Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Von der Rampensau zum Schlagerlstar
Der neue Roman von Joachim Meyerhoff erzählt vom Schlaganfall des Theaterstars
Würde man behaupten, Joachim Meyerhoff neige zum Überschwang, dann wäre dies erstens wahr und zweitens die Untertreibung des Jahrhunderts. Auf der Theaterbühne gilt der langjährige Burg-Schauspieler als Ereignis, als Urgewalt. In seinem neuen Roman „Hamster im hinteren Stromgebiet“schreibt er selbst: „Mein gesamter Erfolg besteht ja genau darin, mich in physischen Grenzbereichen auszutoben.“
Schon seit seiner Kindheit, die er im Bestseller „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“kongenial beschrieben hat, galt er in seiner Familie als „blonde Bombe“– und zwar seiner berüchtigten Wutausbrüche wegen. Diese brodelnde Energie scheint ihn durchs Leben getrieben zu haben. Und dann das: Schlaganfall mit 51, halbseitige Lähmung, Intensivstation. Vollbremsung in voller Fahrt.
Was den prominenten Patienten völlig aus der Rolle kippen lässt, scheint das medizinische Personal im Wiener Krankenhaus nicht weiter zu beunruhigen: Die Physiotherapeutin diagnostiziert nonchalant: „Da hatten S’ Glück. Des war ja nur a Schlagerl.“Na bravo. „Ich war ein Schlagerlstar!“, schreibt Meyerhoff. Und damit ist auch der witzelnde Ton angeschlagen, der den fünften Teil seines autobiografischen Schreibprojekts „Alle Toten fliegen hoch“prägt.
Meyerhoff zündet ein Feuerwerk an Anekdoten, Alltagserlebnissen, Pointen, manche davon verpufft, andere knallen richtig. „Komik als Schlupfloch aus der eigenen Hilflosigkeit“nennt er das. Der mittlerweile in Berlin lebende Autor erzählt vom Norwegen-Urlaub mit dem älteren Bruder ebenso wie von den Hobbys seiner beiden Töchter, dem Glück seiner neuen Liebe. Der Lieblingswitz seines vierjährigen Sohns, die Besonderheiten der Wiener Friedhöfe, eine schräge TalkshowRunde mit Jürgen Drews – alles muss raus.
In den quälenden Krankenhausnächten, wenn die Angst übermächtig zu werden droht, hält er sich an Geschichten und Erinnerungsfetzen fest, um nicht den Verstand zu verlieren. Haltung bewahren lautet die Devise des „Stroke-Unit-Dandys“im Bademantel, der den Handlauf im Krankenhausflur auch mal als Ballettstange nutzt und trocken konstatiert: „Von der Rampensau zum sterbenden Schwan war es nur ein Katzensprung.“
So begleitet man den lädierten Mimen über gut 300 Seiten durch neun Tage Krankenhaus, angefangen von der endlosen Fahrt im Krankenwagen über die Stunden auf der Intensivstation
bis zur Entlassung. Bisweilen scheint es, als folge der Erzählrhythmus dem nervösen Auf und Ab der Herzfrequenzlinie auf dem Monitor am Krankenbett.
Und damit ist auch eine gewisse Schwäche des neuesten Meyerhoffschen Werks diagnostiziert. Denn während seine wunderbaren Texte über den verstorbenen Vater, die Großmutter, den mittleren Bruder Zeit hatten zu reifen, teils auch auf der Bühne erprobt wurden, bevor sie literarisch verarbeitet wurden, ist dieser Roman von einer fiebrigen Energie getrieben. Manches wirkt hochkomisch und scharf beobachtet, anderes banal und schnell zusammengedichtet. Verständlich, aber etwas weniger Überschwang wäre hier mehr gewesen.