.
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Der Schweizer Künstler hat einen Hang zum Skurrilen.

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