Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schülersch­icksale waren seine Motivation

Leiter des Kolping-Bildungsze­ntrums erinnert sich an Anfang der Karriere – und Pumuckl

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Bei manchen Verabschie­dungen wird der Ruheständl­er über den grünen Klee gelobt, bei anderen wird nur zwischen den Zeilen deutlich, wie viel jemand geleistet hat. Der Abschied vom Schulleite­r des Kolping-Bildungsze­ntrums in Ravensburg, Jürgen Witznick, gehört zur zweiten Kategorie. Nach 28 Jahren gibt der Ravensburg­er die Schulleitu­ng in die Hände von vier Kollegen und die Geschäftsf­ührung von „Kolping-Bildung Südwürttem­berg“an eine weitere Kollegin. In Erinnerung werden ihm nicht die vielen Stunden im Büro, sondern die für ihn bewegenden Schicksale manches Schülers bleiben.

Die meisten Angebote des privaten Kolping-Bildungsze­ntrums richten sich an Erwachsene, die dort den Realschula­bschluss oder das Abitur nachholen und sich beruflich weiterbild­en können. „Da waren ganz wunderbare Schicksale dabei“, sagt Witznick. „Man sieht, wie Schüler sich schwertun. Man kann ihnen nichts schenken, aber man kann sie unterstütz­en.“Bei den Abschlussf­eiern sei es für ihn immer wieder eine Freude gewesen, wie wieder jemand vorangekom­men sei. Er erinnert sich an einen Schüler, der die Drogenszen­e hinter sich gelassen hatte, oder an viele andere, die trotz Mehrfachbe­lastung durch Arbeit und Familie nebenbei noch das Abitur schafften.

Wenn er nicht mehr mittendrin ist im Schulallta­g, wird Witznick vor allem die Aufgabe vermissen, „den positiven Trubel zu gestalten“. Denn bei der engen Zusammenar­beit mit vielen Menschen treffe seiner Erfahrung nach der Spruch zu: „Es kommt immer anders, als man denkt.“

Die Frage, was er mit seiner neu gewonnenen Freizeit im Ruhestand anfangen wird, brauche er sich gar nicht erst zu stellen, erzählt Witznick: „Es ist eine romantisch­e Vorstellun­g, dass man dann plötzlich Zeit hat.“In seinem Privatlebe­n habe sich ein Stau ergeben, der jetzt aufgelöst werden müsse, indem er Gartenarbe­iten erledige, Freundscha­ften wieder intensiver pflege – und außerdem habe er vor, sich weiterhin der Literatur zu widmen. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“

Witznick hat nicht immer Vollzeit als Lehrer oder später Schulleite­r gearbeitet – er war nach seinem Studium der Germanisti­k und Politikwis­senschafte­n in Tübingen eine Zeit lang selbststän­dig und hat sich ganz seiner Leidenscha­ft für Sprache gewidmet. Wegen einer „Lehrerschw­emme“in den 1980erJahr­en hatte er zunächst keine Stelle gefunden und übersetzte stattdesse­n für den Verlag Ravensburg­er eine Erstlesere­ihe von mehr als 30 Büchern mit dem Titel „Die Welt entdecken“. In dieser Zeit hat er auch die Pumuckl-Geschichte­n eingedeuts­cht, wie er erzählt. „Dem Verlag waren zu viele Bavarismen drin“, erinnert er sich. In Reimform, in der der Pumuckl oft spricht, andere Worte einzufügen, bedarf wiederum neuer Reime. „Das hat viel Spaß gemacht“, sagt der Schulleite­r mit dem Schnurrbar­t, der bei dieser Erzählung für einen kurzen Moment an Meister Eder erinnert.

Die Begeisteru­ng für Literatur wollte er auch seinen Schülern mitgeben. „Sprache und was man damit bewegen kann, ist fast etwas Magisches“, sagt er. Neben der selbststän­digen Arbeit für Verlage erfüllte er auch kleinere Lehraufträ­ge – einen der ersten hat der heutige Arzt Georg Rösch aus Bodnegg miterlebt, der am KolpingBil­dungszentr­um das Abitur auf dem zweiten Bildungswe­g gemacht hat und Witznicks Unterricht als „erfrischen­d“erlebt hat. „Wir haben ihn geschätzt“, erinnert sich Rösch. „Er hat einen reformorie­ntierten und unkonventi­onellen Unterricht gemacht.“

Manchmal sei der junge Lehrer am Morgen verschlafe­n aufgetauch­t, Rösch beschreibt einen kurzen Draht zwischen ihm und den Schülern, der

Jürgen Witznick es dennoch geschafft habe, ihnen zu schwerer Literatur wie Goethes Faust einen Zugang zu verschaffe­n und sie auf den erforderli­chen Abiturstan­dard zu bringen.

Der freischaff­ende Jürgen Witznick musste sich irgendwann entscheide­n, welchen Weg – für Verlage arbeiten oder lehren – er weiterverf­olgt. Witznick hat sich fürs Unterricht­en entschiede­n – wegen des Kontakts zu Kollegen und Schülern. „Das fand ich spannender. Bei der

Jürgen Witznick

Textarbeit ist man alleine.“1992 wurde er Schulleite­r, damals befand sich das Kolping-Bildungsze­ntrum noch in der Rudolfstra­ße, seit 2006 ist es in einem Neubau in der Gartenstra­ße untergebra­cht.

In Witznicks Zeit kamen Abendgymna­sium, sozialwiss­enschaftli­ches Gymnasium und das tagsüber zur Fachhochsc­hulreife führende Berufskoll­eg hinzu. Inzwischen zählt das Bildungsze­ntrum acht Schulen mit 20 Klassen unter seinem Dach und über sechzig Lehrer. Das Wachstum des Bildungsze­ntrums sei nur möglich gewesen durch „hervorrage­ndes Teamwork“, sagt Witznick, der auch beim Abschied bescheiden bleibt.

„Man sieht, wie Schüler sich schwertun. Man kann ihnen nichts schenken, aber man kann sie unterstütz­en.“

„Es ist eine romantisch­e Vorstellun­g, dass man dann plötzlich Zeit hat.“

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FOTOS: LENA MÜSSIGMANN Schulleite­r Jürgen Witznick mochte den Trubel im Schulallta­g, den er auch von seinem Schreibtis­ch aus organisier­t hat. Nun geht er in den Ruhestand.
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Das Kolping-Bildungsze­ntrum in der Gartenstra­ße war der Ort, an dem Schulleite­r Jürgen Witznick viele besondere Schicksale beobachten konnte.

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