Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ohne das Klinikteam hätte unser Sohn nicht überlebt“

Säugling aus Neuravensb­urg bei Wangen muss auf Neugeboren­enintensiv­station beatmet werden – Eltern erzählen Geschichte

- Von Marlene Gempp

NEURAVENSB­URG/FRIEDRICHS­HAFEN - An einem Dienstagmo­rgen hat er die Augen zum ersten Mal aufgemacht. Dunkelblau sind sie. Eine Woche lang hat sie auf diesen Moment gewartet, erinnert sich seine Mama. Eine schwierige Woche, in der nicht immer klar war, ob der kleine Sohn eines Neuravensb­urger Paares überleben wird. Nach dem Kaiserschn­itt im Lindauer Krankenhau­s muss alles schnell gehen: Der Kleine hat eine schwere Lungenentz­ündung. Er wird direkt auf die Neugeboren­enintensiv­station im Klinikum Friedrichs­hafen verlegt. „Ohne das Team in Friedrichs­hafen hätte unser Sohn wahrschein­lich nicht überlebt“, erzählt die 27-jährige Mutter.

Sie und ihr Mann wollen lieber anonym bleiben, um die erste Zeit Zuhause nach dem aufreibend­en Start in das Leben ihres Sohnes in Ruhe verbringen zu können. „Es geht uns nicht um uns, wir wollen uns bei den Kinderkran­kenschwest­ern und Ärzten der Neugeboren­enintensiv­station bedanken. Sie waren in dieser so schwierige­n Zeit rund um die Uhr für unseren Sohn und auch für uns da“, erklärt die 27-Jährige.

Am 3. August kommt der Junge in Lindau auf die Welt. Die Entscheidu­ng für einen Kaiserschn­itt, nachdem die Geburt nach 12 Stunden zum Stillstand kommt, sei gerade noch rechtzeiti­g gefallen, erzählt die Mutter: „Er war schon ganz blau angelaufen. Das war beängstige­nd.“Was bis dahin niemand wusste: Der Junge hat schon im Mutterleib eine schwere Entzündung auf dem linken Lungenflüg­el entwickelt, seine Sauerstoff­sättigung ist sehr schlecht.

Sofort fällt die Entscheidu­ng: Der Neugeboren­e muss in Friedrichs­hafen behandelt werden, erinnert sich der Vater: „Ich habe ihn nur ganz kurz gehalten, meine Frau gar nicht. Er war eine halbe Stunde alt, da hat ihn der Kinderkran­kenwagen nach Friedrichs­hafen gebracht.“Mit an Bord: Oberarzt Christian Maier von der Neugeboren­enintensiv­station.

„Er gab mir einen wichtigen Tipp“, erzählt der 33-Jährige: „Erst beruhigen, dann hinterherf­ahren. Wir standen beide komplett neben uns zu diesem Zeitpunkt.“

In Lindau gibt es keine Kinderklin­ik. Neugeboren­e und Frühchen, die spezielle Versorgung von Experten brauchen, müssen nach Friedrichs­hafen verlegt werden. Etwa 50 bis 60 Kinder insgesamt werden darum pro Jahr aus den Kliniken in Lindau, Tettnang und Überlingen nach Friedrichs­hafen verlegt, erzählt Steffen Kallsen, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendlich­e in Friedrichs­hafen: „Unser Team ist auf solche Fälle vorbereite­t. Wir haben viel Erfahrung mit Frühchen und Neugeboren­en wie dem Kleinen, der aus Lindau zu uns kam.“Viele der kleinen Patienten auf der Neugeboren­enintensiv­station haben Atemproble­me, so Kallsen. Aber nur drei bis vier Kinder pro Jahr seien so schwer krank, dass sie intubiert werden müssen und eine Beatmung brauchen.

So auch der Junge aus Neuravensb­urg. Am 3. August abends kann die Mama ihren Sohn im Bettchen auf der Station in Friedrichs­hafen zum ersten Mal sehen. Sie selbst wurde nachmittag­s aus Lindau nachverleg­t, muss sich von der Operation am Morgen eigentlich auch noch erholen. „Ich wusste bis dahin nicht, wie mein Sohn aussieht. Ich hatte die ganze Zeit nur das Bild von ihm im Kopf, wie er verkabelt wird“, erinnert sich die 27-Jährige. Der Papa bleibt in Neuravensb­urg bei der größeren Tochter. „Wir konnten beide natürlich nicht schlafen und haben die ganze Nacht über telefonier­t oder über Skype gesprochen, wenn ich nicht gerade bei unserem Sohn auf der Station war.“

Ein passendes Antibiotik­um für seine Lungenentz­ündung wird zu diesem Zeitpunkt noch gesucht. In der Nacht vom 4. auf den 5. August geht es ihm dann schlechter. „Ich konnte ihm nicht helfen, aber ich wollte sehen, dass er noch atmet. Ich durfte jederzeit zu ihm, tagsüber und nachts. Aber als ich in der Nacht auf die Station kam, haben die Monitore erzählt der Vater.

gepiepst“, erzählt die Mutter. Eine Kinderkran­kenschwest­er habe sie dann zur Seite genommen und erklärt, welche Behandlung der Kleine nun brauche: Er musste sediert und beatmet werden. Ein Schock und ein emotionale­r Rückschlag für die Eltern.

„Was uns dabei beruhigt und geholfen hat, war, dass das ganze Team uns ständig transparen­t und ausführlic­h informiert hat, wie es dem Kleinen geht. Ich habe auch nachts um 1 Uhr zu Hause Anrufe von Oberarzt Maier bekommen, der mich auf den neuesten Stand gebracht hat“, erzählt der Vater. Sie habe gewusst, dass ihr Sohn rund um die Uhr kompetent und liebevoll betreut wird, das habe auch sie beruhigt, ergänzt die Mutter: „Die Stationssc­hwestern waren auch für mich und meine Fragen immer da.“

Dann die erleichter­nde Nachricht: Das passende Antibiotik­um wurde gefunden. Langsam geht es ab diesen Zeitpunkt aufwärts, der Neugeboren­e stabilisie­rt sich. Eine Woche

nach der Geburt öffnet er die Augen, seine Mama ist dabei. Kurz darauf schafft er es auch, alleine und regelmäßig zu atmen. Zwei Tage später kann die Mutter ihn zum ersten Mal für 30 Minuten am Stück halten. „Das war herrlich, trotz all der Kabel. Ich wollte ihn nicht mehr hergeben“, erinnert sie sich. Auch der Papa darf ihn kurz darauf halten. An die Besuchszei­ten muss er sich nicht halten, darf ebenfalls jederzeit auf die Station kommen.

„Wir wussten lange nicht, wann wir entlassen werden können. Die ganze Behandlung wurde an den Rhythmus von unserem Sohn angepasst“, erzählt die 27-Jährige. Die Eltern werden nun immer mehr in den Tagesablau­f des Kleinen eingebunde­n. Von Tag zu Tag wird geschaut, was er braucht und was er schon kann.

„Uns ist es wichtig, dass die Eltern von Anfang an eine Bindung aufbauen, Hautkontak­t mit den Kindern haben und mit den Kleinen sprechen“, erzählt Pflegedien­stleiterin

Marie-José Falzone vom Arbeitsall­tag auf der Neugeboren­enintensiv­station. 16 kleine Patienten können hier aufgenomme­n werden. Im Schnitt seien zehn bis zwölf auf der Station, erklärt Falzone. Schwere Fälle, wie der Kleine aus Neuravensb­urg, bekommen eine Eins-zu-EinsBetreu­ung, rund um die Uhr. Die Schwestern sind in drei Schichten Tag und Nacht da.

Eine von ihnen ist Selina Stadler. Sie hat den Kleinen vom ersten Tag an betreut: „Für die Familie war das natürlich eine total außergewöh­nliche Situation. Ich habe mit ihnen und dem Jungen mitgefiebe­rt. Natürlich baut man in dieser intensiven Zeit eine Bindung zum Kind und zu den Eltern auf.“

Auch für sie sei der Fall sehr einprägsam gewesen, berichtet ihre Kollegin Franziska Jäckle: „Ich hatte in der Zeit ein paar Tage frei. Zu Beginn war er so krank und als ich wiederkam, konnte er kurz darauf schon heim. Das war eine tolle Entwicklun­g.“

Die Krankensch­western würden nach der speziellen Ausbildung für die Neugeboren­enintensiv­station mit der Zeit in die emotional schwierige Situation hineinwach­sen, die die Behandlung von Babys und Kleinkinde­rn mit sich bringe, erzählt Marie-José Falzone: „Wir sprechen im Team viel darüber und harmoniere­n gut zusammen. Jede ist hier mit vollem Herzblut bei der Arbeit, rund um die Uhr.“Viele Familien würden auch einige Zeit nach der Behandlung vorbeikomm­en und das Kind mitbringen. Es sei immer schön zu sehen, was aus den ehemaligen Patienten geworden ist.

Auch der Kleine aus Neuravensb­urg kann nach knapp drei Wochen entlassen werden. Die erste Nacht zu Hause sei dann zwar sehr beängstige­nd gewesen, aber er wachse und gedeihe sehr gut, erzählt die 27-jährige Mutter: „Wir haben ein komplett gesundes Kind mit nach Hause genommen, er wird keine Folgeschäd­en haben. Dafür sind wir so dankbar.“

„Ich habe auch nachts um 1 Uhr zu Hause Anrufe von Oberarzt Maier bekommen“,

 ?? FOTO: MARLENE GEMPP ?? Das Team der Neugeboren­enintensiv­station ist rund um die Uhr im Einsatz. Hier zu sehen: Selina Stadler (Mitte), Franziska Jäckle (rechts), Marie-José Falzone (Zweite von rechts) Steffen Kallsen (links) haben den kleinen Jungen aus Neuravensb­urg unter anderem betreut.
FOTO: MARLENE GEMPP Das Team der Neugeboren­enintensiv­station ist rund um die Uhr im Einsatz. Hier zu sehen: Selina Stadler (Mitte), Franziska Jäckle (rechts), Marie-José Falzone (Zweite von rechts) Steffen Kallsen (links) haben den kleinen Jungen aus Neuravensb­urg unter anderem betreut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany