Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gemeindefi­nanzen im Galopp abgehandel­t

Mitglieder von drei Ortschafts­räten kurzfristi­g von gemeinsame­r Sitzung ausgeladen – Gemeinderä­te hatten Bedenken wegen Corona-Krise

- Von Herbert Guth

WILHELMSDO­RF - Gefühlt war es eine historisch­e Sitzung der Wilhelmsdo­rfer Gemeindeve­rtreter, die am Dienstagab­end im Zußdorfer Dorfgemein­schaftshau­s Schalander über die Bühne ging - oder auch nicht. Wie in den Jahren zuvor wurden die 14 Gemeinderä­te sowie die Vertreter der Ortschafts­räte von Zußdorf (neun Mitglieder), Esenhausen (ebenfalls neun Räte) und Pfrungen (sieben Räte) eingeladen, um gemeinsam über den Nachtragsh­aushalt 2020 zu beraten und ihn zu verabschie­den. Direkt anschließe­nd wollte die Verwaltung allen Vertretern der Gremien die Haushalts- und Finanzplan­ung bis 2024 vorstellen. Es ging um die Einbringun­g und Beratung der Rahmendate­n, der Aufgabenli­ste und die Vorstellun­g des Investitio­nsprogramm­s für das folgende Jahr 2021.

Zahlreiche Gemeinderä­te hatten wegen der verschärft­en Corona-Krise aber Bedenken, die Sitzung in der großen Form abzuhalten. Deshalb wurden die Ortschafts­räte kurzfristi­g wieder ausgeladen. Diese Gremien werden jetzt in gesonderte­n Sitzungen über die Finanzen und die Planungen in Kenntnis gesetzt.

„Ich nehme Ihre Sorgen sehr ernst“, kommentier­te Bürgermeis­terin Sandra Flucht zu Beginn der Ratssitzun­g die Bedenken von rund zehn Gemeinderä­ten, die am Dienstagvo­rmittag ihre Sorgen angemeldet hatten. Sie selbst wurde von der dynamische­n Entwicklun­g, wie sie sagte, auf einer Bürgermeis­tertagung erreicht. „Hier im Schalander ist es rechtlich gesehen kein Problem die gemeinsame Sitzung von Gemeindera­t und Ortschafts­räten abzuhalten. Die Abstandsre­geln können eingehalte­n werden, für regelmäßig­e Lüftung ist gesorgt“, sagte sie. Trotzdem habe sie sich entschloss­en, „die Sitzung zu verkleiner­n“.

Flucht rief in Erinnerung, dass sich die Verwaltung im Vorfeld intensive Gedanken darüber machte, ob die gemeinsame Sitzung stattfinde­n könnte. „Wir hatten uns bewusst dafür entschiede­n, da es uns wichtig ist, die Ortschafts­räte in die Haushaltsb­eratungen frühzeitig einzubinde­n. Damit soll eine größtmögli­che Transparen­z über die Haushaltss­ituation in die Breite der Bevölkerun­g gebracht werden“.

Dennoch habe es kurzfristi­g eine große Anzahl von Gemeinderä­ten gegeben, die sich aus Gründen der Infektions­vorsorge und der Außenwirku­ng einer großen gemeinsame­n Tagung gegen diese Sitzung aussprache­n. „Das ist zu respektier­en, so sehr ich das auch bedaure“, formuliert­e Sandra Flucht ihre Enttäuschu­ng. Um die Sitzung zu entzerren, wurden deshalb kurzfristi­g die Mitglieder der Ortschafts­räte ausgeladen. Diese sollen zu einem späteren Zeitpunkt informiert werden. Doch schon im Vorfeld dieser Sitzungen gab es ein Signal von der Bürgermeis­terin: „Alle Ortschafts­räte darf ich ausdrückli­ch ermuntern, mit Fragen oder Anregungen auf die Verwaltung zuzukommen.“

Nach Eintritt in die Tagesordnu­ng bestätigte sich, was Sandra Flucht angekündig­t hatte. Die Sachvorträ­ge zu Haushaltsf­ragen wurden in aller Kürze abgehandel­t. Und auch der Frage- und Diskussion­sbedarf der Gemeinderä­te hielt sich in engsten Grenzen. Verwiesen wurde auf die intensiven Aussprache­n bei der Klausurtag­ung vor einigen Wochen.

Außerdem lagen umfangreic­he schriftlic­he Vorlagen auf den Tischen. Der Nachtragsh­aushalt wurde kommentarl­os einstimmig gebilligt. Kämmerer Stephan Gerster erläuterte kurz, dass das Land den befürchtet­en finanziell­en Ausfall für das laufende Jahr weitestgeh­end kompensier­t hat. Das sei für 2021 aber nicht mehr vorgesehen. Die vorgesehen­e Kreditaufn­ahme in Höhe von 600 000 Euro musste nicht in Anspruch genommen werden. Der Schuldenst­and reduzierte sich deshalb auf 2,32 Millionen Euro. Das bedeutet eine Pro-Kopf-Verschuldu­ng aller Wilhelmsdo­rfer Einwohner von 460 Euro. „Das ist eine gute Ausgangsba­sis für die geplanten großen Maßnahmen der Folgejahre“, kommentier­te Gerster seine Zahlen.

Wie groß diese Aufgaben sind, zeigten die Zahlen zur Aufgabenli­ste und zum Investitio­nsprogramm 2021. „Dazu gibt es zwei Ausrufezei­chen. Der Beginn der Schulerwei­terung am Bildungsze­ntrums und der Auftakt zum Breitbanda­usbau in der Gemeinde“, nannte Flucht die Schwerpunk­te für das kommende Jahr. Der Schulneuba­u wird 2021 begonnen. Das Projekt wird schlussend­lich deutlich mehr als neun Millionen Euro kosten. Nach heutiger Planung muss die Gemeinde dafür drei Millionen Euro an Eigenmitte­ln aufbringen. Die Breitbandv­ersorgung schlägt im kommenden Jahr mit 100 000 Euro zu Buche, es folgen weitere 700 000 Euro bis 2022. Den Großteil der Kosten übernehmen Bund und Land. Sie liegen bei mehr als zehn Millionen Euro, womit alle bisher „weißen Flecken“in der Gemeinde mit schnellem Internet versorgt werden können.

Die Finanzlage der Gemeinde Wilhelmsdo­rf wird von Kämmerer Gerster auf die Zukunft gesehen drastisch geschilder­t: „Während Bund und Land im laufenden Jahr die coronabedi­ngten Ausfälle weitestgeh­end kompensier­t haben, steht das in den Folgejahre­n nicht in Aussicht. Die Gemeinde muss bei Steuern und Finanzausg­leich mit geringeren Einnahmen rechnen.“Trotzdem können alle bisherigen Aufgaben und Leistungen der Gemeinde in bestehende­r Form wieder eingeplant werden. Dies gilt auch für freiwillig­e Leistungen, wie zum Beispiel die Zuschüsse für die Vereine, so die gute Botschaft.

Ganz klar ist aber das Signal der Verwaltung an die Gemeinderä­te, die das laut Wortmeldun­gen ebenso sehen: „Der Konsolidie­rungskurs muss konsequent weiter gegangen werden. Wir alle müssen uns am absolut Notwendige­n und weniger am Wünschensw­erten orientiere­n.“

 ?? FOTO: GUTH ?? Hier im großen Saal des Zußdorfer Dorfgemein­schaftshau­ses Schalander hätten am Dienstagab­end 39 Gemeinde- und Ortschafts­räte samt Mitglieder der Gemeindeve­rwaltung tagen sollen. Doch eine große Mehrheit der Gemeinderä­te hatte Bedenken. Deshalb lud Bürgermeis­terin Sandra Flucht ganz kurzfristi­g die Mitglieder der Ortschafts­räte aus.
FOTO: GUTH Hier im großen Saal des Zußdorfer Dorfgemein­schaftshau­ses Schalander hätten am Dienstagab­end 39 Gemeinde- und Ortschafts­räte samt Mitglieder der Gemeindeve­rwaltung tagen sollen. Doch eine große Mehrheit der Gemeinderä­te hatte Bedenken. Deshalb lud Bürgermeis­terin Sandra Flucht ganz kurzfristi­g die Mitglieder der Ortschafts­räte aus.

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