Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
CDU-Mann Frank Nopper setzt sich durch
Der 59-Jährige wird mit 42,3 Prozent der Stimmen neuer OB von Stuttgart
STUTTGART (lsw) - Nach der grünen Regentschaft im Stuttgarter Rathaus schließt der Wahlsieg von Frank Nopper eine tiefe Wunde der CDU: Acht Jahre lang konnte die Partei weder in der Landesmetropole noch im Staatsministerium die Zügel halten, nun ist zumindest das Rathaus wieder in der Hand der Konservativen – und das vor allem mithilfe des Mitte-links-Lagers. Denn in Stuttgart mag es zwar eine öko-soziale Mehrheit geben. Aber sie wurde verspielt, weil sich ihre OB-Kandidaten nicht auf einen Bewerber gegen den CDU-Kandidaten Nopper einigen konnten. So wurde ihm ausgerechnet von seinen Gegnern der rote Teppich ins Rathaus ausgerollt. Der 59-Jährige erreichte am Sonntag im zweiten Wahlgang 42,3 Prozent der Stimmen.
Nopper, bislang noch Oberbürgermeister in Backnang im Speckgürtel Stuttgarts, hält nun vom 7. Januar an die Fäden in der Hand. Schon im Wahlkampf hatte sich gezeigt: Unter seiner Regentschaft im Rathaus wird Stuttgart eher zurückhaltend aufbrechen.
Der Favorit der Konservativen in der Union gab sich im Wahlkampf unaufgeregt. Auf großen Plakaten warb der 59-Jährige mit seiner „Oberbürgermeistererfahrung“und einer „Politik mit Maß und Mitte“. Er stellte die Wirtschaft in den Mittelpunkt seiner Kampagne und nahm beim Thema Verkehr eine klare Haltung ein gegen eine autofreie Innenstadt. Es dürfe kein Verkehrsmittel bevorzugt werden, plädierte er. Vor dem Hintergrund der InnenstadtKrawalle im vergangenen Sommer will sich Nopper starkmachen für ein sichereres und saubereres Stuttgart.
Erste Projekte hat der neue OB bereits im Visier. Verwaltungsverfahren könnten beschleunigt und entbürokratisiert werden, kündigte er nach seinem Wahlsieg am Sonntagabend an. In Stuttgarts Schulen will er Sanierungen und Digitalisierung voranbringen. Er wolle ein „Bürgermeister für alle sein“und Brücken bauen. Das dürfte auch nötig sein in einem Gemeinderat, in dem die Grünen die Mehrheit besitzen und eine starke Linke vertreten ist.
Hat sein schärfster Konkurrent, der unabhängige Kandidat Marian Schreier, also verloren? Am Abend nach der Wahl mag er das so sehen (er kam auf rund 37 Prozent der Stimmen), aber der 30-jährige SPD-Bürgermeister der 4700-Seelen-Kommune Tengen hat sich nicht nur auf der Stuttgarter Bühne einen Namen gemacht. Als Außenseiter gestartet, war sogar seine eigene Partei gegen ihn, weil er gegen ihren ausdrücklichen Willen antrat. Nach der ersten Wahl kritisierten ihn auch die Mitkonkurrenten aus dem Mitte-linksLager, weil er angeblich nicht zu einem Kompromiss bereit gewesen sei.
Schreier war das egal: Er ließ den offiziellen SPD-Kandidaten genauso hinter sich wie Hannes Rockenbauch, den erfahrenen Lokalpolitiker der Anti-Stuttgart-21-Partei SÖS. Und auch Nopper sah in den Debatten teils alt aus gegen den jungen, eloquenten Schreier, der stets daherkam wie eine Mischung aus Start-upGründer, Musterknabe und Unternehmensberater, wie „die Spätzleausgabe von Sebastian Kurz“(„taz“).
Schreier wird über kurz oder lang neue Ziele ausrufen, Tengen dürfte ihm nach dem Stuttgarter Achtungserfolg zu klein werden. Vielleicht hat er ja sogar eine neue Partei im Blick: Auf den Stuttgarter Marktplätzen und in den Debatten trat er weniger auf wie ein Politik-Altvorderer als wie ein Antreiber. Schreier appellierte an den Aufbruchsgeist und zielte mit einem Strauß an Ideen auf die „progressive Mitte“ab, wie er betonte. Seine digital und persönlich geführte Kampagne dürfte eine Bedienungsanleitung für andere Kandidaten jenseits der etablierten Strukturen sein.
Der eigentliche Verlierer des Abends stand aber gar nicht auf dem Stimmzettel: Denn in der Bastion der öko-sozialen Bürgergesellschaft hatten ausgerechnet die Grünen keinen passenden Kandidaten gefunden, um die Macht nach acht Jahren unter ihrem blass gebliebenen Parteifreund Fritz Kuhn zu verteidigen. Eiskalt erwischt von seinem Rückzug suchten sie lange vergeblich nach einem Bewerber und stellten schließlich Veronika Kienzle auf, die Bezirksvorsteherin aus der zweiten Reihe. Sie warf hin, nachdem sie im ersten Wahlgang mit großem Rückstand auf Nopper Schiffbruch erlitten hatte und weder Schreier noch Rockenbauch auf ihre Seite ziehen konnte.
Ein Wahlkampf ohne erste Garde. Für die Grünen kein reines Stuttgarter
Problem. Denn auch in Freiburg hatten sie sich vor zwei Jahren von der Macht verabschieden müssen, in Karlsruhe stellen sie bei der OBWahl in der kommenden Woche gar keinen Kandidaten auf, so war es zuletzt auch in Konstanz.
Das zeigt, wie dünn die Personaldecke bei der Öko-Partei ist. Statt in Stuttgart auf prestigeträchtigem Posten die Geschicke der Landeshauptstadt zu steuern, sieht sich Cem Özdemir auf der Berliner Bühne. Boris Palmer hat als Querulant aus dem Tübinger Rathaus ohnehin keine Rückendeckung in der Partei und die fest in Stuttgart verankerte Muhterem Aras will Landtagspräsidentin bleiben.
Ist der Politikwechsel in Stuttgart auch ein Vorzeichen für die Landtagswahl im kommenden März? Nicht wirklich, denn ein Bürgermeister wird als Persönlichkeit gewählt und nicht als Parteimitglied. Allerdings ist es auch alles andere als gute Werbung für die Kampagne des Grünen-Spitzenkandidaten und Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.