Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Fahrplan für zweite Corona-Welle
Steigen die Infektionszahlen, laufen landesweite Maßnahmen an – Lockdown vermeiden
STUTTGART - Seit gut zwei Wochen steigen die Corona-Infektionszahlen in Baden-Württemberg wieder an. Die Landesregierung will vor allem eines vermeiden: einen erneuten Lockdown wie im März und April. Dazu hat sie nun ein Konzept beschlossen. Die wesentlichen Punkte.
Wie soll der Plan funktionieren? Vor allem soll er landesweit genau regeln, was in welchem Fall passiert. Deshalb haben Städte, Gemeinden und Landkreise daran mitgearbeitet. Heute wisse man viel mehr über das Virus und den Umgang damit, so die Regierung. Diese Erfahrungen sollen helfen, gezielt auf steigende Infektionen zu reagieren. Dazu haben die Behörden drei Stufen definiert. Die erste, stabile Stufe gilt so lange, wie die landesweite 7-Tage-Inzidenz bei weniger als zehn Infizierten auf 100 000 Einwohnern liegt und es lediglich einzelne, regional abgrenzbare Infektionsschwerpunkte gibt. Der Wert gibt an, wie viele neue Corona-Fälle pro 100 000 Bürger es in der vergangenen Woche gab. Die zweite so genannte Anstiegsphase beginnt, wenn diese Zahl in BadenWürttemberg überschritten wird oder in mehreren Landkreisen deutlich steigt. Die dritte, kritischen Stufe würde bei einer 7-Tage-Inzidenz jenseits der 35 neuen Fälle auf 100 000 Bewohner im ganzen Land eintreten. Das Gesundheitsministerium ruft die Stufe anhand der Zahlen des Landesgesundheitsamtes aus.
Wie ist die Corona-Lage aktuell? Das Landesgesundheitsamt hat am Dienstag 280 neue Infektionen mit dem Coronavirus gemeldet. Derzeit seien im Land 3861 Bürger infiziert. In der Hochphase der ersten Infektionswelle zählten die Behörden täglich bis zu 500 neue Fälle. Im Frühsommer sanken die Zahlen deutlich, seit etwa zwei Wochen steigen sie wieder an. Grund dafür sind derzeit vor allem Reiserückkehrer. Mit dem Ende der Sommerferien droht ein weiterer Anstieg, wenn sich etwa Schüler gegenseitig anstecken. Derzeit ist das Land in der ersten, stabilen Phase. In dieser Lage gelten die derzeitigen Regeln in allen Lebensbereichen. Zwar liegt die 7-Tage-Inzidenz mit 13 über dem Wert von 10 Fällen pro 100 000 Einwohner. Doch andere Kriterien sprechen gegen eine Verschärfung – so sind kaum schwer Erkrankte in den Kliniken. Es gab zuletzt einen neuen Todesfall, bislang starben 1868 Menschen in Baden-Württemberg an Corona.
Was gilt allgemein, wenn sich die Lage verschlechtert?
Schon jetzt möglich sind regional begrenzte Maßnahmen – von Schließungen einzelner Kitas oder Schulen bis hin zu möglichen Ausgangsbeschränkungen für Ortsteile. Das gilt dort, wo Infektionszahlen sprunghaft steigen. Geschieht das landesweit, tritt zunächst Stufe 2 in Kraft. Dann will die Landesregierung in allen Bereichen verstärkt die Einhaltung geltender Regeln kontrollieren und öffentlich für mehr Vorsicht werben. Tiefgreifende Maßnahmen sind in der Regel erst in der dritten Stufe vorgesehen.
Wie rüsten sich das Gesundheitswesen, was gilt in Altenheimen? Fieberambulanzen und Testcenter werden ab der zweiten Stufe landesweit vermehrt eingerichtet. In der dritten Stufe sollen Kliniken wie im Frühjahr planbare Operationen verschieben und nur absolut notwendige Behandelungen durchführen. So soll Platz und Personal für CoronaPatienten bleiben. Gegebenenfalls können Behelfskrankenhäuser reaktiviert werden – zum Beispiel an ehemaligen Klinikstandorten wie Spaichingen oder Weingarten. Tritt die Stufe 3 ein, treten auch wieder weitgehende Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen für Alten- und Pflegeheime in Kraft. Tagespflege und andere Angebote würden stark eingeschränkt. Hier soll aber besonders darauf geachtet werden, ob und wo solche Maßnahmen tatsächlich notwendig sind.
Welche Maßnahmen sind für Schulen und Kitas geplant?
Hier greifen ebenfalls besonders einschneidende Beschränkungen in der dritten Phase – wenn irgend möglich sollen aber keine flächendeckenden Schließungen kommen. In Kitas dürfen die Kinder dann nur noch in festen Gruppen betreut werden und nicht mehr mit anderen Kindern in Kontakt kommen. In Schulen müssten Schüler ab der 5. Klasse anders als bisher auch im Unterricht eine Maske tragen. Schon ab Stufe 2 wären außerschulische Aktivitäten nicht mehr möglich.
Was soll in Wirtshäusern gelten? In Stufe 2 drohen auch hier mehr Kontrollen. Steigen die Infektionszahlen danach weiter stark an, treten weitere Regeln in Kraft. So würden die Zahl der Tische und Plätze reduziert, Gäste müssten vorab reservieren, das Personal in festen Teams pro Schicht arbeiten. Verschärft sich die Lage weiter, könnte der Ausschank von Alkohol eingeschränkt werden und nur noch Außenbetrieb erlaubt sein. Hotels dürfen je nach Situation weniger Gäste als normal beherbergen sowie Schwimm- und Wellnessbereiche schließen.
Und im Einzelhandel? Hygienekonzepte und die Einhaltung geltender Regeln wollen die Behörden in Geschäften ab Stufe 2 strenger kontrollieren. Tritt die kritische Phase ein, darf zunächst nur noch ein Kunde pro 10 Quadratmeter Verkaufsfläche in den Laden, steigen die Fallzahlen weiter sogar nur noch einer auf 20 Quadratmeter.
Was geschieht mit Messen, Sport und anderen Veranstaltungen? Öffentliche Tagungen, Kongresse und kleinere Sportevents mit bis zu 500 Menschen sind derzeit und auch künftig erlaubt – so lange die Fallzahlen nicht steigen. Messen können unter Einhaltung bestimmter Regeln auch mit mehr als 500 Besuchern öffnen. Bleibt die Lage stabil, könnte die zulässige Besucherzahl für Kulturveranstaltungen auf bis zu 1000 steigen. Großveranstaltungen wie Volksfeste, auf denen kaum Hygienemaßnahmen durchsetzbar sind und die Kontakte nicht nachvollzogen werden können, bleiben bis mindestens Ende des Jahres verboten. Sport darf derzeit in Gruppen von bis zu 20 Personen getrieben werden, auch ohne Mindestabstand. All das wird aber schrittweise wieder eingeschränkt, wenn die Zahlen steigen sollten. Doch auch hier will die Regierung möglichst kein komplettes Verbot mehr aussprechen. Selbst dann gäbe es Ausnahmen für den Spitzen- und Profisport.