Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wer den Shutdown bezahlen muss
Versicherer weigern sich – Tausende Betriebe mit Schließungsschutz klagen und können nun hoffen
BERLIN - Versicherungen kassieren gerne die Prämien, zahlen im Schadensfall aber nur ungern – dieses Klischee sahen zahlreiche Restaurants und Unternehmen nach dem Shutdown im Frühjahr bestätigt. Viele Firmen, die sich gegen Betriebsschließungen abgesichert fühlen, erhielten am Ende kein Geld. Die Versicherer fanden Hintertüren, um die Zahlung zu verweigern. Das hat eine Klagewelle ausgelöst, von der jetzt die ersten Ergebnisse zu sehen sind.
Am Donnerstag verkündete das Landgericht München einen ersten Zwischenstand: Auch wenn der Erreger Sars-CoV-2 im Vertrag nicht ausdrücklich genannt ist, müssen die Versicherer grundsätzlich zahlen. Im Namen vieler anderer Lokale hatte unter anderem das Paulaner-Wirtshaus am Nockherberg in München gegen den Versicherungs-Marktführer Allianz geklagt; nach Ansicht von Rechtsexperten haben die Wirte nun gute Chancen auf einen Sieg vor Gericht. Das endgültige Urteil steht hier noch aus.
Die Richterin sprach am Donnerstag zugleich ein klares Urteil in einem parallel laufenden Verfahren. Eine Kita hatte ebenfalls auf Versicherungsleistungen geklagt. Sie hat jedoch im Shutdown eine Notbetreuung
angeboten. „Die einschlägigen Versicherungsbedingungen setzten für den Eintritt des Versicherungsfalls jedoch eine vollständige Betriebsschließung voraus“, so das Gericht. Es hat die Klage daher abgewiesen.
Die Richterin betonte jedoch auch, dass es auch weiterhin auf den jeweiligen Vertrag ankommt. Der Wortlaut ist jeweils unterschiedlich, denn weder die Kunden noch die Anbieter haben bisher im Detail auf den
Passus zu Seuchen geachtet. „Bis zu diesem Frühjahr rangierten Gesundheitsrisiken auf der Rangliste der konkreten Befürchtungen weit abgeschlagen“, sagt Georg Abegg, Experte für Versicherungsrecht bei der Kanzlei Rödl & Partner. Erst kurz vor dem Lockdown haben die Versicherungskunden in ihre Verträge geschaut: Bin ich gegen eine Betriebsschließung versichert, die von einer Seuche verursacht wird?
Auch die Versicherer selbst haben Krankheiten jahrelang in die Liste der abgedeckten Gefahren aufgenommen, ohne dafür einen nennenswerten Aufpreis zu verlangen. Offenbar haben sie nicht wirklich mit nennenswerten Zahlungen gerechnet.
Für die Versicherungsbranche wird es nun umso teurer. Sie hatte nur einzelne Schadenfälle wegen Krankheiten eingeplant, etwa eine gelegentliche Restaurantschließung wegen Salmonellen. Stattdessen sieht sie nun eine Welle von Forderungen auf sich zurollen. Es gibt allein zwischen 25 000 und 40 000 Restaurants, Cafés und Hotels, die Betriebsschließungsversicherungen haben, schätzt der Gaststättenverband Dehoga. Wenn Seuchen abgedeckt sind, müssen die Versicherer den Inhabern ein Tagegeld für die Zeit des Shutdown zahlen. Das war zumindest die Hoffnung der Wirte – umso größer war dann der Ärger, als die Anbieter den Ausgleich verweigerten. Allein an dem Gericht in München sind bereits 72 Klagen wegen nicht zahlender Betriebsschließungsversicherungen eingegangen.
Der Streit betrifft nun auch die Frage, welche Seuchen unter welchen Umständen versichert sind. Als die Verträge abgeschlossen wurden, gab es Covid noch gar nicht. Einige Versicherer pochen nun darauf, für eine damals nicht genannte Krankheit nicht zahlen zu müssen.
Ein anderer Streitpunkt betrifft die Frage, was eine Betriebsschließung ist. Die Versicherer haben da ihre eigene Sicht. Sie behaupten, es sei nur eine ausdrückliche, gezielte Schließung der einzelnen Firma gemeint. Wenn ein ganzes Bundesland einen Lockdown verhänge, sei das etwas anderes. Das Landgericht Mannheim hat jedoch im April bereits geurteilt, solche flächendeckenden Betriebsschließungen sollten von der Versicherung abgedeckt sein.
Der Versicherungsrechtsexperte Abegg rät dazu, sich die Unterlagen der vorhandenen Betriebsunterbrechungsversicherung genau anzusehen. Wenn die Art der abgedeckten Betriebsunterbrechung vergleichsweise offen gehalten ist, handelt es sich tendenziell um eine gute Versicherung.