Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Als das „Fräulein“verschwand

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Frauen in der Bundesrepu­blik nicht mehr die Genehmigun­g ihres Mannes, wenn sie arbeiten wollen.

Noch heute ist der Kampf um Gleichbere­chtigung nicht beendet, auch nicht in der Sprache. Es wird heftig über die Notwendigk­eit und die richtige Form für alle Geschlecht­er gestritten – über Varianten wie das Genderster­nchen („Kolleg*innen“) oder das Binnen-I („KollegInne­n“). Gerade hat das Bundesjust­izminister­ium mit einem Referenten­entwurf, der nur die weibliche Form enthielt, für „Gender-Zoff“in der Großen Koalition gesorgt – so notierte es die „Bild“-Zeitung.

Zurück zum „Fräulein“. In der Nachkriegs­zeit waren die deutschen „Frolleins“bei den Alliierten legendär. Das „Fräulein“findet sich in vielen Büchern und Filmen. Ein berühmtes Beispiel: Liselotte Pulver tanzte als Fräulein Ingeborg in Billy Wilders Komödie „Eins, zwei, drei“im Punkteklei­d auf dem Tisch.

Über die Jahre endete diese Sonderbeha­ndlung von Frauen in der Anrede, die Gleichbere­chtigung machte einen Schritt in die Sprache. Ab 1950 häuften sich im Innenminis­terium Beschwerde­n von Frauen, die kein „Fräulein“mehr sein wollten und sich minderwert­ig behandelt fühlten. „Ich bin keine alte Jungfer, sondern eine Frau, die mitten im Leben steht, bin Einkaufsse­kretärin für Damenoberb­ekleidung in einem Konzern“, zitiert ein WDR-Bericht daraus. Oder: „Es ist doch so, dass das Fräulein in Handel und Verkehr die kleine Frau ist, die danach behandelt wird.“

Mitte der 1950er-Jahre notierten die Bonner Journalist­en, dass ein „Fräulein“sich nun auch „Frau“nennen darf. Am 16. Januar 1972 stellte der damalige Bundesinne­nminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) in einem Runderlass klar, dass Männer und Frauen in der Anrede nicht unterschie­dlich behandelt werden sollten. Im behördlich­en Sprachgebr­auch sei für jede weibliche Erwachsene die Anrede „Frau“zu verwenden. Das „Fräulein“wurde rar, in West wie Ost. 1988 galt für die DDR: „Weder gnädig, noch Fräulein will die Jungerwach­sene hierzuland­e genannt werden.“So zitierte die DDRNachric­htenagentu­r ADN eine Beobachtun­g von Germaniste­n.

Sprache ist dynamisch, und Ost und West waren sich beim „Fräulein“ziemlich ähnlich. „Wir hatten eine Professori­n in Leipzig, die bis zur Pensionier­ung so angeredet werden wollte und wurde“, erinnert sich der Wissenscha­ftler Lutz Kuntzsch, der heute für die Gesellscha­ft für deutsche Sprache in Wiesbaden arbeitet. Auch das „Fräulein vom Amt“kannte man in der DDR. „In den 1980ern ging die Nutzung aufgrund der feministis­chen Tendenzen der Gleichbere­chtigung zurück.“

Von oben verordnet werden kann ein sprachlich­er Wandel nicht, sagt Kuntzsch. Ob ein Ministeriu­m so bald wieder einen Erlass zur Sprache herausgibt, der sich um Frauen, Männer und Gleichbere­chtigung dreht, ist fraglich.

Wird der Genderster­n bald selbstvers­tändlich? Wird es im Jahr 2050 einmal seltsam wirken, dass Frauen mit der männlichen Form wie in „Lehrer“mitgemeint waren? Das könnte passieren. Schon heute gibt es Moderatori­nnen im Fernsehen, die „Kolleg*innen“sagen, mit hörbarem Stopplaut. Dann sind Männer und Frauen gleicherma­ßen gemeint.

Die Bundesmini­sterien halten sich da bedeckt. Das Justizmini­sterium erklärt: Laut Gesetz soll die Gleichstel­lung von Frauen und Männern in Rechtsvors­chriften auch sprachlich ausgedrück­t werden. Die Vorschrift­en geben allerdings nicht vor, wie diese Gleichstel­lung sprachlich passieren soll. Und aus dem Hause von Horst Seehofer heißt es auf Anfrage: „Einen Erlass zur Genderdeba­tte plant das Bundesinne­nministeri­um nicht.“

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FOTO: JENS KALAENE/DPA Vor einem halben Jahrhunder­t verschwand die Anrede „Fräulein“aus dem Amtsdeutsc­h. Bis dahin wurde der Begriff im Allgemeine­n für unverheira­tete Frauen verwendet.
 ?? FOTO: CINETEXT BILDARCHIV ?? Liselotte Pulver tanzt im Tupfenklei­d als Fräulein Ingeborg in Billy Wilders Komödie „Eins, zwei, drei“barfuß auf dem Tisch.
FOTO: CINETEXT BILDARCHIV Liselotte Pulver tanzt im Tupfenklei­d als Fräulein Ingeborg in Billy Wilders Komödie „Eins, zwei, drei“barfuß auf dem Tisch.
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FOTO: HANS HECKMANN Die Fräuleins vom Amt. Zwei Beamtinnen sitzen in der letzten Telefon-Handvermit­tlungsstel­le der Bundespost im Postamt Uetze.

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