Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nach Kontaktabbruch mit Schmerz nicht allein bleiben
Eine betroffene Mutter gründet im Landkreis Ravensburg eine Selbsthilfegruppe für „verlassene Eltern“
LANDKREIS RAVENSBURG – Gudrun Schwarz (Name von der Redaktion geändert) ist eine selbstbewusste Mutter von drei erwachsenen Kindern. Als eines der Kinder den Kontakt abbricht, kann sie das aber nicht einfach wegstecken. Obwohl sie schon einige Möglichkeiten hat, sich selbst zu unterstützen, gründet sie eine Selbsthilfegruppe. Anfang Oktober soll sie starten.
„In meinem Leben hat es viel Wechsel und Wandel gegeben. Ich bin ein sehr bewusster Mensch“, stellte die Mutter im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“klar. Nach ihrer ersten Ausbildung bekam sie mit 22 Jahren ihr erstes Kind, später studierte sie noch. „Familie und Beruf haben mich lange Jahre durchs Leben getragen.“, sagt sie rückblickend. „Vor drei Monaten hat mein Sohn Christoph den Kontakt zur gesamten Familie abgebrochen“, sagt sie, als müsste sie eine Hürde überwinden, und ihre feste körperliche Stimme bebt. Gudrun Schwarz ist immer noch erschüttert und tief getroffen. „Zu der ganzen Familie“, fügt sie an und kann es nicht fassen. Als Grund und Auslöser für den Abbruch habe der Sohn erklärt: Die Mutter würde ihn seit Jahren nicht verstehen.
„Was habe ich nicht verstanden?“, fragt Gudrun Schwarz sich. „Was habe ich falsch gemacht?“, fragen Mütter oder Väter heute schnell. Wenn erwachsene Kinder den Kontakt abbrechen, suchen viele Betroffene bei sich die Schuld. Gudrun Schwarz hat nicht lange sinniert und gegrübelt. Im Internet trifft sie auf eine ganze Reihe von Selbsthilfegruppen für verlassene Eltern und Großeltern und erkennt: Das Thema ist von Belang. Da es in Ravensburg noch keine Gruppe gibt, setzt sie sich mit der Kontaktstelle für Selbsthilfe im Landkreis Ravensburg in Verbindung und trifft sich mit Marie Engers, die sie bei der Gründung berät. Vier Interessentinnen haben sich inzwischen über das Landratsamt telefonisch bei ihr gemeldet.
Die Selbsthilfegruppe für „verlassene Eltern“will Eltern, Adoptiv- und Stiefeltern, einzelnen Elternteilen oder Großeltern einen geschützten
Rahmen bieten, um sich auszutauschen, sich zu öffnen und gegenseitige Unterstützung zu erfahren. „Selbsthilfegruppen sind Zusammenschlüsse von Menschen mit gleichen oder ähnlichen Krankheiten oder sozialen Problemen“, erklärt das Landratsamt auf seiner Webseite. Die Mitglieder einer Selbsthilfegruppe lernen voneinander und miteinander. Sie tauschen ihre Erfahrungen aus, entlasten und ermutigen sich gegenseitig und eignen sich gemeinsam Fähigkeiten an, mit denen sie ihren Alltag besser bewältigen können.
Wenn Kinder die Familie radikal verlassen, hinterlässt das nicht nur eine Lücke, sondern auch eine tiefe Verunsicherung. Betroffene kämpfen mit Angst, Schuld und Scham, weiß Gudrun Schwarz. Sie ist sich über ihre
Muttergefühle ziemlich schnell klar geworden: „Da ist mein Sohn, den ich vermisse, da ist aber auch das erwachsene Kind, dem ich ein eigenes Leben zugestehe. Innerlich bin ich mit ihm in Liebe verbunden.“Dennoch macht es ihr Mut, zu wissen, ich bin nicht allein mit dem Thema.
Das Gefüge einer Familie könnte durch einen Kontaktabbruch auseinanderfallen, befürchtet die dreifache Mutter. Auch wenn jede Familie anders ist, erfahre man in einer Selbsthilfegruppe ohne Vorurteile, andere sind auch traurig und hilflos. Verletzt und gekränkt zu sein, das sei menschlich, findet die Mutter. Hier könne man auch mal eine Stunde weinen. Das bringt das Kind nicht zurück, aber man kann seine Probleme für eine Zeit loslassen.
Immer wieder geht es ja darum, das erwachsene Kind loszulassen. Zu vertrauen, anstatt sich zu sorgen und zu kontrollieren. Gudrun Schwarz fragt jetzt auch: „Was bedeutet der Kontaktabbruch für mich, was hat das mit mir zu tun? Kann ich fürs Leben daraus lernen und eine Chance darin sehen?“