Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Ein bisschen Provokation gehört dazu“
Die Franziskanerin und Künstlerin Pietra Löbl hat schon lange eine Affinität zum Experimentellen
BAD SAULGAU - Sie lebt schon lange im Kloster und arbeitet zugleich als Künstlerin: Schwester Pietra Löbl beschäftigt sich in ihren textilen Installationen mit Prozessen der Veränderung, aber auch der Stille. Im Gespräch mit Antje Merke erzählt die 55-Jährige, wie sie die Kunst für sich entdeckt hat und was ihr in der Krise Hoffnung macht.
Schwester Pietra Löbl, Sie sind Ordensschwester und Künstlerin zugleich. Was waren Sie zuerst? Zuerst war ich Ordensschwester. Bevor ich ins Kloster bin, habe ich eine Ausbildung als pharmazeutischtechnische Assistentin gemacht und knapp zwei Jahre in einer Apotheke gearbeitet. Durch den Eintritt in die Gemeinschaft der Franziskanerinnen war mir klar, dass ich diesen Beruf dort nicht mehr weiter ausüben kann. Ich bin dann auf die Suche gegangen, was ich noch lernen soll und kann. Da ich in einer Gemeinschaft lebe, war diese Suche nicht nur meine persönliche Sache. Die künstlerische Begabung hat meine Novizenmeisterin gesehen und das Kunststudium vorgeschlagen. Nach dem Studium durfte ich noch eine Zeitlang im Mutterhaus in der Schreinerei mitarbeiten – bis zu meiner ersten Ausstellung in Biberach. Ab da war dann klar, dass ich Zeit für meine Kunst brauche.
Sie haben im Kloster Sießen eine berühmte Vorgängerin: Schwester Innocentia Hummel. Ist das eine Last oder eher ein Ansporn für Sie? Weder noch. Ich glaube vielmehr, dass sie mir den Boden bereitet hat, dass in unserer Gemeinschaft für Künstlerinnen überhaupt ein Platz ist. In anderen Ordensgemeinschaften heißt es oft: Für was braucht man denn Kunst? Das ist hier bei uns dank Schwester Innocentia nicht der Fall. Wobei sie nicht nur freie Künstlerin, sondern auch Lehrerin und in der Paramentik tätig war. Vor allem hat sie in den Kriegsjahren mit ihren Werken ganz wesentlich zum Unterhalt des Klosters beigetragen. Deshalb wusste man, dass Kunst kein Defizitgeschäft sein muss.
Wie muss man sich Ihren Alltag vorstellen?
Mein Tag beginnt um 6.00 Uhr mit dem Morgenlob in der Kapelle, daran schließt sich die heilige Messe an. Gegen 7.00 Uhr gibt es Frühstück im Schweigen, und dann ist nochmal eine Zeit für die Meditation eingemich plant. Anschließend, so gegen 8.00 Uhr, gehe ich in mein Atelier. Ich bin jetzt das siebte Jahr hier in der Carceri-Gemeinschaft, einer franziskanischen Einsiedelei, deshalb findet von 11.00 bis 12.00 Uhr wieder eine Anbetung statt. Danach gibt es Mittagessen. Zwischen 14.00 und 17.30 Uhr kann ich wieder im Atelier arbeiten. Dann gibt es Abendessen mit anschließendem Vespergebet. Danach habe ich frei.
Was wäre ein Leben ohne Regeln, ohne Disziplin?
Es entspricht schon meiner Persönlichkeit, so einen Rahmen zu haben. Manchmal wünsche ich mir aber mehr Luft. Andererseits erlebe ich in der Kunst oft so unentschlossen, habe das Gefühl, mit leeren Händen dazustehen. Um das auszuhalten, sich an neue Dinge zu wagen, zu experimentieren und manchmal zu scheitern, da hilft mir die klare Tagesordnung ungemein.
Ihre Werke erzählen von Prozessen der Veränderung, des Wachsens und des Schwindens, aber auch der kontemplativen Stille. Wo holen Sie sich Ihre Inspiration? Ich denke vor allem aus der Stille in unserer Carceri-Gemeinschaft, in der ich das kontemplative Gebet täglich übe. Abgesehen davon, bin ich sehr geprägt von meinem ersten Beruf – dieses Arbeiten mit Versuchen im Labor macht mir sehr viel Spaß. So entwickele ich dann auch meine Kunst: mit Elementen, mit Dingen zu experimentieren. Wenn ich ab und zu dann etwas entdecke, bleibe ich mit Begeisterung dran und entwickle daraus etwas Neues.
Sie arbeiten mit verschiedenen Materialien, vor allem aber mit Textilien. Warum ausgerechnet dieser Werkstoff?
Für mich ist Material prinzipiell wichtig. Ich kann jetzt nicht so gut mit Farben umgehen, die sind mir zu abstrakt. Ich muss etwas in den Händen haben und unmittelbar mit den Händen arbeiten können. Stoff vielleicht auch deshalb, weil ich früher schon eine Affinität zu Handarbeiten mit Textilien hatte. Meine Beziehung zum Stoff kommt wohl von meiner Großmutter, die Herrenschneiderin war. Sie schenkte mir schon als Kind eine Nähmaschine. Vor Jahren habe ich zum Beispiel für die Krankenhauskapelle in Sigmaringen zum Thema Intimität und Würde in 20 Kissen Botschaften mit Hilfe der Ausbrenntechnik geätzt und aus drei Tuchbahnen Fäden gezogen. So bin ich überhaupt auf dieses Verfahren des Herausziehens gekommen – und daran arbeite ich im Moment immer noch in Variationen weiter. Derzeit beschäftige ich mich thematisch gerade mit dem Schweißtuch der Heiligen Veronika.
Stört es Sie nicht, dass Textiles nach wie vor weiblich besetzt ist? Gab es da nie den Drang, mal daran zu rütteln?
Nein, ich wollte nie daran rütteln. Textilien bieten in Installationen so viele Möglichkeiten. Ich habe allerdings den Vorteil, dass ich durch die Paramenten-Werkstatt hier vor Ort die Profis habe, die mich bei Bedarf beraten. Natürlich können meine Mitschwestern nicht verstehen, warum ich die Fäden hängen lasse und nicht vernähe. Aber ein bisschen Provokation gehört zum Künstlerdasein dazu. Für mich persönlich ist wichtig, dass meine Textilobjekte der Kunst und nicht dem Kunsthandwerk zugeordnet werden.
Eine Krise gilt gemeinhin auch immer als Chance. Was macht Ihnen in Zeiten, in denen das Coronavirus grassiert, Hoffnung?
Mir hat der Lockdown im Frühjahr nochmal mehr gezeigt, dass man ganz vieles gar nicht braucht. Ich hoffe, dass wir alle genügsamer und solidarischer werden. Dass wir nachdenken, was wirklich wichtig und wesentlich ist und was überflüssig.