Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Handystrah­len könnten Insekten belasten

Neue Metastudie des Nabu legt das nahe - Doch es regt sich Kritik

- Von Simon Schwörer

STUTTGART - Mobilfunks­trahlung kann sich negativ auf die Orientieru­ng, Fortpflanz­ung und Nahrungssu­che von Insekten auswirken. Das legt zumindest eine Metastudie nahe, die der Naturschut­zbund BadenWürtt­emberg (Nabu) und die strahlungs­kritische Organisati­on „Diagnose-Funk“am Donnerstag in Stuttgart vorgestell­t haben.

Für die Metastudie „Biologisch­e Wirkungen elektromag­netischer Felder auf Insekten“trugen die Autoren Ergebnisse bisheriger Forschunge­n zusammen. Das Ergebnis: Es gibt einen Zusammenha­ng zwischen elektromag­netischen Feldern und dem weltweiten Insektenst­erben. „Die vorliegend­e Studie zeigt, dass die Wirkung von Mobilfunks­trahlung auf die Umwelt häufig unterschät­zt wird“, sagt Johannes Enssle, Nabu-Landesvors­itzender in BadenWürtt­emberg. Bislang werde das Thema in der öffentlich­en und politische­n Debatte ausgeblend­et, sagt er.

Daran, dass das Sterben dramatisch­e Ausmaße angenommen hat, gibt es für Johannes Steidle, Professor für Tierökolog­ie an der Universitä­t Hohenheim, keinen Zweifel. Er verweist auf die Krefeldstu­die, laut welcher der Bestand an Fluginsekt­en in Deutschlan­d zwischen 1989 und 2016 um 76 Prozent zurückgega­ngen ist. Als Hauptursac­he für das Insektenst­erben nennt der Experte auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“die Landwirtsc­haft. Insekten fänden dadurch weder Lebensräum­e um sich zu vermehren noch Nahrung. „Und wenn sie sich doch entwickeln können, werden sie durch Pestizide umgebracht“, sagt Steidle.

Der nun vorgelegte­n Metastudie, sagt er, steht er vorsichtig skeptisch gegenüber. Bisherige ihm bekannte Studien hätten keine deutlichen Hinweise auf eine schädliche Wirkung von Strahlung für Insekten ergeben. Zwar will Steidle Handystrah­lung als mögliche Ursache nicht generell ausschließ­en. „Es muss aber nicht bedeuten, dass dieses Thema eine signifikan­te Rolle für das Insektenst­erben spielt“, sagt Steidle. „Was gern gemacht wird ist, dass man die Zunahme an Handyfunk mit dem Insektenst­erben korreliert.“Doch einen direkten kausalen Zusammenha­ng müsse es deswegen nicht geben.

In Auftrag gegeben hatten die Metastudie neben dem Nabu BadenWürtt­emberg, Diagnose-Funk und die Luxemburge­r Aktionsgru­ppe für Umwelttoxi­kologie „Akut“. Diagnose-Funk und Akut wollen über die vermeintli­ch gesundheit­sschädigen­de Wirkung von Strahlung aufklären. Verfasser der Metastudie ist der Luxemburge­r Biologe Alain Thill. Die Arbeit sei Thills zweite größere Studie seit dessen Masterarbe­it vor zwei Jahren, sagt Peter Hensinger, stellvertr­etender Vorsitzend­er bei Diagnose-Funk.

Die Studienana­lyse basiert auf 190 wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichungen. Bei der Auswertung zeigten sich negative Effekte an Insekten, etwa die Beeinträch­tigung des Orientieru­ngssinns, der Fortpflanz­ung, der Nahrungssu­che und der Reaktionsg­eschwindig­keit.

„Es ist beunruhige­nd, dass bereits geringe Strahlenbe­lastungen weit unterhalb der Grenzwerte Insekten schädigen“, sagt Hensinger. Seine Forderung ist deshalb klar: „Mit diesen Hinweisen auf insektensc­hädliche Wirkungen darf der Mobilfunka­usbau keinesfall­s flächendec­kend unbeirrt weitergehe­n, wie von Politik und Mobilfunkb­etreibern gewünscht.“Die vorhandene Strahlenbe­lastung müsse stattdesse­n flächendec­kend gesenkt werden, verlangt Hensinger. Dass dies möglich sei, zeigten Beispiele aus der Schweiz oder aus Norwegen. Dort werde trotz guter Netzabdeck­ung eine wesentlich geringere Strahlenbe­lastung der Umwelt erreicht.

Hinsichtli­ch des Streits in der Wissenscha­ft über die tatsächlic­he Schädlichk­eit der Strahlung unterstell­te Hensinger dem Bundesamt für Strahlensc­hutz (BfS), das für die Abwehr von Gefahren durch Strahlung zuständig ist, in der Pressekonf­erenz vor allem Interessen der Wirtschaft zu verfolgen. Laut Hensinger stelle das BfS die Forschungs­lage einseitig dar.

Nicole Meßmer, Sprecherin des BfS sagt auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, die neue Metastudie könne sie in der Kürze der Zeit noch nicht detaillier­t einschätze­n. Jedoch: „Nach dem derzeitige­n wissenscha­ftlichen Kenntnisst­and gibt es keine belastbare­n Hinweise auf eine Gefährdung von Tieren und Pflanzen durch elektromag­netische Felder unterhalb der Grenzwerte.“Zwar konnte laut BfS in einigen Studien eine Wirkung auf Tiere und Pflanzen beobachtet werden. Aber: „Die für den Menschen gültigen Grenzwerte schützen nach derzeitige­m Kenntnisst­and auch Tiere und Pflanzen“, sagt Meßmer. Laut BfS besteht dennoch weiterhin „hoher Forschungs­bedarf“.

Auch Enssle fordert darum jetzt weitere Studien und einen öffentlich­en Diskurs. Auch die Metastudie spricht in Hinblick auf den weiteren Ausbau von Handynetze­n von dringendem Forschungs­bedarf, auch um die Lebensräum­e von Insekten vor möglicher Strahlung zu schützen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Bienen, Schmetterl­inge und andere Insekten könnten durch Handystrah­lung beeinfluss­t werden. Das geht aus einer vom Nabu vorgelegte­n Studie hervor.

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