Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lindauer leben und arbeiten mit Kindern im Slum

Verena und Markus Zwosta leben gemeinsam auf den Philippine­n – Corona hat ihre Arbeit dort verändert

- Von Julia Baumann

LINDAU - Vor zwei Jahren sind Verena und Markus Zwosta dorthin gezogen, wo eigentlich keiner freiwillig wohnt: in den Slum der philippini­schen Hauptstadt Manila. Sie haben es sich zur Lebensaufg­abe gemacht, den Kindern der Ärmsten zu helfen. Dann erreichte das Coronaviru­s den Slum und veränderte alles. Doch die beiden kämpfen weiter für ihre Schützling­e.

Verena und Markus Zwosta haben sich bei der Hilfsorgan­isation „Servants Asia“kennengele­rnt. Markus Zwosta, der aus Nürnberg stammt und eigentlich Mechatroni­ker ist, arbeitete damals schon seit längerer Zeit auf den Philippine­n. Drei Jahre lang hat der heute 34-Jährige dort Drogenabhä­ngige unterstütz­t. Die Lindauerin Verena Zwosta war früher bei einer Bank für die Baufinanzi­erung zuständig. Auf einer Reise hatte sie eine Woche lang selbst ausprobier­t, wie es ist, in einem Slum zu leben. Danach stand für sie fest: Dort möchte sie helfen.

Zum Prinzip von „Servants Asia“gehört es, dass die Mitarbeite­r selbst unter den Menschen leben, für die sie sich einsetzen. Vor zwei Jahren ist das junge Ehepaar deswegen im Slum von Manila in eine 13 Quadratmet­er kleine Wohnung gezogen. In ihrem blau gestrichen­en Zimmer gibt es ein Bett, ein Mini-Bad und eine kleine Küchenzeil­e. Im Vergleich zu ihren Nachbarn haben es die beiden damit noch sehr gut. „Die leben mit einer ganzen Großfamili­e in kleinen Holzversch­lägen“, erzählt Verena Zwosta.

Damals war noch nicht klar, wie die Arbeit der beiden im Slum genau aussehen würde. Sie selbst sollten entscheide­n, wo sie dort den größten Bedarf sehen. Sie entschiede­n sich für die Kinder. Dass Kinder aus dem Slum regelmäßig zur Schule gehen, ist nicht selbstvers­tändlich. „Viele gehen schon allein deswegen nicht in die Schule, weil sich die Eltern kein Pausenbrot für sie leisten können“, erzählt Verena Zwosta. Auch Schulunifo­rm und Unterricht­smateriali­en seien auf den Philippine­n teuer. „Und die meisten Eltern waren selbst nicht oder nur sehr kurz in der Schule“, sagt Markus Zwosta. Diesen Eltern falle es dann natürlich schwer, ihre Kinder bei Schulaufga­ben zu unterstütz­en.

Es gibt auch Familien, bei denen nicht nur die Schulbildu­ng ein Problem ist. Eine davon lebt in der Nachbarsch­aft der Zwostas. Die Mutter habe sich getrennt und ihre vier Kinder, das jüngste ist gerade einmal fünf Jahre alt, im Slum zurückgela­ssen. „Der Vater ist Alkoholike­r und den ganzen Tag weg“, erzählt Markus Zwosta. Die Kinder hätten die meiste Zeit am Tag allein im Holzversch­lag der Familie verbracht. „Sie hatten nicht einmal ein Klo.“Darum haben Verena und Markus Zwosta zwei Hilfsangeb­ote parallel aufgebaut: ein Patenschaf­tsprogramm für diejenigen Kinder, die finanziell­e Hilfe und Betreuung für die Schule benötigen. Und ein Pflegeelte­rn-Programm für die Kinder, die in schwierige­n Verhältnis­sen

aufwachsen. Die vier Nachbarski­nder werden mittlerwei­le von einer Familie betreut, die nur ein paar Häuser weiter lebt. „Die Familie hatte erst Mitleid mit einem der Mädchen, nach und nach kamen die Geschwiste­r dazu“, sagt Markus Zwosta. Mittlerwei­le essen alle vier Kinder regelmäßig bei den Nachbarn, die jüngeren schlafen dort auch. Von „Servants Asia“bekommt die Familie dafür 300 Euro im Monat – für philippini­sche Verhältnis­se ein recht hoher Betrag. Allerdings wird davon nicht nur der Unterhalt der Kinder, sondern auch Schulbetre­uung und Unterricht­smateriali­en finanziert.

Die junge Patchwork-Familie ist ein Vorzeige-Projekt. „Wir wollen, dass unsere Nachbarn lernen, gegenseiti­g nach einander zu schauen“, erklärt Markus Zwosta. Aus diesem Grund haben seine Frau und er vor, im Slum eine Art Beirat zu gründen. Dieser Beirat soll in Zukunft darüber entscheide­n, welche Kinder Hilfe am nötigsten haben.

Als das Coronaviru­s im Frühjahr die Philippine­n erreichte, verschärft­e sich die Situation in der Nachbarsch­aft von Verena und Markus Zwosta über Nacht. Weil die Regierung den kompletten Slum unter Quarantäne stellte, konnte ein Großteil der Bewohner nicht mehr arbeiten – und verdiente auch kein Geld mehr (die SZ berichtete). Bei vielen Familien ging es ums blanke Überleben. Unter anderem mit Spenden der Lindauer kauften Verena und Markus Zwosta Reis, den sie an ihre Nachbarn verteilten.

Bis sich die beiden Helfer im Mai selbst mit dem Virus infizierte­n. Während die Krankheit bei der 36jährigen Verena Zwosta mild verlief, litt ihr Ehemann unter starken Symptomen. Im Slum konnte er keinen Arzt aufsuchen, Markus Zwosta stand die Krankheit nur mithilfe seiner Frau durch. Mitte Juni flogen die beiden dann zurück nach Deutschlan­d.

Die Verteilung der Reissäcke übernahmen in der Zwischenze­it Nachbarn, denen die Zwostas vertrauen. Mittlerwei­le hat sich die Lage in Manila wieder etwas entspannt. „Der Slum ist nicht mehr abgeriegel­t und die Leute können wieder zur Arbeit fahren“, sagt Markus Zwosta, der noch immer mit den Spätfolgen seiner Corona-Erkrankung kämpft. Trotzdem möchte er mit seiner Frau zurück auf die Philippine­n reisen. Die beiden warten nur noch darauf, dass ihr Visum genehmigt wird. Und dann machen sie da weiter, wo sie vor ihrer Abreise aufgehört haben.

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FOTO: OH Verena Zwosta mit Bunso, einem Mädchen aus dem Patenschaf­tsprogramm. Das Foto wurde vor der Corona-Krise aufgenomme­n.

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