Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Öffnung für Frauen, mehr davon!
Der Blutritt wird für Frauen geöffnet – das war ohne Frage die Nachricht der Woche. Die Ruhe des PandemieJahres hat viele schlechte und wenige gute Folgen. Dass die Kirchengemeinde in Weingarten die Zeit genutzt hat, um die traditionelle Wallfahrt neu auszurichten, gehört zu den positiven Auswirkungen.
Eine bisher unumstößliche Regel dieser Tradition, nämlich dass Frauen nicht in der Prozession mitreiten dürfen, fällt weg. Verwunderlich war, wie viele Befragte sich über diesen Schritt, den mit Verweis auf die Tradition so lange niemand gehen wollte, hocherfreut zeigten. Tradition ist ein Konstrukt, das so lange funktioniert, wie es von einer – möglicherweise auch nur schweigenden – Mehrheit mitgetragen wird. Wer Reformen befürwortet, muss sich äußern, sonst tut sich nichts.
Wie stark sich die Weingartener Tradition indes schon bisher im Hintergrund auf Frauen stützt, zeigt der Fakt, dass die Männer jetzt fürchten, kein Pferd mehr zu bekommen, weil die zumeist weiblichen Besitzerinnen selbst mit ihrem Tier teilnehmen könnten. Und das entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Die Vorgänge in Weingarten dürften auch der Ravensburger Rutenfestkommission nicht verborgen geblieben sein, die sich ebenfalls einem gewissen Öffnungsdruck ausgesetzt sieht. Die Ravensburger SPD kommentierte die Neuigkeiten aus Weingarten so: „Dieser überfällige Schritt sollte ein Signal an die Rutenfestkommission sein. Auch hier wird es langsam Zeit, Gleichberechtigung endlich voll zu verwirklichen.“Auch eine andere süddeutsche Männertradition hat dieses Jahr schon einen
Dämpfer erhalten: Das Stadtbachausfischen in Memmingen darf nicht nur Männern vorbehalten sein, urteilte eine Richterin am dortigen Amtsgericht. So hat die Verweigerungshaltung, was die Teilnahme von Frauen an bestimmten Festtraditionen angeht, bald unrühmlichen Seltenheitswert.
Ein anderes Thema, das Frauen leider betrifft, das aber viel ernster und trauriger ist: Gewalt in Beziehungen. Die Stadt Ravensburg beteiligt sich zur Zeit an einer weltweiten Aktion, um darauf aufmerksam zu machen. Es ist erschreckend, wie viele Frauen Gewalt erleben – ausgerechnet dort, wo sie eigentlich entspannt und sicher sein sollten: in ihrem eigenen Zuhause. Die Polizei hat im Landkreis Ravensburg im Fünfjahresdurchschnitt (2015 bis 2019) jährlich 328 Einsätze wegen häuslicher Gewalt registriert. Das heißt: Fast jeden Tag rücken Polizisten aus, weil es in einer Wohnung so hergeht, dass Nachbarn den Notruf wählen oder weil ein Opfer – meistens Frauen – selbst den Mut hat, Hilfe zu rufen. Nicht irgendwo, sondern hier in der Region. Die Ahnung, in wie vielen Fällen solche Gewalt unbemerkt bleibt, jagt einem einen Schauer über den Rücken.
Noch bis zum 10. Dezember wollen engagierte Frauen aus der Region mit der orangefarbenen Beleuchtung mehrerer Gebäude auch zum Nachdenken über Gewalt anregen. Nicht nur über Schläge, körperliche Gewalt. Sondern auch über psychische Gewalt. Und dabei sollen sich bei Weitem nicht nur Männer angesprochen fühlen. Jede Aktion, die Frauen und Männer ermutigt, sich gegen Gewalt jeder Form zu wehren, ist wichtig. Gerade jetzt, wo sich das ganze Leben zu Hause abspielt.
Ihnen ein schönes Wochenende.