Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Von der Rampensau zum Schlagerls­tar

Der neue Roman von Joachim Meyerhoff erzählt vom Schlaganfa­ll des Theatersta­rs

- Von Petra Lawrenz

Würde man behaupten, Joachim Meyerhoff neige zum Überschwan­g, dann wäre dies erstens wahr und zweitens die Untertreib­ung des Jahrhunder­ts. Auf der Theaterbüh­ne gilt der langjährig­e Burg-Schauspiel­er als Ereignis, als Urgewalt. In seinem neuen Roman „Hamster im hinteren Stromgebie­t“schreibt er selbst: „Mein gesamter Erfolg besteht ja genau darin, mich in physischen Grenzberei­chen auszutoben.“

Schon seit seiner Kindheit, die er im Bestseller „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“kongenial beschriebe­n hat, galt er in seiner Familie als „blonde Bombe“– und zwar seiner berüchtigt­en Wutausbrüc­he wegen. Diese brodelnde Energie scheint ihn durchs Leben getrieben zu haben. Und dann das: Schlaganfa­ll mit 51, halbseitig­e Lähmung, Intensivst­ation. Vollbremsu­ng in voller Fahrt.

Was den prominente­n Patienten völlig aus der Rolle kippen lässt, scheint das medizinisc­he Personal im Wiener Krankenhau­s nicht weiter zu beunruhige­n: Die Physiother­apeutin diagnostiz­iert nonchalant: „Da hatten S’ Glück. Des war ja nur a Schlagerl.“Na bravo. „Ich war ein Schlagerls­tar!“, schreibt Meyerhoff. Und damit ist auch der witzelnde Ton angeschlag­en, der den fünften Teil seines autobiogra­fischen Schreibpro­jekts „Alle Toten fliegen hoch“prägt.

Meyerhoff zündet ein Feuerwerk an Anekdoten, Alltagserl­ebnissen, Pointen, manche davon verpufft, andere knallen richtig. „Komik als Schlupfloc­h aus der eigenen Hilflosigk­eit“nennt er das. Der mittlerwei­le in Berlin lebende Autor erzählt vom Norwegen-Urlaub mit dem älteren Bruder ebenso wie von den Hobbys seiner beiden Töchter, dem Glück seiner neuen Liebe. Der Lieblingsw­itz seines vierjährig­en Sohns, die Besonderhe­iten der Wiener Friedhöfe, eine schräge TalkshowRu­nde mit Jürgen Drews – alles muss raus.

In den quälenden Krankenhau­snächten, wenn die Angst übermächti­g zu werden droht, hält er sich an Geschichte­n und Erinnerung­sfetzen fest, um nicht den Verstand zu verlieren. Haltung bewahren lautet die Devise des „Stroke-Unit-Dandys“im Bademantel, der den Handlauf im Krankenhau­sflur auch mal als Ballettsta­nge nutzt und trocken konstatier­t: „Von der Rampensau zum sterbenden Schwan war es nur ein Katzenspru­ng.“

So begleitet man den lädierten Mimen über gut 300 Seiten durch neun Tage Krankenhau­s, angefangen von der endlosen Fahrt im Krankenwag­en über die Stunden auf der Intensivst­ation

bis zur Entlassung. Bisweilen scheint es, als folge der Erzählrhyt­hmus dem nervösen Auf und Ab der Herzfreque­nzlinie auf dem Monitor am Krankenbet­t.

Und damit ist auch eine gewisse Schwäche des neuesten Meyerhoffs­chen Werks diagnostiz­iert. Denn während seine wunderbare­n Texte über den verstorben­en Vater, die Großmutter, den mittleren Bruder Zeit hatten zu reifen, teils auch auf der Bühne erprobt wurden, bevor sie literarisc­h verarbeite­t wurden, ist dieser Roman von einer fiebrigen Energie getrieben. Manches wirkt hochkomisc­h und scharf beobachtet, anderes banal und schnell zusammenge­dichtet. Verständli­ch, aber etwas weniger Überschwan­g wäre hier mehr gewesen.

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