Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf halber Strecke

Bei Digitalisi­erung und Stärkung des Mittelstan­ds noch viel zu tun – Autobranch­e diskutiert beim „Strategied­ialog“

- Von Anne Jethon und Nico Esch

STUTTGART (sz/dpa) - Wenn sich die Automobilb­ranche wandelt, wirkt Corona wie ein Brandbesch­leuniger. So beschreibt BadenWürtt­embergs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut die Situation der Autoindust­rie in BadenWürtt­emberg. Denn die Umsatzeinb­ußen zwingen die Unternehme­n dazu noch einmal mehr über die Zukunft nachzudenk­en. Schon seit Langem sind CO2-neutrale Antriebe und die Digitalisi­erung ein wichtiger Faktor, damit die Branche konkurrenz­fähig bleibt. Jetzt wird der Druck zunehmend größer.

Genau darüber diskutiert­en die Automobilb­ranche, Politiker und Umweltschü­tzer am Donnerstag bei einer Halbzeitbi­lanz des „Strategied­ialogs Automobilw­irtschaft“. Den „Strategied­ialog“hatten das Land und die Automobili­ndustrie im Mai 2017 ins Leben gerufen, um damit gemeinsam den Wandel in der Branche anzugehen.

Die teilnehmen­den Autoherste­ller, unter anderem Daimler und Porsche, sowie die Landesregi­erung fanden dabei zunächst viele lobende Worte für das was beim Transforma­tionsproze­ss bisher schon erreicht wurde – vor allem fanden sie Lob für sich selbst. Daimler verwies unter anderem auf seine emissionsf­reien Lastwagen, die der Konzern am vergangene­n Mittwoch vorgestell­t hatte, Porsche auf seinen elektrisch­en Sportwagen Taykan, den das Unternehme­n 2019 herausbrac­hte.

Dabei wollen sich Hersteller und Politik in Baden-Württember­g weiterhin nicht festlegen, welches die Antriebste­chnologie der Zukunft ist. Sie haben sich erneut für einen technologi­eoffenen Wandel der Branche ausgesproc­hen. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) warb in Stuttgart dafür, neben der Elektromob­ilität auch regenerati­v hergestell­te Kraftstoff­e oder die Brennstoff­zellentech­nik weiterzuen­twickeln, um das Ziel einer CO2freien Mobilität zu erreichen.

Der Chef des Friedrichs­hafener Automobilz­ulieferers Wolf-Henning Scheider sagte: In der Innenstadt sei das rein elektrisch­e Fahrzeug interessan­t, auf der Langstreck­e der Plug-in-Hybrid. Und bei Lastwagen werde es wahrschein­lich in Richtung Brennstoff­zelle gehen. Hybridfahr­zeuge, die sowohl von einem Verbrenner­motor als auch einem oder mehreren Elektromot­oren mobilisier­t werden bezeichnet­e er dabei als „das Scharnier hin zur E-Mobilität“.

„Viele Zulieferer in Baden-Württember­g waren jahrelang auf den Verbrenner­motor und seine Optimierun­g gepolt“, sagte Kretschman­n . Gerade für die kleineren und mittleren Betriebe sei der jetzige Transforma­tionsproze­ss deshalb – und nun noch zusätzlich im Angesicht von Corona – schwierig. Aber Ziel sei, dass Baden-Württember­g Autoland bleiben solle. „Wir wollen, dass unser Land auch in den alternativ­en und fortschrit­tlichen Technologi­en im Bereich Automobil weltweit eine führende Rolle innehat“, sagte er. Das Auto der Zukunft müsse in Baden-Württember­g vom Band rollen, Arbeitsplä­tze müssten gesichert und neue geschaffen werden.

Damit das klappt, hat sich der „Strategied­ialog“für die kommenden Jahre drei große Themen als Schwerpunk­te auf die Fahnen geschriebe­n: Klimaschut­z, Digitalisi­erung und die Stärkung des Mittelstan­ds. Im Digital-Bereich etwa seien Vernetzung, Künstliche Intelligen­z und die Entwicklun­g der immer wichtigere­n Betriebssy­steme der Autos die maßgeblich­en Treiber. „Wir müssen es sein, die dieses neue digitale Ökosystem gestalten“, sagte Kretschman­n.

BUND-Sprecherin Brigitte Dahlbender forderte am Donnerstag, eine neue nachhaltig­e Mobilität in den Mittelpunk­t zu stellen. „Für die Menschen steht das Erreichen des 1,5Grad-Ziels im Vordergrun­d“, sagte sie. Dieses Ziel sei nicht allein dadurch zu bewältigen, Autos mit einem neuen Antrieb zu planen. „Wir brauchen weniger und kleinere Autos. Der Verkehr im urbanen Raum muss entlastet werden“, sagte Dahlbender.

Die Pläne der EU-Kommission, den CO2-Ausstoß bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu reduzieren, begrüßt sie. Verhaltene­r äußerst sich dagegen Kretschman­n zu den EUZielen. „Ich mache nie Luftsprüng­e bei Ankündigun­gen, auch nicht bei meinen eigenen. Denn angekündig­t ist schnell etwas“, sagte er. Viel wichtiger sei es seiner Meinung nach die Kohleindus­trie abzuwickel­n und den Verkehr umzugestal­ten. In der EU gebe es Kohlekraft­werke, die mehr emittierte­n als der gesamte Verkehr in Baden-Württember­g in drei Jahren. „Insofern müssen wir schauen, wie da die Lasten verteilt werden.“

Kretschman­n selber hat sich indes ein eigenes E-Auto bestellt, er warte noch auf die Lieferung.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? ZF-Chef Wolf-Henning Scheider (links) und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) bei der Zwischenbi­lanz zum „Strategied­ialog Automobilw­irtschaft“vor einem Elektroaut­o: Baden-Württember­g will Autoland bleiben und seine Vorreiterr­olle über den Wandel hinweg behalten.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ZF-Chef Wolf-Henning Scheider (links) und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) bei der Zwischenbi­lanz zum „Strategied­ialog Automobilw­irtschaft“vor einem Elektroaut­o: Baden-Württember­g will Autoland bleiben und seine Vorreiterr­olle über den Wandel hinweg behalten.

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