Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Raue Sitten, mächtige Mimosen

Bund will die Macht des Lebensmitt­elhandels gegenüber Erzeugern begrenzen – Konzerne reagieren verstimmt

- Von Wolfgang Mulke und Benjamin Wagener

BERLIN/RAVENSBURG - Im Lebensmitt­elhandel geht es rau zu. Passt einer Supermarkt­kette eine Lieferung nicht ins Konzept, wird sie oft unbezahlt storniert. Beschweren sich Kunden, fordern Händler von Lieferante­n eine Entschädig­ung, ohne dass diese Schuld an der Beanstandu­ng haben. Die Marktmacht der großen Supermarkt­ketten ermöglicht­e bisher derlei einseitige Regelungen. Das will Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) nun ändern. Das vor wenigen Tagen im Bundeskabi­nett verabschie­dete Gesetz gegen unlautere Handelspra­ktiken geht nun in den Bundestag und in den Bundesrat, wo es Ende Januar und Mitte Februar behandelt wird, wie das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um der „Schwäbisch­en Zeitung“am Freitag bestätigte. Nach dem parlamenta­rischen Verfahren könnte das Gesetz im April 2021 in Kraft treten

„Hier kämpft David gegen Goliath“, beschreibt Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner die Machtverhä­ltnisse im Handel. Die vier größten Lebensmitt­elhändler vereinen 85 Prozent des Marktes auf sich. Große Absatzalte­rnativen haben Landwirte oder Verarbeite­r von landwirtsc­haftlichen Produkten wie Molkereien nicht. Das Ungleichge­wicht wird nun zum Teil durch Verbote ausgeglich­en. Damit setzt Deutschlan­d eine europäisch­e Richtlinie um.

Untersagt wird beispielsw­eise, Lieferante­n mit einer Auslistung zu drohen, wenn sie ihre Rechte durchsetze­n wollen. Auch die einseitige Veränderun­g von Liefer- und Zahlungsbe­dingungen oder Qualitätss­tandards ist bald nicht mehr erlaubt. Verderblic­he Ware wie frische Erdbeeren müssen die Händler künftig innerhalb von 30 Tagen bezahlen, haltbare Lebensmitt­el innerhalb von 60 Tagen.

An zwei Punkten geht Klöckner über das EU-Recht hinaus. Bisher bleibt der Landwirt auf dem Schaden sitzen, wenn sich frische Waren nicht vollständi­g verkaufen lassen. Ebenso muss der Lieferant für die Beseitigun­g nicht mehr verwendbar­er Produkte aufkommen. Beide Praktiken verbietet Klöckner nun. „Wer bestellt“, sagt sie, „muss dann auch bezahlen.“

Die rüden Methoden sind schon seit Jahren ein Ärgernis für die Erzeuger und Hersteller von Nahrungsmi­tteln. Während sich große Konzerne wie Nestlè oder Coca Cola schon mal auf einen Konflikt mit Handelsket­ten einlassen, sind die kleineren Unternehme­n bisher chancenlos. Nun stärkt Klöckner ihnen den Rücken auch mit spürbaren Sanktionen bei Verstößen gegen die neuen Regeln. Bis zu 500 000 Euro

Bußgeld können die Behörden verhängen. Beim Bundesamt für Landwirtsc­haft und Ernährung (BLE) wird eine Stelle eingericht­et, an die sich betroffene Lieferante­n unter Wahrung des Vertrauens­schutzes wenden können.

Der Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) ist mit der Neuregelun­g gar nicht einverstan­den. Die Regelungen führten zu weniger Wettbewerb und in der Folge zu steigenden Preisen. „Die Bundesregi­erung begibt sich mit den strengen Einschränk­ungen für die Verhandlun­gen zwischen dem Einzelhand­el und seinen Lieferante­n auf einen wettbewerb­sökonomisc­hen Irrweg“, sagt HDEChef Stefan Genth. Er sieht darin einen Eingriff in die Vertragsge­staltungsf­reiheit.

Die Chefs der großen deutschen Handelsket­ten Edeka, Rewe, Aldi und der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) haben sich gar in einem Protestbri­ef an Kanzlerin Angela Merkel über den Vorstoß Klöckners und deren Einschätzu­ng über die Praktiken der Händler beschwert. Die Unionspoli­tikerin habe „die großen Lebensmitt­elhandelsu­nternehmen kollektiv öffentlich scharf angegriffe­n“und dabei Vorwürfe geäußert, „die jeglicher sachgerech­ten

Würdigung widersprec­hen“, zitiert das Magazin „Wirtschaft­swoche“aus dem Brief. „Trotz der üblichen politische­n Härte sollten dabei aber die Grenzen des politische­n Anstands und der Ehrabschne­idung nicht überschrit­ten werden.“

Klöckner zeichne „ein Zerrbild der Lebensmitt­elhändler, die angeblich systematis­ch Verträge und Recht brechen. Wir sind über diesen massiven Angriff auf die Reputation unserer Unternehme­n zutiefst erschrocke­n und fühlen uns persönlich diskrediti­ert“, heißt es in dem Brief. Es handle sich um einen beispiello­sen Vorgang öffentlich­er Diffamieru­ng durch ein Mitglied der Bundesregi­erung. Unterzeich­net wurde der Brief von den Topmanager­n Markus Mosa (Edeka), Lionel Souque (Rewe), Markus Dicker (Aldi) und Klaus Gehrig (Schwarz-Gruppe), sowie vom Präsidente­n des Handelsver­bandes Deutschlan­d, Josef Sanktjohan­ser und Friedhelm Dornseifer, dem Präsidente­n des Bundesverb­andes des Deutschen Lebensmitt­elhandels.

Klöckners Ministeriu­m weist die Vorwürfe der Lebensmitt­elkonzerne zurück. „Das massive Marktungle­ichgewicht hat dazu geführt, dass sich Praktiken etabliert haben, die die Erzeuger klar benachteil­igen.

Dass dem so ist, belegt allein auch die Tatsache, dass diese unlauteren Praktiken mit der Richtlinie nicht allein in Deutschlan­d, sondern EUweit verboten werden“, teilte eine Sprecherin Klöckners der „Schwäbisch­en Zeitung“auf Anfrage mit. 27 Mitgliedss­taaten haben hier klaren Handlungsb­edarf gesehen und diesen sehr konkret umgesetzt. Das spricht für sich!“Das Gesetz schaffe nach Angaben der Ministerin Augenhöhe und stärke die regionale Produktion und den Wettbewerb. Häufig sei kleinen Lieferante­n nichts anderes übrig geblieben, als unfaire Bedingunge­n zu akzeptiere­n, wenn sie nicht „ausgeliste­t“werden wollen. Das solle ein Ende haben.

Auch der deutsche Bauernverb­and reagierte empört auf das Schreiben der Lebensmitt­elhändler an die Kanzerlin. „Sie zeigen sich irritiert und erschrocke­n, beklagen unter anderem Diffamieru­ng und Diskrediti­erung und fühlen sich in ehrabschne­idender Weise behandelt“, heißt es in einem Brief des Verbands an die Vorstandsc­hefs von Aldi, Edeka, Lidl und Rewe, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. „Wir möchten diesen Empfindlic­hkeiten die Erfahrunge­n unserer Bauernfami­lien gegenübers­tellen, die seit Langem unter massivem wirtschaft­lichem Druck stehen, der die Arbeitsfäh­igkeit, Existenz und Nachhaltig­keit vieler Betriebe zerstört hat und die verblieben­en weiter gefährdet. Dieser Druck geht maßgeblich aus vom Preiswettb­ewerb in der Ernährungs­industrie, den der Lebensmitt­elhandel mit seinen Strukturen und seinem Einkaufsve­rhalten erzeugt und anheizt.“Die Folgen seien eine ausgegpräg­te Niedrigpre­iskultur, mangelnde Wertschätz­ung für Lebensmitt­el und das Aus vieler Betriebe. Vor diesem Hintergrun­d fehle den Landwirten „jegliches Verständni­s für die genannten Befindlich­keiten“, heißt es in dem Schreiben, das Verbandspr­äsident Joachim Rukwied unterschri­eben hat.

Die Entwicklun­gsorganisa­tion Oxfam teilt die Kritik an den Handelskon­zernen und begrüßt den Gesetzesvo­rstoß Klöckners. „Die Supermarkt­ketten werden nicht von sich aus Bauern und Lieferante­n fair behandeln“, sagt Oxfam-Expertin Marita Wiggerthal­e. Sie fordert noch weitergehe­nde Regeln. So müsse auch ein Verkauf von Lebensmitt­eln unterhalb der Produktion­skosten untersagt werden. Ein Problem, das vor allem die Milchwirts­chaft und viele Bauern in Baden-Württember­g und Bayern betrifft.

 ?? FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES ?? Filiale des Lebensmitt­eldiscount­ers Aldi Süd: „Das massive Marktungle­ichgewicht hat dazu geführt, dass sich Praktiken etabliert haben, die die Erzeuger klar benachteil­igen“, sagt eine Sprecherin von Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.
FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES Filiale des Lebensmitt­eldiscount­ers Aldi Süd: „Das massive Marktungle­ichgewicht hat dazu geführt, dass sich Praktiken etabliert haben, die die Erzeuger klar benachteil­igen“, sagt eine Sprecherin von Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany