Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Heckler & Koch schaltet auf Angriff
Der Waffenhersteller prüft eine Klage gegen die Sturmgewehr-Entscheidung aus Berlin
RAVENSBURG/OBERNDORF - Einen Tag nach der Entscheidung des Verteidigungsministeriums, das neue Sturmgewehr der Bundeswehr nicht bei Heckler & Koch zu bestellen, gibt man sich am Stammsitz des Unternehmens in Oberndorf zerknirscht. „Wir bedauern diese Entscheidung“, sagte Firmenchef Bodo Koch und schob hinterher, diese „juristisch ausführlich zu prüfen“und „alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen“zu wollen.
Damit scheint klar: Heckler & Koch will sich dem Konkurrenten C.G. Haenel aus dem thüringischen Suhl nicht geschlagen geben und die Entscheidung der Vergabestelle des Bundeswehrbeschaffungsamtes in Koblenz nicht hinnehmen. Die nämlich hatte das von Haenel eingereichte Waffenmuster dem von Heckler & Koch bevorzugt.
Das Thüringer Unternehmen sei aus der Ausschreibung als Sieger hervorgegangen, bestätigte das Verteidigungsministerium am Dienstag offiziell, nachdem das Ergebnis bereits am Montagabend bekannt wurde. Angaben, warum Haenel den Zuschlag erhielt, machte das Ministerium nicht. Aus Militärkreisen war jedoch zu hören, dass Haenel in dem 2017 eingeleiteten Bieterverfahren eine Waffe vorgelegt habe, die sich in umfangreichen Tests als etwas besser auf die Anforderungen zugeschnitten und auch als wirtschaftlich vorteilhaft erwiesen habe.
Das Verteidigungsministerium wies jedoch darauf hin, dass das Ergebnis der Auswertung „noch nicht rechtswirksam“sei. Unterlegenen Bietern stünde immer der Rechtsweg offen. Diesen will Heckler & Koch nun wohl einschlagen.
Ein solches Vorgehen ist nicht ungewöhnlich. Entsprechende Beispiele hatte es in jüngster Zeit zum Beispiel beim Mehrzweckkampfschiff 180 der Marine gegeben, bei dem die Kieler Werft German Naval Yards der niederländischen Damen-Werft unterlag, rechtliche Schritte ankündigte, die Klage wenige Monate danach aber wieder zurückzog. Unter dem Strich hat die Vergabestelle der Bundeswehr in den vergangenen Jahren in den allermeisten ihrer Entscheidungen letztendlich aber Recht bekommen.
Vor diesem Hintergrund bemühte sich der Heckler-&-Koch-Vorstand am Dienstag, die Auswirkungen des geplatzten Auftrags auf Beschäftigung und Finanzlage des Unternehmens herunterzuspielen. „Die Zahl der Bestellungen aus aller Welt ist höher als wir derzeit abarbeiten können und die Nachfrage weiter hoch“, sagte Vorstandschef Koch. „Heckler & Koch ist und bleibt wieder ein profitables Unternehmen.“
Aus diesem Grund ergäben sich aus Sicht des Vorstands auch keine unmittelbaren Folgen für die 950 Beschäftigten am Standort Oberndorf. „Wir haben nach dem Wechsel des
Mehrheitsaktionärs vor einigen Wochen erklärt, dass die Jobs in Oberndorf sicher sind. Daran hat sich nichts geändert“, erklärte Finanzvorstand Björn Krönert.
Rüstungspolitisch ist der Auftrag für den Nachfolger der seit 1995 genutzten Standardwaffe, des G36 von Heckler & Koch, eher unbedeutend. Für die rund 120 000 Waffen waren in der Ausschreibung 245 Millionen Euro plus Mehrwertsteuer angesetzt. Doch für den langjährigen Hoflieferanten der Bundeswehr aus dem Schwarzwald gilt das nicht. Der Rückschlag kommt zur Unzeit.
Jahrelang liefen die Geschäfte mehr schlecht als recht – die Maschinen veraltet, die Abläufe ineffizient und der Schuldenberg schier erdrückend hoch. Mit neuem Management und einer Kraftanstrengung, bei der auch die Belegschaft mitmachte und unbezahlte Mehrarbeit akzeptierte, gelang 2019 die Rückkehr in die schwarzen Zahlen. Ein Investitionspaket
von 25 Millionen Euro wurde geschürt – die Hälfte davon für neue Maschinen.
Mit der Entscheidung pro Haenel entgeht Heckler & Koch in etwa so viel Geld, wie das Unternehmen derzeit pro Jahr bekommt – 2019 lag der Jahresumsatz bei 239 Millionen Euro. Allerdings hinkt der Vergleich, denn Lieferung und damit auch Zahlung werden sich auf sechs Jahre strecken: Alten Plänen zufolge soll Mitte 2022 die erste Charge von 10 000 Gewehren auf den Weg geschickt werden, danach pro Jahr 20 000 – also bis Mitte 2028.
Wie konnte es soweit kommen? Ein Branchenkenner, der namentlich nicht genannt werden will, verweist auf Negativschlagzeilen. Der deutsche Mehrheitseigentümer Heeschen verlor einen Machtkampf, eine Luxemburger Finanzholding namens CDE mit unübersichtlichen Strukturen, hinter der der französische Finanzinvestor Nicolas
Walewski steht, übernahm das Ruder. Die Firma habe durch den Machtkampf Fragen nach ihrer Solidität und Verlässlichkeit aufgeworfen, so der Experte. „Bei Vergabeentscheidungen gibt es rationale, aber auch emotionale Aspekte – die Querelen könnten ihren Effekt gehabt haben.“
Hierzu gibt es aber auch andere Meinungen. So geht der Vergaberechtler Jan Byok von der Kanzlei Bird & Bird nicht davon aus, dass der Eigentümerwechsel eine Rolle spielte. Er verweist darauf, dass Haenel zur Merkel-Gruppe gehört, Teil der Tawazun Holding aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. „Sowohl Heckler & Koch als auch Haenel gehören ausländischen Firmen – diesbezüglich hat keiner Vor- oder Nachteile.“Haenel habe sich wegen „klarer Wirtschaftlichkeitsvorteile“durchgesetzt. Ganz entschieden ist die Sache aber noch nicht – der Bundestag muss noch zustimmen.