Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
In Ungnade gefallen
Leiter der US-Seuchenschutzbehörde glaubt nicht an Impfstoff im Oktober – Das schadet Trumps Wahlkampf
Es war eine schallende Ohrfeige für den Direktor der Regierungsbehörde, die den Schutz vor Seuchen zu organisieren hat. „Ich glaube, er hat einen Fehler gemacht. Seine Informationen sind nicht korrekt“, wies Donald Trump den im öffentlichen Diskurs bisher eher zurückhaltenden Virologen Robert Redfield zurecht, den Leiter der CDC, der Centers for Disease Control and Prevention. Ein Impfstoff gegen das neue Coronavirus werde viel früher zur Verfügung stehen, als es „der Doktor“prophezeit habe.
Bei einer Anhörung im Senat hatte sich Redfield für seine Verhältnisse erstaunlich weit aus dem Fenster gelehnt und seinem Präsidenten dezidiert widersprochen. Nach Trumps Skizze kann bereits Mitte Oktober mit einem Vakzin gerechnet werden. Käme es so, könnte der Amtsinhaber mit einer echten Erfolgsstory in die Endphase des Wahlkampfs ziehen. Seine Behauptung, dass man auf die Zielgerade der Pandemie einbiege, würde glaubwürdiger klingen. Ausgerechnet Redfield, ein Experte, der offenem Streit mit dem Weißen Haus bislang aus dem Weg ging, hat die zweckoptimistischen Prognosen im Grunde ins Reich reinen Wunschdenkens verwiesen.
Die meisten Amerikaner, sagte er, dürften frühestens im späten Frühjahr, vielleicht auch erst im Sommer nächsten Jahres Zugang zu dem Impfstoff haben. Selbst wenn ihn die zuständige Food and Drug Administration (FDA) schon bald genehmigen sollte, werde es dauern, bis er massenhaft verfügbar sei. Diese Zeitlücke sei nicht zu unterschätzen. Damit präzisierte Redfield einen Fahrplan, wie ihn die meisten seiner Kollegen in den USA für halbwegs realistisch befinden.
Anthony Fauci, Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten, hält die Rückkehr zu einem Alltagsleben, wie man es aus Prä-Corona-Zeiten kenne, erst Ende 2021 für möglich. Vor überzogenen Erwartungen warnte am Donnerstag auch das BiotechUnternehmen Moderna, das im globalen Wettlauf um den Durchbruch mit an der Spitze liegt. Eine erste Auswertung nach Versuchen mit rund 30 000 Testpersonen sei nicht vor Ende Dezember geplant, teilte das Unternehmen mit. Ob das Vakzin wirke, werde man vermutlich erst nach gründlicheren Analysen im März und im Mai wissen. Fauci wiederum geht davon aus, dass es nach Zulassung des Impfstoffs rund sechs Monate dauern wird, bis das Gros der Bevölkerung geimpft ist. Auf der Bühne des Weißen Hauses ist der 79Jährige, ein Fachmann, der Klartext redet, ohne auf politisches Kalkül auch nur die geringste Rücksicht zu nehmen, kaum noch zu sehen. Nominell gehört er der Corona-Taskforce der Regierungszentrale zwar nach wie vor an, de facto hat ihn Trump längst aus seinem Beraterstab verbannt. Gut möglich, dass nun auch Redfield aufgrund seiner nüchternen Analyse in Ungnade fällt.
Mit dem Impfschutz, relativierte der CDC-Chef, sei keineswegs Immunität garantiert. Eindeutige Beweise gebe es dagegen für die Wirksamkeit des Mund-Nasen-Schutzes. „Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Die Sicherheit, dass mich eine Maske vor Covid schützt, ist größer als die Sicherheit, die ich mit einer Impfung gegen Covid habe.“
Im aufgewühlten amerikanischen Diskurs klang das wie eine Kampfansage, sodass sich Redfield auch dafür eine Rüge Trumps einhandelte: Offenbar
habe der Mann etwas durcheinandergebracht, vielleicht habe ihn etwas irritiert, jedenfalls sei falsch gewesen, was er gesagt habe.
Für Anhänger des Präsidenten ist es nämlich fast schon eine Art Glaubensbekenntnis, sich maskenlos zu versammeln, etwa bei Wahlkundgebungen, nicht nur im Freien, sondern auch in geschlossenen Räumen. Die Botschaft: Man möge es nicht übertreiben, in Wirklichkeit sei alles nur halb so schlimm, die Opposition wolle nur Panik schüren. Michael Caputo, im Gesundheitsministerium bis vor Kurzem zuständig für Kommunikation, sprach sogar von einer Verschwörung führender Epidemiologen, die eine „Zelle des Widerstands“gebildet hätten, um dem Staatschef zu schaden. Zwar musste Caputo daraufhin seinen Posten räumen, aber er ist nicht entlassen, sondern lediglich für zwei Monate vom Dienst suspendiert.
Die Demokraten sehen in dem in ihren Augen unverantwortlichen Drängen auf Eile einen weiteren Beleg dafür, dass Trump alles, wirklich alles, dem Ziel seiner Wiederwahl unterordnet. Patty Murray, eine Senatorin aus dem Pazifikstaat Washington, spricht von „blindwütiger“politischer Einmischung in wissenschaftliche Prozesse und wirft dem Präsidenten vor, grünes Licht für ein Vakzin erzwingen zu wollen, ohne die letzte Phase gründlicher Tests abzuwarten. Wann es einen Durchbruch in der Forschung gebe, richte sich nicht nach einem Wahlkalender, sagt Joe Biden, der Rivale im Duell ums Oval Office. „Ich habe Vertrauen in Impfungen. Ich habe Vertrauen in die Wissenschaft. Donald Trump vertraue ich nicht.“