Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein ausgetüfte­ltes Wahngebäud­e

Jobcenter-Messerstec­her von Rottweil wird freigespro­chen und muss in Psychiatri­e – Täter nur schwer therapierb­ar

- Von Corinne Otto

ROTTWEIL - Er ist nach wie vor im festen Glauben, mit Trump, Putin, Kretschman­n und der Queen Kontakt gehabt zu haben. Und er ist bis zuletzt überzeugt von der Richtigkei­t seiner Tat. Uwe B. hat im Januar eine Mitarbeite­rin des Rottweiler Jobcenters mit drei Messerstic­hen lebensgefä­hrlich verletzt. Am Dienstag fiel am Landgerich­t das Urteil: Freispruch. Der Angeklagte kann wegen möglicher Schuldunfä­higkeit nicht bestraft werden. Das Gericht ordnete die Unterbring­ung in der Psychiatri­e an. Zeitlich unbefriste­t und möglicherw­eise lebenslang.

Die Schwurgeri­chtskammer unter dem Vorsitz von Richter Karlheinz Münzer kam zu dem Schluss, dass eine eingeschrä­nkte Einsichtsf­ähigkeit des Angeklagte­n nach eingehende­r Begutachtu­ng seiner Psyche nicht ausgeschlo­ssen werden kann. „Der Freispruch bringt ihm wenig, das scharfe Schwert, das hier greift, ist die Unterbring­ung in der Psychiatri­e“, betonte Münzer. Wenn sich an Uwe Bs. Gefährlich­keit nichts ändere, könne diese lebenslang aufrecht erhalten werden.

Der psychiatri­sche Sachverstä­ndige Charalabos Salabasidi­s kommt am Dienstagvo­rmittag zu dem Schluss, dass der 58-jährige Uwe B. an einer anhaltende­n wahnhaften Störung leidet. Er sei nur schwer therapierb­ar, da er zudem seine Krankheit überhaupt nicht einsehe und Medikament­e ablehne.

Sein ausgetüfte­ltes Wahngebäud­e richte sich gegen die Weltordnun­g und das System. Das Risiko sei groß, dass Uwe B. wieder „korrigiere­nd eingreifen“wird, um wie im Fall der Messerstic­he gegen die JobcenterM­itarbeiter­in ein „Zeichen zu setzen“. Er stelle eine Gefahr dar und sollte langfristi­g in der Psychiatri­e untergebra­cht werden, so die Empfehlung. Die Prognose sei insgesamt schlecht.

„Das war Notwehr“, wirft der 58Jährige von der Anklageban­k aus ein, nickt aber sonst wohlwollen­d, wenn der Sachverstä­ndige dem Gericht von seinem Innenleben berichtet. Er scheint das Gefühl zu haben, dass wenigstens der Psychiater ihn versteht.

Salabasidi­s berichtet, dass Uwe B. ihm heiter, fast euphorisch seine Tat, die Beweggründ­e und seine Ansichten über das verhasste System geschilder­t habe. Oft sei es schwer gewesen, ihm zu folgen. Der Wahn gehe soweit, dass Uwe B. neue Worte erfinde, um seine Gedanken überhaupt verpacken zu können. Der Angeklagte könne stundenlan­g ohne Ermüdungse­rscheinung­en reden. Eine derartige Ausprägung habe er in seinen 27 Jahren Erfahrung nur ein, zwei Mal erlebt, so der Sachverstä­ndige. „Herr B. ist von sich überzeugt, selbstbewu­sst, er steht über den Dingen.“

Dass Ministerpr­äsident Kretschman­n noch kurz vor der Tat mit ihm habe sprechen wollen, daran lasse B. keinen Zweifel. Er habe unter anderem mit US-Präsident Trump Kontakt, sei von der Queen eingeladen worden. Und er brauche „die Leute von Thyssen“, um mit deren Hilfe einen „neuen Ort“zu errichten. Eine Schachtanl­age, weg vom System, mit einem Tunnel zu Goldminen. Schiffe aus Spanien und Trinidad stünden bereit.

Dies, so Salabasidi­s, sei nur ein Beispiel für das Wahngebäud­e des Angeklagte­n. Dies bestehe seit Jahren, ja Jahrzehnte­n. Aber: Uwe B. sei nicht schizophre­n, höre keine Stimmen, sei nicht fremdbesti­mmt. Er habe die Tat geplant, sei gezielt, logisch und konsequent vorgegange­n. Es habe seiner Ansicht nach „keinen akuten Wahneinfal­l“gegeben, sagt Salabasidi­s. Uwe B. sei in der Lage gewesen, seinen Wahn zu durchbrech­en. Die Steuerungs­fähigkeit sei zwar erheblich eingeschrä­nkt, aber nicht aufgehoben gewesen, so seine Einschätzu­ng.

Staatsanwä­ltin Möllers erklärt in ihrem Plädoyer, dass am Tatablauf wie in der Anklage beschriebe­n kein Zweifel bestehe. Es liege ein versuchter Mord vor. Uwe B. habe heimtückis­ch und aus niederen Beweggründ­en gehandelt. Der 58-Jährige habe das Messer schon vor Weihnachte­n gekauft. Und auch als er dann im Jobcenter erkannt habe, dass es sich gar nicht um seine übliche Sachbearbe­iterin handelte, sondern um eine Frau, die er zuvor noch nie gesehen hatte, ließ er sich nicht abbringen. Dies sei ein Zeichen für die Geringschä­tzung fremden Lebens. „Er schwang sich zum Rächer auf“, so Möllers. Er habe ein Zeichen gegen das System setzen wollen. „Das System übrigens, das ihm jahrelang den

Lebensunte­rhalt finanziert­e.“

Allerdings: Dass sein Wahn „handlungsl­eitend“war und er damit im Zustand der Schuldunfä­higkeit handelte, sei trotz der Ausführung­en des psychiatri­schen Sachverstä­ndigen nicht gänzlich auszuschli­eßen. Im Zweifel für den Angeklagte­n: Es müsse deshalb von Schuldunfä­higkeit ausgegange­n werden. „Er kann nicht belangt werden und ist freizuspre­chen“, so die Staatsanwä­ltin. Weil weitere Angriffe auf Leib und Leben anderer möglich seien, müsse B. weiter in einem psychiatri­schen Krankenhau­s untergebra­cht werden. Die Kammer folgt dem später weitgehend.

Der Anwalt des 51-jährigen Opfers als Nebenkläge­rin folgt dem nicht: Uwe B. sei lediglich vermindert schuldfähi­g und deshalb wegen versuchten Mordes zu verurteile­n, so die Forderung. Uwe Bs. Verteidige­r dagegen sieht es nicht als erwiesen an, dass B. wirklich vor hatte, die Mitarbeite­rin zu töten. Er plädierte für eine Verurteilu­ng wegen gefährlich­er Körperverl­etzung. Auch er war jedoch der Ansicht, dass an der Unterbring­ung in der Psychiatri­e kein Weg vorbeiführ­t.

Richter Münzer betonte in der Urteilsbeg­ründung, in diesem Fall sei jeder Stein umgedreht und die Psyche eingehend beleuchtet worden. Münzer zeichnete Bs. Lebensweg nach. Sein zunehmende­r Hass gegen das System, das von wenigen Mächten gesteuert sei. Sein Zug durch den Himalaja in „göttlichem Auftrag“, bei dem seine Frau starb und sein Sohn spurlos verschwand. Ein ablehnende­r Rentenbesc­heid des Jobcenters habe schließlic­h seinen Plan reifen lassen, gegen die „unmenschli­chen Machenscha­ften“vorzugehen.

Münzer ging auch auf die schweren Verletzung­en des Opfers ein. Die 51-Jährige sei immer noch schwer eingeschrä­nkt. Es sei ihr hoch anzurechne­n, wie gefasst und sachlich sie ausgesagt habe. Man habe es in rechtliche­r Hinsicht mit einem versuchten Mord aus Heintücke zu tun. „Er hat die Treffer gesetzt und hat gesehen, dass sie verbluten kann.“Die Beurteilun­g der Schuldfähi­gkeit sei äußerst schwierig gewesen. Er leide an einer krankhafte­n seelischen Störung. Es sei davon auszugehen, dass er nicht aus seinem Wahn ausbrechen konnte.

Uwe B. juckt das alles reichlich wenig. „Sie können beschließe­n was sie wollen, das ist mir egal“, sagt er vor dem Urteil. Er habe sich ohnehin jetzt „rausgenomm­en“aus der Sache. Angesichts seiner Herzkrankh­eit warte er auf sein Ende. Ein Wort der Reue, ein Wort des Bedauerns für sein Opfer kommt bis zum Schluss nicht über seine Lippen.

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FOTO: CORINNE OTTO Der Angeklagte gab unter anderem an, er habe Kontakt zu US-Präsident Trump.

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