Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Traum von der eigenen Wohnung

Warum es in Biberach manchmal Jahre dauert, bis Flüchtling­e selbst eine Wohnung anmieten können

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LANDKREIS BIBERACH / ROT AN DER ROT (böl) - In den Jahren 2015 und 2016 kamen so viele Flüchtling­e nach Deutschlan­d wie noch nie. In Spitzenzei­ten musste der Landkreis Biberach bis zu 429 Asylsuchen­de pro Monat aufnehmen und diese in seinen Gemeinscha­ftsunterkü­nften (GU) unterbring­en. Da die Flüchtling­e dort aber maximal zwei Jahre bleiben dürfen und immer weniger Neuzugänge nachrücken, leeren sich die GU immer mehr. Voll hingegen wird es in den Anschlussu­nterkünfte­n (AU). Denn nicht jedem Asylsuchen­den gelingt es, direkt nach Abschluss des Asylverfah­rens eine eigene Wohnung zu finden.

Jürgen Kraft leitet das Amt für Flüchtling­e und Integratio­n im Landkreis Biberach. Seine Aufgabe ist es, die Übersicht zu behalten – wie viele neue Flüchtling­e jeden Monat im Landkreis ankommen, wie viele in den GU wohnen und welche Kommune noch Personen aufnehmen muss. Die Situation, erläutert er, habe sich seit 2016 deutlich verändert. Lebten im Januar 2016 noch 1837 Personen in den GU des Landkreise­s Biberach, sind es momentan nur noch 370.

Zuweisung vom Land gebe es zwar immer noch. Zuletzt, im November 2020, waren es jedoch nur noch 15 Personen. Da jedoch weiterhin gilt, dass ein Flüchtling die GU entweder nach dem Abschluss seines Asylverfah­rens oder spätestens nach zwei Jahren verlassen muss, leeren sich diese immer mehr. „Wahrschein­lich werden wir daher 2021 weitere Gemeinscha­ftsunterkü­nfte schließen können“, sagt Kraft. Welche das sein werden, stehe aber noch nicht fest.

Nach diesen zwei Jahren werden die Flüchtling­e den einzelnen Kommunen im Landkreis zugewiesen. Um den Verteilers­chlüssel zu ermitteln, wird die Einwohnerz­ahl der Kommune zugrunde gelegt. Die Gemeinde Rot an der Rot, mit 4588 Einwohnern, hat beispielsw­eise seit 2015 70 Personen aufgenomme­n. „Wir stehen dabei im ständigen Dialog mit den Kommunen. Da es nicht einfach ist, Wohnraum für die Flüchtling­e zu finden, gelingt es nicht jeder Gemeinde, immer ihr Soll zu erfüllen“, erläutert Kraft. So beendet auch Rot dieses Jahr mit einem Soll – denn Wohnraum ist in der oberschwäb­ischen Gemeinde knapp. „Dem Landkreis wird es aber trotzdem gelingen, dieses Jahr 200 Personen von den GU in die AU zu verlegen. Die Zusammenar­beit mit den Kommunen funktionie­rt insgesamt sehr gut“, stellt Kraft klar. Insgesamt leben im Landkreis momentan 1699 Personen in einer AU. Zum Vergleich: Im Januar 2016 waren es nur 782 Personen.

Die Richtung ist also eindeutig. Doch warum sind manche Flüchtling­e so lange auf eine kommunale Unterbring­ung angewiesen? Warum leben sie nicht in eigenen Wohnungen, die sie selbst bezahlen? Die Antwort auf diese Frage ist komplex. Manche der Flüchtling­e befinden sich noch im Asylverfah­ren, manche haben nur eine Duldung erhalten, andere eine temporäre Aufenthalt­serlaubnis. Je nach Aufenthalt­sstatus und Sprachkenn­tnissen

fällt es diesen Personen schwer, eine Arbeit zu finden – zum Teil dürfen sie auch gar nicht arbeiten. Hinzu kommt: Um zu verhindern, dass anerkannte Flüchtling­e in Deutschlan­d kleine, in sich abgeschlos­sene Lebenswelt­en bilden und nur in die großen Städte ziehen, wie es in der Vergangenh­eit passiert ist, hat die Landesregi­erung eine Wohnsitzau­flage verfügt. Das heißt: So lange jemand staatliche Hilfen bezieht, muss er für mindestens drei Jahre dort wohnen bleiben, wo ihn das Landratsam­t hinschickt.

Um dennoch zu erreichen, dass mittelfris­tig immer mehr Flüchtling­e auf eigenen Füßen stehen, finanziert das Land sogenannte Integratio­nsmanager. Erst vor wenigen Tagen kam aus Stuttgart der Bescheid, dass diese für weitere zwei Jahre bewilligt worden sind. Die Integratio­nsmanager stehen allen Flüchtling­en als Ansprechpa­rtner zur Verfügung, die entweder in einer AU leben oder in einer eigenen Wohnung, aber noch Probleme haben, sich in Deutschlan­d alleine zurechtzuf­inden.

Zurück zum Beispiel der Gemeinde Rot: Von den 70 Flüchtling­en, die seit 2015 dort in einer AU untergebra­cht wurden, leben dort momentan noch 38. 13 leben mittlerwei­le in einer eigenen Wohnung, fünf sind untergetau­cht, sieben sind freiwillig wieder in ihr Heimatland zurück. Eine Person ist verlegt worden, zwei sind weggezogen, um eine Ausbildung oder eine Arbeit zu beginnen und vier haben Rot aus anderen Gründen verlassen. „Wer anerkannt ist und eine Arbeit mit Einkommen über 764 Euro monatlich oder eine Ausbildung­sstelle gefunden hat, für den gilt die Wohnsitzau­flage nicht mehr und kann sie streichen lassen“, erklärt Kraft. „Da der Wohnungsma­rkt jedoch häufig sehr schwierig ist, ist es auch für die Flüchtling­e nicht einfach, Wohnraum zu finden. Und im Gegensatz zu den Gemeinscha­ftsunterkü­nften handelt es sich bei den Anschlussu­nterbringu­ngen oft um richtige Wohnungen, mit eigenem Bad und eigener Küche. Die absolute Notwendigk­eit, dort auszuziehe­n, ist also nicht so hoch wie bei den Gemeinscha­ftsunterkü­nften, wo sich mehrere Familien auf einem Stockwerk alles teilen müssen“, so Kraft.

Zurückblic­kend sei er mit der Entwicklun­g zufrieden. 1283 Personen, die zuvor in einer GU oder AU lebten, hätten mittlerwei­le im Landkreis Biberach selbst eine Wohnung angemietet. Die Integratio­nsmanager würden auch diese Personen weiterhin in ihrem Integratio­nsprozess begleiten. „Auch wenn es einem manchmal länger vorkommt, so sind vier, fünf Jahre keine lange Zeit, um den Sprung zu schaffen von der Ankunft in einem völlig fremden Land, ohne Sprachund Kulturkenn­tnisse, hin zu einer Integratio­n mit eigener Wohnung und eigenem Job. Wir können also stolz sein, dass wir schon so viel erreicht haben. Und gelungen ist das nur, weil die Kommunen, der Landkreis Biberach, viele Ehrenamtli­che und die ökumenisch­e Flüchtling­sarbeit an einem Strang ziehen.“

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