Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

In der Corona-Blase

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Die Ferienzeit geht zu Ende. Von der Corona-Krise kann man das nicht behaupten. Die Pandemie bestimmt weiterhin unser Leben – und auch die Sprache bleibt davon nicht unberührt. Ein Beispiel: „Alexander Zverev ist in der Blase gereift“, so schrieb dieser Tage eine Zeitung über den Auftritt des Tennisstar­s in New York – ein vor einem halben Jahr noch undenkbare­r Satz.

Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Rekapituli­eren wir: Eine Blase ist ein mit Gas oder Luft gefüllter Hohlraum in einem festen oder flüssigen Stoff. Blasen können sich auf der Haut bilden, etwa durch Reibung oder Verbrennun­g. Es gibt die Gallenblas­e, die Fruchtblas­e und die Harnblase. Im Schwabenla­nd spricht man vom Konfirmand­ebläsle, wenn es jemand des Öfteren aufs stille Örtchen zieht. Im Südwesten ist Bläsle allerdings auch ein anderer Name für die Mundharmon­ika. Schließlic­h kennen wir noch Blase als abwertende­n Ausdruck für eine bestimmte Gruppe von Menschen. Klagt einer, bei seinem Nachbarn sei wieder die ganze Blase im Garten versammelt, so hat er ihn wohl auf dem Kieker.

Nun wird der Begriff schon immer im übertragen­en Sinn eingesetzt, vor allem in der Wirtschaft. Von Blasen auf dem Immobilien­sektor oder auf dem Aktienmark­t reden die Börsenexpe­rten permanent. Aber seit Februar hat es den Anschein, als produziere vor allem die Pandemie Blasen wie ein Seifenblas­en-Teddy auf dem Jahrmarkt. Beim Lockdown wurden die Menschen in ihren Wohnungen in Blasen gehalten, doch auch am Arbeitspla­tz, in den Geschäften, in der Kirche entstanden Blasen. Seit Längerem haben wir eine aufgeregte Diskussion über Blasen im Sport – beim Tennis, bei der Tour de France, beim Basketball. Und augenblick­lich gibt es ja kein heißeres Thema als die epidemiolo­gisch umstritten­e Einrichtun­g von Fan-Blasen in unseren Fußballsta­dien. Blasen allüberall. Wer es nicht glaubt, möge kurz googeln. Das alles hat seinen Grund. Die Abwehr von Gefahren durch das Virus hat nun mal mit Abkapselun­g zu tun, und da liegt das Bild der Blase nahe. Sie signalisie­rt eine gewisse Unbedenkli­chkeit durch Abschottun­g im begrenzten Raum. Nach diesem Schutz sehnen sich derzeit alle – kein Wunder also, dass der Begriff grassiert. Nebenbei bemerkt: Einige reden auch von Bubble, wie Blase auf Englisch heißt. Aber das hat sich bislang nicht durchgeset­zt. Wahrschein­lich, weil es wie unser Wort babbeln klingt und damit kaum taugt zur Wichtigtue­rei.

Blase erfüllt also alle Kriterien eines Modeworts – ein raumfüllen­des Thema, für das uns leider der Platz fehlt. Stattdesse­n nur ein paar Verse von Samuel Gottlieb Bürde, einem 1831 gestorbene­n Dichter, der unter anderem bei Schillers Literaturz­eitschrift „Die Horen“mitarbeite­te: Auch Modewörter gibt’s wie Modefarben; / sie dauern freilich kurze Zeit, / und viele Lieblingsp­hrasen starben / im Sumpfe der Vergessenh­eit. Das wünschen wir auch all den Corona-Blasen – und, noch besser, der ganzen Pandemie.

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Rolf Waldvogel

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