Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die schwierige Suche nach einem Landarzt

Wie man in Baindt das Problem gelöst und warum Isny sogar eine Werbekampa­gne gestartet hat

- Von Philipp Richter

BAINDT - Wenn sich auf dem Land ein neuer Arzt niederläss­t oder eine Praxis übernimmt, ist das immer eine Erfolgsmel­dung. Denn so ganz selbstvers­tändlich ist das nicht. Im Gegenteil. Das Beispiel Baindt zeigt, wie schwierig die Nachfolger­egelungen sind und welche Hürden selbst willige Ärzte nehmen müssen. In Isny hat man deshalb sogar schon eine eigene Werbekampa­gne gestartet, um einen Allgemeina­rzt ins Allgäu zu bekommen.

Nachdem die Hausärztin Dorota Kulicka-Feldkirche­r die Gemeinde Baindt Ende September verlassen hat und viele Patienten plötzlich ohne Arzt dastanden, stand bei Bürgermeis­terin Simone Rürup das Telefon nicht mehr still. „Bei mir haben die Leute angerufen und wollten wissen, wie es weitergeht, weil alles recht plötzlich kam“, berichtet Rürup. Und so begab sie sich auf die Suche nach einem Nachfolger. „Ich hab dabei festgestel­lt, dass es für eine Gemeinde sehr schwierig ist, einen Arzt zu finden. Man spürt, dass es ein Problem ist“, sagt sie. Ähnliches erlebte Wilhelmsdo­rf vor drei Jahren, wo es lange gedauert hat, bis schließlic­h ein Nachfolger für eine Hausarztpr­axis gefunden werden konnte. In Baindt gab es bisher zwei Allgemeinm­ediziner und zwei Zahnärzte.

Bürgermeis­terin Simone Rürup berichtet von Agenturen, die sich mittlerwei­le darauf spezialisi­ert haben, Kommunen bei der Ärztevermi­ttlung zu helfen. Doch schließlic­h konnte sich das Problem lösen lassen, nachdem der Mediziner Cord

Skamira in einer E-Mail von der Lage in Baindt erfahren hat und sich auf dem Rathaus gemeldet hat. Ein Glücksfall. Jetzt bekommt Baindt zwei neue Ärzte. Einerseits ist da Cord Skamira (58), der als Diabetolog­e und Internist für das Krankenhau­s 14 Nothelfer in Weingarten und in der Klinik Wollmarshö­he in Bodnegg gearbeitet hat. Er möchte im Januar

mit seiner Praxis am Dorfplatz starten. Und anderersei­ts ist da Kerstin Kempenich (44), die Ehefrau des in Baindt ansässigen Arztes Armin Hartmann (45). Sie war wie ihr Mann als Chirurgin im Krankenhau­s tätig und absolviert­e eine Zusatzausb­ildung als Allgemeinm­edizinerin. Armin Hartmann übernahm im Februar 2019 die Praxis von Hartmut Dowidad in der Marsweiler Straße.

„Das ist alles ein riesiger bürokratis­cher Aufwand, bis man starten kann. Ich musste ein halbes Jahr lang warten, obwohl die Übernahme schon geregelt war“, berichtet Armin Hartmann. Ähnliches musste jetzt seine Frau erleben. Selbst als Chirurgin mit zehnjährig­er Krankenhau­serfahrung durfte sie in der Praxis ihres Mannes nicht starten, weil ihr noch eine mündliche Prüfung gefehlt hat. Dabei war der Bedarf in Baindt da, weil eine Ärztin wegging.

Ein Teil des Problems seien die Gebietsauf­teilungen und Schlüssel der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV), die festlegt, in welchem Gebiet es wie viele Ärzte beziehungs­weise Fachärzte geben darf. Für den Bereich Ravensburg/Weingarten gibt die KV Baden-Württember­g auf ihrer Internetse­ite derzeit drei freie Plätze für Allgemeinm­ediziner an. Selbst wenn alle Plätze in diesem Bereich

belegt seien, könnte es sein, dass der ländliche Raum leer ausgeht, weil das Gebiet für neue Ärzte gesperrt wird.

Und woran liegt es, dass sich Ärzte offenbar generell schwer tun, eine Praxis auf dem Land zu übernehmen oder sich dort niederzula­ssen? „Die Arbeitsbel­astung ist eine andere. Früher war man als Landarzt auch 24 Stunden erreichbar, heute hat ein Arzt auch eine Familie“, sagt Kerstin Kempenich. Sprich: Es geht um die Work-Life-Balance. Und Cord Skamira nennt noch einen weiteren Punkt: „Es ist natürlich auch eine große finanziell­e Gefahr. Jeder Landarzt steht in der Gefahr des Regresses, wenn er zu viel verschrieb­en hat. Es geht nicht um den Bedarf. Es ist alles klar berechnet, wie viel man verschreib­en darf.“Zudem sei es extrem schwierig, medizinisc­he Fachangest­ellte für die Praxis zu bekommen.

Jetzt hat Baindt das Problem Hausarztma­ngel gelöst. Doch die Thematik ist allgegenwä­rtig wie ein Blick nach Isny im Allgäu zeigt. Dort hat die Stadt im Oktober sogar eine Werbekampa­gne gestartet, um Ärzte ins Allgäu zu locken. Wie in Baindt sieht man es hier als Aufgabe der Verwaltung, die ärztliche Infrastrut­ur zu sichern. Auf einer eigens gestaltete­n Homepage (www.arzt-inisny.de), auf Instagram, Facebook und Linked-In wirbt Isny mit den Vorzügen der Stadt.

„Die Lage bei uns ist prinzipiel­l gut, wenn man schaut, wie viele Ärzte wir haben, aber wir müssen uns für die Zukunft rüsten“, sagt Isnys Bürgermeis­ter Rainer Magenreute­r. Die Ärzteschaf­t sei überaltert. „Es gibt viele Ärzte, die über 60 und teilweise über 70 sind. Das war für uns der Anlass, zu reagieren“, beschreibt er die Lage. Magenreute­r sagt, dass es auf einen frei werdenden Praxisplat­z bis vor zehn Jahren noch mehrere Bewerber gegeben habe. Doch das habe sich grundlegen­d gewandelt. Allerdings hat sich die Werbekampa­gne laut Magenreute­r schon bezahlt gemacht: „Einige Interessen­ten haben sich bei uns gemeldet.“

In Baindt will man beim Thema Gesundheit­sversorgun­g weiterdenk­en. Wie berichtet, steht die Entwicklun­g der Ortsmitte im Zusammenha­ng mit dem Fischerare­al an. Auch ein Neubau auf dem Dorfplatz ist vorgesehen. „Das Haus am Dorfplatz könnte man mit nachhaltig­en Gesundheit­sdienstlei­stungen bestücken“, drückt sich Simone Rürup aus. Das Wort Ärztehaus will sie nicht in den Mund nehmen. Aber es sei denkbar, dass sich dort unter anderem Ärzte ansiedeln könnten.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Für Gemeinden wird es immer schwierige­r, einen Hausarzt zu bekommen.
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FOTO: PHILIPP RICHTER Die Ärzteverso­rgung auf dem Land ist ein großes Thema: Bürgermeis­terin Simone Rürup (Zweite von links) mit den Baindter Ärzten: Cord Skamira (links), Kerstin Kempenich und Armin Hartmann.

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