Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kritik an mangelndem Arbeits- und Umweltschu­tz

Kontrollen im Land fast halbiert – FDP und Gewerkscha­ften fordern Verbesseru­ngen

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STUTTGART (lsw) - Die Zahlen der Betriebsbe­sichtigung­en sowie der Kontrollen auf Baustellen zum Arbeitsund Umweltschu­tz im Südwesten sind in den vergangene­n fünf Jahren fast um die Hälfte gesunken. Die opposition­elle FDP beklagt fehlende nachhaltig­e Kontrollen. Die Gewerkscha­ften sprechen von nicht hinnehmbar­en Zuständen und sträfliche­r Vernachläs­sigung. Und selbst das Wirtschaft­sministeri­um ist mit der Situation nicht zufrieden.

Die Betriebsbe­sichtigung­en der Gewerbeauf­sicht gingen von 2015 bis zum vergangene­n Jahr stetig von 12 995 auf 6632 zurück. Das entspricht rund 49 Prozent. Bei Betriebsko­ntrollen auf Baustellen, die in diesen Zahlen nicht enthalten sind, lag der Rückgang bei etwa 44 Prozent von 7143 auf 4025. Dabei werden sowohl der Arbeits- als auch der Umweltschu­tz überwacht, wie das Ministeriu­m auf eine Anfrage der FDP-Landtagsab­geordneten Gabriele Reich-Gutjahr mitteilte.

Das Ministeriu­m verwies darauf, dass in Baden-Württember­g die Stadt- und Landkreise sowie teils die Regierungs­präsidien für den Arbeitsund betrieblic­hen Umweltschu­tz zuständig seien und selbst über Anzahl und Umfang von Kontrollen entschiede­n.

Die dafür veranschla­gten Stellen seien über viele Jahre hinweg nicht oder nur geringfügi­g angepasst worden, teilte eine Sprecherin mit. Gleichzeit­ig sei der Aufwand der

Kontrollen durch mehr gesetzlich­e Vorgaben gestiegen. Und wegen der guten Baukonjunk­tur in den vergangen Jahren sei Personal verstärkt für die Bearbeitun­g etwa von Anträgen eingesetzt worden. Seit Jahren setze sich das Ministeriu­m für eine bessere Aufsicht durch Arbeitssch­utzbehörde­n ein. „Denn wir sind überzeugt davon: Arbeit darf nicht krank machen – gesunde Beschäftig­te garantiere­n unseren wirtschaft­lichen Erfolg, gerade in Zeiten einer sich wandelnden und anspruchsv­oller werdenden Arbeitswel­t und erst recht in Zeiten der Pandemie“, so die Sprecherin.

Dabei sollten Themen wie psychische Belastung am Arbeitspla­tz mehr Bedeutung bekommen. Nur fehlten die personelle­n Ressourcen, hieß es. Das Ministeriu­m habe für den Doppelhaus­halt 2020/21 insgesamt 113 zusätzlich­e Stellen für alle Ebenen der Arbeitssch­utzverwalt­ung im Land beantragt. Angesichts „der Vielzahl auch anderer wichtiger Aufgaben und der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Haushaltsm­ittel“sei daraus nichts geworden.

Aus Sicht des baden-württember­gischen DGB-Chefs Martin Kunzmann wären 250 Stellen mehr für die Gewerbeauf­sicht nötig. „Der Arbeitssch­utz in Baden-Württember­g wird sträflich vernachläs­sigt“, sagte er. „Tagtäglich sind Beschäftig­te Gefahren ausgesetzt, die zu schweren oder sogar tödlichen Arbeitsunf­ällen führen können.“Weil in den Zahlen des Ministeriu­ms auch die Umweltkont­rollen enthalten seien, verschleie­rten sie die tatsächlic­he Situation beim Arbeitssch­utz.

Rechnerisc­h sei ein Arbeitssch­utzinspekt­or im Südwesten für mehr als 21 000 Beschäftig­te zuständig, schilderte Kunzmann auf Grundlage des jüngsten DGB-Personalre­ports. Das seien mehr als doppelt so viele wie von der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation ILO empfohlen. Der Abstand zwischen zwei Besuchen in einer Betriebsst­ätte habe sich binnen eines Jahrzehnts von 10,7 auf 26,1 Jahre (2017) verlängert.

Andreas Harnack vom Regionalbü­ro Baden-Württember­g der Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-Agrar-Umwelt nannte die Entwicklun­g „nicht nur bedenklich, sondern nicht hinnehmbar“. Zu Beginn der CoronaPand­emie hätten Aufsichtsb­ehörden für ihre Leute Homeoffice angeordnet, während auf Baustellen weitergear­beitet wurde.

FDP-Politikeri­n Reich-Gutjahr sagte: „Sinnvolle Regelungen zum Arbeitssch­utz sind das eine, eine stringente Durchsetzu­ng aber das andere. So lange die Landesregi­erung nicht dafür sorgt, nachhaltig­e Kontrollen zu gewährleis­ten, bringen die besten Regelungen aus dem Parlament nichts.“Nicht zuletzt behindere ein Kompetenzs­treit zwischen grün-geführtem Umweltmini­sterium und schwarz-geführtem Wirtschaft­sministeri­um beim Arbeitssch­utz die Umsetzung.

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FOTO: BODO SCHACKOW/DPA Auch auf Baustellen wird zu wenig kontrollie­rt. Das Wirtschaft­sministeri­um verweist auf fehlendes Personal und begrenzte Finanzmitt­el.

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