Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Willkommen zum Spiel um Platz 2
Heute beginnt die 58. Saison der Fußball-Bundesliga, Spannung verspricht allein der Abstiegskampf
STUTTGART - „Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht“, sagte Sepp Herberger vor 50 Jahren lakonisch, heute, vor Beginn der 58. Bundesliga-Saison, mutet seine Aussage eher anachronistisch an. Stimmig wäre ein anderer Satz: Wer wissen will, wie sich die Menschen morgen verhalten und die Zukunft aussieht, der schaue sich am besten Gegenwart und Vergangenheit an. Auf den Fußball bezogen, sind das acht Zahlen: 25, 19, 10, 10, 15, 21, 2, 13 – mit diesen Punktvorsprüngen wurde der FC Bayern zuletzt deutscher FußballMeister. Dass sich ausgerechnet nach einem Jahr, in dem Hansi Flick die Münchner in die besten aller Zeiten verwandelte, etwas daran ändern sollte, ist so unwahrscheinlich wie die Landung von Marsmenschen in sagen wir einmal Dortmund. Nur 110 Euro bekommt derjenige, der dieser Tage bei Buchmachern 100 Euro auf die Bayern als Meister wettet – wer seinen Hut auf einen menschenleeren Marktplatz stellt und Triangel spielt, hat wohl mehr Aussicht auf Ertrag.
Acht Mal in Folge wurde der FCB inzwischen Meister und ist auf bestem Weg, die alte Marke von Dynamo Berlin einzustellen, das bis 1989 zehn Mal in Serie DDR-Primus wurde, ehe der Club von der Perestroika-Welle verschluckt wurde. Was damals die SED per Dekret möglich machte – die Ostoberen zwangen die besten Spieler, zu Dynamo zu wechseln –, ist heutzutage, 31 Jahre später, die pure Folge ungleicher Geldverteilung. Bayerns Ex-Macher Uli Hoeneß rühmte sich zwar kürzlich, die Ablösesumme der Münchner Startelf im ChampionsLeague-Finale sei dreimal günstiger gewesen als die der Pariser. Was der 68-Jährige Rentner im Unruhestand wohlweislich verschwieg, ist, dass die Münchner längst Spezialisten dafür sind, via Handgelder und Ausnutzung ihrer Marktmacht die deutschen Stars Jahre im voraus dazu zu überreden, ablösefrei zu wechseln. Die sportliche und finanzielle Vorherrschaft der Bayern wird somit noch zementiert. In punkto Eigenkapital (497 Millionen) und Umlaufvermögen (220) sind sie der Konkurrenz meilenweit enteilt, nur Borussia Dortmund (355/102), in den acht Jahren fünf Mal der Thronfolger, kann noch halbwegs mithalten. Spannung geht anders.
Lange Jahre hatten sich die Clubs der Liga mit der ungleichen Geldverteilung, die vor allem durch die UEFAPrämien
zustande kommt – Spitzenclubs können durch europäische Erfolge mehr als 100 Millionen Euro scheffeln, ihre Ligen gehen leer aus – fast schon fatalistisch arrangiert. Erst durch die Corona-Krise und das plötzliche Fehlen von 15 Prozent des Geldes durch das Zuschauerverbot kam Widerstand auf. Das nationale Geld gleichmäßig neuzuverteilen bringe allerdings keine Spannung, sagt DFLChef Christian Seifert. „Was den Wettbewerb in den Ligen und ganz Europa zementiert hat, sind die Gelder der Champions League.“
Tatsächlich haben die Clubs derzeit andere Sorgen, als sich um die Bayern zu kümmern, manche befürchten, dass ihnen die Fan-Base, die jungen Zuschauer durch die Pandemie und geschlossene Stadien abhanden kommen. Die meisten Vereine sind schon froh, ihren Status quo zu halten und wollen das Vertrauen der Politik, die für eine sechswöchige Testphase die 20-prozentige Auslastung der Stadien erlaubte, nicht enttäuschen. Seifert erwartet „die anspruchsvollste und schwierigste Spielzeit in der Geschichte des professionellen Fußballs in Deutschland“.
Zumindest die Top 6 des deutschen Fußballs sollten sich mit Jammern weiter zurückhalten. Dortmund verbuchte zuletzt zwar ein 45-MillionenEuro Minus, investierte aber dennoch 52 Millionen Euro in Ablösen, darunter 26 Millionen für das 16-jährige Mittelfeldtalent Jude Bellingham. Keine Frage: Auch dank seiner herausragenden Youngsters Erling Haaland und Jaden Sancho bleibt der BVB klarer Favorit im Spiel um Platz 2. Verfolger RB Leipzig verlor zwar Timo Werner, den zweitbesten Torjäger der Liga, wird aber bis zum Transferschluss am 5. Oktober noch nachlegen. Auch in Leipzig ist Geld kein Problem, eine Art Schenkung, ein 100-Millionen-Euro-Schuldenerlass durch den Dosensponsor, hat es gezeigt. Dank Trainer Julian Nagelsmann, der RB auch ohne Werner ins Champions-League-Halbfinale führte, bleibt Leipzig der große BVB-Rivale – noch vor Bayer Leverkusen und dem VfL Wolfsburg, die die Finanzkrise ebenso wenig berührt. Auch sie können durch ihre Großsponsoren in schlechten Zeiten Kapital nachschießen, Leverkusen hat ellerdings den Verlust von Kai Havertz und Kevin Volland, also 50 Prozent seiner Scorerpunkte, zu kompensieren. Über Hertha BSC, den neureichen Investoren-Club, der von Lars Windhorst 200 Millionen Kapital erhielt und nun mit dem erstaunlichen üppigen Sturmtrio Cunha-Andersson-Lukebakio an den Start geht, braucht sich ebenfalls keiner Sorgen machen. Es dürften die üblichen Verdächtigen werden, die die Champions-League-Plätze ausspielen – mit Borussia Mönchengladbach als einzigem Club, der durch kluges Wirtschaften und cleveres Scouting mit den Konzernteams mithalten kann.
Vitalität und Spannkraft jedoch gewinnt die Liga vor allem durch den Abstiegskampf. Gleich acht von 18 Teams werden um die Klasse zittern müssen – Köln, Union, Mainz, Werder, Augsburg, Schalke, Stuttgart und Bielefeld. Für manchen Traditionsclub, etwa die Bremer und Schalker, die auch in fetten Zeiten, wie man heute weiß, stets auf Kante nähten, könnten auch Gehaltsdebatten wieder aktuell werden. Trotz des Verlusts seiner Nationalspieler Luca Waldschmidt und Robin Koch taucht der SC Freiburg nicht in der Liste auf. Zu oft verstand es Trainer Christian Streich, neben Flick und Nagelsmann der überragende Trainer in der Bundesliga, solche Abgänge zu kompensieren.
„Christian Streich verdient für jeden Klassenerhalt die Auszeichnung Trainer des Jahres“, findet Ottmar Hitzfeld, notorischer Double-Sieger mit den Bayern. Tatsächlich gibt es Fußball-Romantiker, die hoffen, dass kleine Clubs am Ende sogar als Sieger aus der Corona-Krise hervorgehen. Auch wenn sie keine Erich-MielkeGedächtnisrekorde brechen: Sie verstehen es, Geld sinnvoll auszugeben, aus den Ressourcen das Beste zu machen. Womöglich, weil sie es gewöhnt sind, nur wenig davon zu haben.
„Christian Streich verdient für jeden Klassenerhalt die Auszeichnung Trainer des Jahres.“
Ottmar Hitzfeld