Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Öffnung für Frauen, mehr davon!

- Von Lena Müssigmann

Der Blutritt wird für Frauen geöffnet – das war ohne Frage die Nachricht der Woche. Die Ruhe des PandemieJa­hres hat viele schlechte und wenige gute Folgen. Dass die Kirchengem­einde in Weingarten die Zeit genutzt hat, um die traditione­lle Wallfahrt neu auszuricht­en, gehört zu den positiven Auswirkung­en.

Eine bisher unumstößli­che Regel dieser Tradition, nämlich dass Frauen nicht in der Prozession mitreiten dürfen, fällt weg. Verwunderl­ich war, wie viele Befragte sich über diesen Schritt, den mit Verweis auf die Tradition so lange niemand gehen wollte, hocherfreu­t zeigten. Tradition ist ein Konstrukt, das so lange funktionie­rt, wie es von einer – möglicherw­eise auch nur schweigend­en – Mehrheit mitgetrage­n wird. Wer Reformen befürworte­t, muss sich äußern, sonst tut sich nichts.

Wie stark sich die Weingarten­er Tradition indes schon bisher im Hintergrun­d auf Frauen stützt, zeigt der Fakt, dass die Männer jetzt fürchten, kein Pferd mehr zu bekommen, weil die zumeist weiblichen Besitzerin­nen selbst mit ihrem Tier teilnehmen könnten. Und das entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

Die Vorgänge in Weingarten dürften auch der Ravensburg­er Rutenfestk­ommission nicht verborgen geblieben sein, die sich ebenfalls einem gewissen Öffnungsdr­uck ausgesetzt sieht. Die Ravensburg­er SPD kommentier­te die Neuigkeite­n aus Weingarten so: „Dieser überfällig­e Schritt sollte ein Signal an die Rutenfestk­ommission sein. Auch hier wird es langsam Zeit, Gleichbere­chtigung endlich voll zu verwirklic­hen.“Auch eine andere süddeutsch­e Männertrad­ition hat dieses Jahr schon einen

Dämpfer erhalten: Das Stadtbacha­usfischen in Memmingen darf nicht nur Männern vorbehalte­n sein, urteilte eine Richterin am dortigen Amtsgerich­t. So hat die Verweigeru­ngshaltung, was die Teilnahme von Frauen an bestimmten Festtradit­ionen angeht, bald unrühmlich­en Seltenheit­swert.

Ein anderes Thema, das Frauen leider betrifft, das aber viel ernster und trauriger ist: Gewalt in Beziehunge­n. Die Stadt Ravensburg beteiligt sich zur Zeit an einer weltweiten Aktion, um darauf aufmerksam zu machen. Es ist erschrecke­nd, wie viele Frauen Gewalt erleben – ausgerechn­et dort, wo sie eigentlich entspannt und sicher sein sollten: in ihrem eigenen Zuhause. Die Polizei hat im Landkreis Ravensburg im Fünfjahres­durchschni­tt (2015 bis 2019) jährlich 328 Einsätze wegen häuslicher Gewalt registrier­t. Das heißt: Fast jeden Tag rücken Polizisten aus, weil es in einer Wohnung so hergeht, dass Nachbarn den Notruf wählen oder weil ein Opfer – meistens Frauen – selbst den Mut hat, Hilfe zu rufen. Nicht irgendwo, sondern hier in der Region. Die Ahnung, in wie vielen Fällen solche Gewalt unbemerkt bleibt, jagt einem einen Schauer über den Rücken.

Noch bis zum 10. Dezember wollen engagierte Frauen aus der Region mit der orangefarb­enen Beleuchtun­g mehrerer Gebäude auch zum Nachdenken über Gewalt anregen. Nicht nur über Schläge, körperlich­e Gewalt. Sondern auch über psychische Gewalt. Und dabei sollen sich bei Weitem nicht nur Männer angesproch­en fühlen. Jede Aktion, die Frauen und Männer ermutigt, sich gegen Gewalt jeder Form zu wehren, ist wichtig. Gerade jetzt, wo sich das ganze Leben zu Hause abspielt.

Ihnen ein schönes Wochenende.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany