Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Corona-Krise bremst junge Musiktalente aus
Ravensburger Musikschulleiter sieht Gefahr eines nachhaltigen Schadens für Amateur-Musikszene
RAVENSBURG - Die Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie werden nach und nach gelockert – doch die Musikszene ist weiterhin betroffen. Der Ravensburger Musikschulleiter Harald Hepner spricht im Interview mit Lena Müssigmann über die Folgen der Einschränkungen für junge Musiktalente, über Motivationstricks und die Gefahr, dass die Amateur-Musikszene nachhaltig Schaden nimmt.
Herr Hepner, hat die Corona-Krise und die damit verbundenen Einschränkungen beim gemeinsamen Musizieren junge Talente in ihrer musikalischen Karriere gebremst? Einige Schüler mussten durchaus einen Höhepunkt in ihrer musikalischen Laufbahn vergeben. Der Regionalwettbewerb von „Jugend musiziert“konnte Anfang des Jahres noch in Ravensburg stattfinden, aber der Landeswettbewerb (Anmerkung der Redaktion: die nächste Stufe für die regional besten Musiker) wurde wegen Corona ersatzlos gestrichen. Das Wettbewerbs-Programm ändert sich so, dass nur alle drei Jahre Schüler aus einer Instrumentengruppe angesprochen werden. Wer also jetzt 16 oder 17 Jahre alt ist, wird das nächste Mal wahrscheinlich nicht mehr dabei sein. Die Musikschullaufbahn dauert in Bezug auf die Teilnahme bei „Jugend musiziert“oft nur fünf bis sechs Jahre. Seit es das achtjährige Gymnasium gibt, ist sie sowieso nicht mehr so lang wie früher. Auch Auswahlorchester für talentierte junge Musiker wie das Kreisjugendblasorchester und das Landesjugendorchester proben gerade nicht. Die großen Orchesterwerke mit 80 oder 90 Leuten kann man zurzeit ohnehin einfach nicht aufführen.
Welche Auswirkungen hat es auf die musikalische Ausbildung der Jugendlichen, dass über Wochen und Monate nicht gemeinsam geprobt werden konnte?
Wenn man ein Orchesterinstrument lernt, besteht ein wesentlicher Teil der Motivation darin, mit anderen zusammen zu spielen. Fällt das weg, fehlt auch ein Teil der Motivation. Das Zusammenspiel ist auch uns Musikschullehrern wichtig, weil wir bei Orchesterkonzerten diese Musikkultur nach außen tragen können. Ich ermuntere Schüler dazu, die Musik anzuhören, die sie später einmal spielen wollen. Dieses Ziel im Blick zu behalten, kann auch Motivation sein.
Gibt es Jugendliche, die ihre Ausbildung in diesen Monaten abbrechen, weil ihnen der Spaß verloren gegangen ist?
Meiner Einschätzung nach sind deshalb nur wenige Kinder aus dem Unterricht ausgestiegen. Ich habe mir vor einigen Monaten gedacht: Wenn es nach den Pfingstferien nicht weitergeht mit dem Unterricht, dann wird’s schwierig. Aber dann ging es wieder los. Und jetzt ist wieder der richtige Zeitpunkt für die Rückkehr zu Orchesterarbeit. Sonst hätten wir Leute verloren, glaube ich.
Inwiefern ist das Zusammenspiel in Ensembles und Orchestern wieder erlaubt?
Ensemblearbeit können wir schon seit Mitte Juni wieder mit vier bis sechs Schülern machen – etwa im Streichquartett oder einem Bläserensemble. Wir haben aber drei Blasorchester und drei Streichorchester, die derzeit aber noch nicht proben können. Bisher treffen sich die jungen Musiker nur für Stimmproben, also in Kleingruppen. Für die Gesamtproben brauchen wir bei 40 bis 50 Musikern, die zwei Meter Abstand zueinander einhalten, einen ziemlich großen Raum. Mit dem bisher genutzten Raum, der rund 100 Quadratmeter groß ist, kommen wir dann nicht mehr zurecht. Aber wir wollen wieder loslegen und mit den Kindern proben. Dafür überlegen wir, wie wir den Probenbetrieb organisieren und möglich machen können.
Welche Lösungen sind dafür denkbar?
Das Stadtorchester zum Beispiel hat am Montag wieder mit dem Proben begonnen, wir waren dafür in der Oberschwabenhalle. Die Proben vieler anderer Orchester haben im Sommer draußen stattgefunden, aber das wird jetzt schwierig, es wird ja schon ab 20 Uhr dunkel. Die Hallen sind wieder von den Sportlern belegt. Wenn sie keine Lösung finden, wie sie im Herbst und Winter proben können, wird die Krise sehr großen Schaden in der Amateur-Musikszene hinterlassen. Aus meiner Sicht hilft es nur, Optimismus zu verbreiten und das Mögliche zu machen.
Ärgern Sie sich manchmal über die strengen Verordnungen?
Ich glaube, dass die Entscheider einen guten Job machen und vieles bedenken. Die Reaktion auf das Virus waren beim Lockdown von Unwissenheit und danach von Vorsicht geprägt. Wenn weitere Erkenntnisse dazukommen, hoffe ich auf weitere Lockerungen beziehungsweise Anpassungen des Kultusministeriums. Denn das Erlernen von Musik ist wichtig in Zeiten, die wir durchleben.
Warum?
Es ist gut, wenn der Mensch etwas anderes hat neben den Sorgen um den Alltag. Man konnte sich auch in der Krise online für Proben treffen – ja, mit Abstrichen. Aber das Musizieren bleibt einem. Manchen Leute erzählten, dass sie im Lockdown irgendwann nicht mehr wussten, was sie tun sollten. Von Musikern habe ich das nicht gehört.