Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Handystrahlen könnten Insekten belasten
Neue Metastudie des Nabu legt das nahe - Doch es regt sich Kritik
STUTTGART - Mobilfunkstrahlung kann sich negativ auf die Orientierung, Fortpflanzung und Nahrungssuche von Insekten auswirken. Das legt zumindest eine Metastudie nahe, die der Naturschutzbund BadenWürttemberg (Nabu) und die strahlungskritische Organisation „Diagnose-Funk“am Donnerstag in Stuttgart vorgestellt haben.
Für die Metastudie „Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Insekten“trugen die Autoren Ergebnisse bisheriger Forschungen zusammen. Das Ergebnis: Es gibt einen Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und dem weltweiten Insektensterben. „Die vorliegende Studie zeigt, dass die Wirkung von Mobilfunkstrahlung auf die Umwelt häufig unterschätzt wird“, sagt Johannes Enssle, Nabu-Landesvorsitzender in BadenWürttemberg. Bislang werde das Thema in der öffentlichen und politischen Debatte ausgeblendet, sagt er.
Daran, dass das Sterben dramatische Ausmaße angenommen hat, gibt es für Johannes Steidle, Professor für Tierökologie an der Universität Hohenheim, keinen Zweifel. Er verweist auf die Krefeldstudie, laut welcher der Bestand an Fluginsekten in Deutschland zwischen 1989 und 2016 um 76 Prozent zurückgegangen ist. Als Hauptursache für das Insektensterben nennt der Experte auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“die Landwirtschaft. Insekten fänden dadurch weder Lebensräume um sich zu vermehren noch Nahrung. „Und wenn sie sich doch entwickeln können, werden sie durch Pestizide umgebracht“, sagt Steidle.
Der nun vorgelegten Metastudie, sagt er, steht er vorsichtig skeptisch gegenüber. Bisherige ihm bekannte Studien hätten keine deutlichen Hinweise auf eine schädliche Wirkung von Strahlung für Insekten ergeben. Zwar will Steidle Handystrahlung als mögliche Ursache nicht generell ausschließen. „Es muss aber nicht bedeuten, dass dieses Thema eine signifikante Rolle für das Insektensterben spielt“, sagt Steidle. „Was gern gemacht wird ist, dass man die Zunahme an Handyfunk mit dem Insektensterben korreliert.“Doch einen direkten kausalen Zusammenhang müsse es deswegen nicht geben.
In Auftrag gegeben hatten die Metastudie neben dem Nabu BadenWürttemberg, Diagnose-Funk und die Luxemburger Aktionsgruppe für Umwelttoxikologie „Akut“. Diagnose-Funk und Akut wollen über die vermeintlich gesundheitsschädigende Wirkung von Strahlung aufklären. Verfasser der Metastudie ist der Luxemburger Biologe Alain Thill. Die Arbeit sei Thills zweite größere Studie seit dessen Masterarbeit vor zwei Jahren, sagt Peter Hensinger, stellvertretender Vorsitzender bei Diagnose-Funk.
Die Studienanalyse basiert auf 190 wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Bei der Auswertung zeigten sich negative Effekte an Insekten, etwa die Beeinträchtigung des Orientierungssinns, der Fortpflanzung, der Nahrungssuche und der Reaktionsgeschwindigkeit.
„Es ist beunruhigend, dass bereits geringe Strahlenbelastungen weit unterhalb der Grenzwerte Insekten schädigen“, sagt Hensinger. Seine Forderung ist deshalb klar: „Mit diesen Hinweisen auf insektenschädliche Wirkungen darf der Mobilfunkausbau keinesfalls flächendeckend unbeirrt weitergehen, wie von Politik und Mobilfunkbetreibern gewünscht.“Die vorhandene Strahlenbelastung müsse stattdessen flächendeckend gesenkt werden, verlangt Hensinger. Dass dies möglich sei, zeigten Beispiele aus der Schweiz oder aus Norwegen. Dort werde trotz guter Netzabdeckung eine wesentlich geringere Strahlenbelastung der Umwelt erreicht.
Hinsichtlich des Streits in der Wissenschaft über die tatsächliche Schädlichkeit der Strahlung unterstellte Hensinger dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das für die Abwehr von Gefahren durch Strahlung zuständig ist, in der Pressekonferenz vor allem Interessen der Wirtschaft zu verfolgen. Laut Hensinger stelle das BfS die Forschungslage einseitig dar.
Nicole Meßmer, Sprecherin des BfS sagt auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“, die neue Metastudie könne sie in der Kürze der Zeit noch nicht detailliert einschätzen. Jedoch: „Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand gibt es keine belastbaren Hinweise auf eine Gefährdung von Tieren und Pflanzen durch elektromagnetische Felder unterhalb der Grenzwerte.“Zwar konnte laut BfS in einigen Studien eine Wirkung auf Tiere und Pflanzen beobachtet werden. Aber: „Die für den Menschen gültigen Grenzwerte schützen nach derzeitigem Kenntnisstand auch Tiere und Pflanzen“, sagt Meßmer. Laut BfS besteht dennoch weiterhin „hoher Forschungsbedarf“.
Auch Enssle fordert darum jetzt weitere Studien und einen öffentlichen Diskurs. Auch die Metastudie spricht in Hinblick auf den weiteren Ausbau von Handynetzen von dringendem Forschungsbedarf, auch um die Lebensräume von Insekten vor möglicher Strahlung zu schützen.