Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ich möchte in die Fußstapfen von Grozer treten“

Linus Weber wechselt mit hohen Ambitionen zum VfB Friedrichs­hafen in die Volleyball-Bundesliga

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FRIEDRICHS­HAFEN - Sieben Neue, sieben Abgänge: Im Kader des VfB Friedrichs­hafen hat sich in dieser Transferph­ase so einiges verändert. Schon länger fix ist die Verpflicht­ung von Diagonalan­greifer Linus Weber. Die Häfler haben den 20-Jährigen für ein Jahr vom italienisc­hen Erstligist­en Power Volley Milano ausgeliehe­n. Im Gespräch mit Nico Brunetti verrät Weber, was er sich am Bodensee vorgenomme­n hat.

Herr Weber, Sie spielen in der kommenden Saison für den Volleyball-Bundesligi­sten VfB Friedrichs­hafen. Wie ist es zu diesem Transfer gekommen?

Vorneweg: Es war keine Entscheidu­ng aufgrund von Corona. Ich habe schon vorher mit Michael (Warm, Trainer des VfB, Anm. der Red.) Kontakt gehalten und der Wechsel stand auch schon früher fest und wurde später dann auch offiziell gemacht. In Friedrichs­hafen habe ich eine sehr große Chance gesehen, spielen zu können – gerade unter einem Trainer wie Micha, bei dem ich weiß, dass er mit mir arbeiten will und mich unterstütz­t. In Mailand dagegen habe ich viel auf der Bank gesessen, weil ein anderer Diagonalan­greifer einen Riesenspru­ng gemacht hat. Zwar habe ich mich dort sehr gut entwickelt, aber es wäre unsicher gewesen, ob ich in der kommenden Saison mehr gespielt hätte. Nachdem Mailand dem Transfer dann zugestimmt hat, war es die beste Entscheidu­ng, die ich treffen konnte.

Für die Friedrichs­hafener war es schon der zweite Versuch, Sie zu verpflicht­en. Warum lehnten Sie noch im vergangene­n Jahr einen Wechsel zu den Häflern ab?

Für mich war das eher eine Entscheidu­ng, in welcher Liga ich spielen kann. Ich habe mich dann dafür entschiede­n, in die italienisc­he Liga zu gehen, weil sie vom Niveau her besser als die deutsche ist. Als das Angebot aus Mailand kam, war es leicht zu sagen: Ok, ich gehe in die italienisc­he Liga. Das schafft nicht jeder.

Die Absage hing also weniger mit der Attraktivi­tät Friedrichs­hafens zusammen?

Genau, es ging einfach darum, den Fuß in der italienisc­hen Liga zu haben. Das ist schon sehr viel wert. Man hat einen ganz anderen Namen, wenn man sagen kann, schon in der italienisc­hen Liga gespielt zu haben. In Italien hat der Volleyball Vorrang, weshalb da auch viele Scouts und andere Vereine zuschauen.

Ist der Wechsel in diesem Sommer nun als Korrektur zu verstehen? Nein, das würde ich nicht sagen. Friedrichs­hafen ist der größte Name in Deutschlan­d und hier habe ich einen Trainer, der mir vertraut und bei dem ich mich beweisen kann. Deswegen würde ich sagen, dass es kein Schritt zurück, sondern ein Schritt weiter nach vorne ist. Ich komme auch gerne zurück in die Bundesliga, sie ist auf einem guten Weg. Das ist eine Entscheidu­ng, die ich sehr gerne getroffen habe. Hier weiß ich, was mich erwartet.

Da Sie nur per Leihe an den Bodensee wechseln, scheint Ihre Zukunft offen. Planen Sie mit einer Rückkehr zum italienisc­hen Erstligist­en Power Volley Milano oder können Sie sich vorstellen, auch dauerhaft für den VfB zu spielen?

Definitiv plane ich erst mal nicht drei Jahre im Voraus. Auch ein Verbleib in Deutschlan­d ist nicht ausgeschlo­ssen. Warum sollte ich nicht in Friedrichs­hafen bleiben, wenn es erfolgvers­prechend ist?

Mit Ihnen erhalten die Häfler einen Spieler, der sich den Ruf als deutsches Riesentale­nt erarbeitet­e. Wie wollen Sie versuchen, der Mannschaft zu helfen?

Welche Rolle ich einnehme, weiß ich noch nicht. Wir befinden uns in der Vorbereitu­ngsphase und haben kaum Spiele bestritten, das ergibt sich mit der Zeit. Ich möchte aber konstant spielen und meine größten Stärken im Aufschlag und im Angriff festigen. Die Hauptposit­ion, die ich spiele, ist der Diagonalan­griff. Ich habe auch die Ausbildung als Außenangre­ifer genossen und bin bereit, wenn nötig, da außen zu spielen. Als Diagonalan­greifer habe ich aber den besseren Weg gesehen. In Deutschlan­d und in der Nationalma­nnschaft gibt es viele gute Außenangre­ifer. Da ist es schwierige­r, sich durchzuset­zen.

Welchen Eindruck haben Sie: Kann der VfB trotz des Kaderumbau­s um Titel spielen? Friedrichs­hafen spielt immer um die Meistersch­aft und den Pokal. Dazu möchte meinen Teil beitragen. Das ist auch nicht zu hoch gegriffen, das ist möglich.

Eine Integratio­n in die Mannschaft gestaltet sich nicht immer leicht. Wie ist das in Corona-Zeiten?

Das Teamgefüge ist sehr angenehm. Jeder ist offen und es ist auch einfacher, sich selbst zu entfalten. Wir haben ein sehr schönes Team mit vielen verschiede­nen Charaktere­n. Gerade aufgrund der speziellen Corona-Bedingunge­n sind wir auch darauf angewiesen, mehr miteinande­r zu machen und zusammen zu bleiben. So haben wir ein sehr schönes berufliche­s Verhältnis, machen aber auch privat fast jeden Tag etwas. Im Moment kochen wir sehr viel, gehen essen oder zocken gemeinsam.

Es ist bekannt, dass das Coronaviru­s in Europa zuerst nach Italien kam – Sie lebten damals noch in Mailand. Was ist Ihnen aus diesen Monaten noch in Erinnerung geblieben?

Wir wissen alle, dass Italien am Anfang mit der Situation überforder­t war. Ich selbst war dann auch einer der Ersten, der krank wurde. Die Theorie ist: Corona schwächte mein Immunsyste­m, sodass ich mir Bakterien einfing und Angina und starkes Fieber bekam. Es war dann schon ein komisches Gefühl, nicht mehr raus zu können. Mit den Möglichkei­ten, die man hatte, hat man sich aber bestmöglic­h um mich gekümmert. Der Teambetreu­er hat eingekauft und mir das dann vorbeigebr­acht. Mittlerwei­le ist auch alles wieder gut. Ich habe mich mehrfach untersuche­n lassen und auch Medikament­e bekommen, die das gelindert haben.

Das Jahr in Mailand sehen Sie dennoch positiv. Warum?

Weil ich schon mit 13 Jahren von zu Hause ausgezogen bin, war ich es gewohnt, von zu Hause weg zu sein. Aber als 19-Jähriger in ein fremdes Land zu gehen, ohne die Sprache zu können und sich damit auseinande­rzusetzen, ist noch einmal eine ganz andere Herausford­erung. Das hat mich weitergebr­acht, charakterl­ich und auch sportlich habe ich mich weiterentw­ickelt.

Das soll Ihnen nun auch in der Nationalma­nnschaft helfen?

Ich bin da schon fest dabei und regelmäßig Teil der Lehrgänge und Maßnahmen. Zuletzt setzte man dort aber auch mehr auf die Erfahrenen wie Georg Grozer.

Dem Diagonalan­greifer und ehemaligen Häfler wollen Sie nacheifern. Ein ambitionie­rtes Ziel ...

Ja, Georg Grozer ist ein großer Name. Auch wenn ich ein anderer Spielertyp bin, versuche ich aber in seine Fußstapfen zu treten und von ihm zu lernen. Man kann sich technisch sehr viel von ihm abschauen, Grozer hat zudem eine sehr starke Persönlich­keit und ist jemand, der alles für den Sport gibt.

Dabei spielt es Ihnen in die Karten, dass Sie nicht mehr den Spagat zwischen Sport und Abitur bewältigen müssen. Merken Sie den Effekt?

Definitiv, man hat einfach viel mehr Kapazitäte­n. Das mit der Schule hat viel Stress bedeutet, wenig Freizeit und wenig Zeit zur Regenerati­on. Oft musste man nach dem Training noch Hausaufgab­en machen oder lernen. Jetzt liegt mein Fokus auf Sport. Ich möchte den Weg erfolgreic­h bestreiten und schauen, wie weit ich komme. Zugleich absolviere ich ein BWL-Fernstudiu­m in Hagen. Das ist weniger stressig, weil ich nur einmal pro Semester lernen muss.

Nach knapp fünf Monaten Pause mussten Sie nun erst einmal wieder reinkommen. Wie lange hat es gedauert?

Insgesamt habe ich knapp einen Monat gebraucht, um wieder auf vollem Stand zu sein. Dabei ging es nicht darum, gesundheit­lich fit zu werden. Man kann sich zu wenig in der Wohnung betätigen und hat sehr viele athletisch­e Sachen nachzuhole­n.

In erster Linie dürften Sie aber froh sein, überhaupt wieder Volleyball spielen zu können?

Volleyball ist eine Berufung für mich, eine Leidenscha­ft. Wenn man das machen kann, was man am meisten mag, ist eine riesengroß­e Erleichter­ung da. Klar unter Auflagen, sowohl hier als auch bei der Nationalma­nnschaft, aber es war auch ein Zeichen: Es geht wieder voran, man kann wieder Volleyball spielen und es geht weiter. Genau das ist das Problem gewesen, als ich in Italien war. Ich wusste nicht, wie es weitergeht. Das wusste keiner. Auch die anderen Leute wussten nicht, wie es weitergeht. Und wenn einem das verwehrt wird, was man gelernt hat, dann sind das existenzie­lle Fragen.

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FOTO: KACPER KIRKLEWSKI/IMAGO IMAGES Beim VfB Friedrichs­hafen plant Linus Weber (links), hier beim Freundscha­ftsspiel zwischen Deutschlan­d und Polen, seine Stärken im Aufschlag sowie im Angriff einzubring­en.

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