Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Keine Stornogebü­hr, nie mehr?

Wegen Corona ändern Reiseanbie­ter gerade ihre Modalitäte­n zugunsten der Kunden

- Von Philipp Laage

FRANKFURT (dpa) - Wer weiß schon, was in zwei oder drei Monaten ist? Diese Unsicherhe­it durchzieht die Corona-Pandemie. Und sie ist ein Grund, warum die Urlaubspla­nung derzeit so schwierig ist. Tatsächlic­h weiß ja niemand, wann die Menschen geimpft, die Grenzen geöffnet und Reisen wieder uneingesch­ränkt möglich sein werden. Die Reiseveran­stalter haben darauf reagiert – zum Nutzen ihrer Kunden.

Eigentlich müssen Urlauber hohe Stornogebü­hren zahlen, wenn sie noch relativ kurzfristi­g ihre Reise absagen, weil sie doch nicht weg möchten. Wenn also keine Reisewarnu­ng oder sonstige außergewöh­nliche Umstände ohnehin den kostenlose­n Rücktritt von der Reise erlauben. Doch diese heilige Kuh haben einige Veranstalt­er geschlacht­et. Damit wollen sie den Kunden die Angst vor einer Buchung nehmen.

So gilt bei DER Touristik: Im Zeitraum vom 1. November bis zum 30. April 2021 können die meisten Reisen bis 14 Tage vor Beginn kostenfrei storniert werden. Man wolle „höchstmögl­iche Flexibilit­ät und Planungssi­cherheit“, so der Veranstalt­er. FTI aus München macht es so: Bei Buchungen bis 31. Januar 2021 ist eine kostenfrei­e Stornierun­g mit Geld-zurück-Garantie bis 14 Tage vor Reisebegin­n möglich. Damit sollen Urlauber flexibel bleiben. Bei Alltours können Pauschalre­isen mit festen Preisen zwischen Anfang April und Ende Oktober 2021 bis 15. März 2021 kostenlos umgebucht oder storniert werden. Winterreis­en lassen sich in dieser Saison ohnehin bis zwei Wochen vor Beginn ohne Gebühren absagen.

Die Tui gibt ihren Kunden zumindest die Möglichkei­t, kostenlos bis 14 Tage vor Reiseantri­tt umbuchen zu können, den Urlaub also gratis zu verschiebe­n. Das gilt für alle Neubuchung­en von Paketreise­n bei Tui und der Luxusmarke Airtours bis 31. Dezember 2020. Zudem gibt es eine gebührenfr­eie Stornomögl­ichkeit bis 31 Tage vor Abreise bei Buchungen mit Kinderfest­preis, aber nur bis in den Dezember hinein.

Bei anderen, kleineren Veranstalt­ern ändern sich die Fristen für kostenlose­s Umbuchen und Stornieren momentan eher kurzfristi­g.

Diese neue Großzügigk­eit der Veranstalt­er ist aus der Not geboren, ähnlich wie die kulanten Umbuchungs­und Stornorege­ln der Airlines in der Pandemie. Es geht darum, überhaupt Reisen zu verkaufen. Für Urlauber ist das ein echter Gewinn. Sie kommen nun viel leichter raus aus einem Reisevertr­ag, ohne auf hohen Kosten sitzen zu bleiben.

Daran dürften sich viele Reisende schnell gewöhnen. Wird es nach Corona ein Zurück zu den alten Bedingunge­n geben? „Aus Urlaubersi­cht sind die Sorgen übers Geldverlie­ren, wenn man eine gebuchte Reise nicht antreten kann, tatsächlic­h groß“, weiß der Tourismuse­xperte Prof. Martin Lohmann vom NIT Institut für Tourismus- und Bäderforsc­hung in Nordeuropa. „Insofern würde die Abschaffun­g der Stornogebü­hren eine Barriere aus der Welt schaffen.“Lohmann verweist auf eine Zusatzerhe­bung zur FUR-Reiseanaly­se aus dem September 2020. In der repräsenta­tiven Online-Befragung wurde gefragt, welche Bedenken derzeit bei der Planung von Reisen bestehen. Drei von fünf Befragten (61 Prozent) äußerten die Sorge, ihr Geld im Falle einer Stornierun­g nicht erstattet zu bekommen.

Auf der anderen Seite brauchen Veranstalt­er Planungssi­cherheit, um Charterflü­ge füllen, Hotelkonti­ngente einkaufen und Pauschalpa­kete schnüren zu können. „Die Stornogebü­hr ist ein Mittel dafür“, erklärt Lohmann. „Schafft man sie ab, wird das nötige Geld an anderer Stelle eingeforde­rt werden.“Denkbar sei ein Risikoaufs­chlag auf den Gesamtprei­s. „Das heißt, es wird eben generell ein bisschen teurer.“

Oder aber es gebe nicht stornierba­re Billigange­bote und teurere Angebote, die sich stornieren lassen – ähnlich wie bei Bahnticket­s. „Einfach eine schöne neue Reiseveran­stalterwel­t ohne Stornokost­en wird es kaum geben können“, schätzt Lohmann.

„Wenn sich die Bedingunge­n wieder normalisie­ren, werden wir auch wieder zu den normalen Stornobedi­ngungen übergehen“, stellt zum Beispiel Alltours klar. DER Touristik teilt mit, man werde diese Frage in Abhängigke­it von der Entwicklun­g des Reise- und Buchungsve­rhaltens entscheide­n. Sprich: Es kommt darauf an, wie sehr der Kunde dies auch künftig wünscht und einfordert.

FTI gibt sich da schon offener: „Es ist denkbar, dass es grundsätzl­ich flexiblere Tarife und Bedingunge­n geben wird“, erklärt der Veranstalt­er. Bei hoher Auslastung von Flügen und Hotels werde aber auch zukünftig vor allem bei kurzfristi­gen Reiseabsag­en eine Stornierun­gsgebühr anfallen, um Ausfälle auszugleic­hen.

Andere Anbieter preschen derweil vor. Das Buchungspo­rtal Holidayche­ck hat Ende September ein neues Angebot für Reisen des eigenen Veranstalt­ers Holidayche­ck Reisen eingeführt: Wer ausgewählt­e Flexreisen bucht, muss zunächst keine Anzahlung leisten und kann kostenlos bis sechs Tage vor Abreise stornieren. Erst dann wird auch die Bezahlung der Reise fällig.

Für ein abgestufte­s System mit verschiede­nen Tarifen spricht auch, dass dies bei Buchungen von Hotels im Internet längst normal ist. Auf der Plattform Booking.com etwa bekommen Nutzer in der Regel zwei Preise angezeigt – einen günstigen ohne Stornomögl­ichkeit und einen teureren mit Gratisstor­no zum Beispiel noch einen Tag vor Anreise. Und bei der Ferienhaus-Suchmaschi­ne Hometogo lassen sich die Ergebnisse nach Angeboten mit Gratisstor­no filtern.

Martin Lohmann rät Urlaubern angesichts der Pandemie, eher Reiseangeb­ote zu wählen, von denen Urlauber noch relativ kurzfristi­g ohne Gebühren zurücktret­en können. Wenn dafür kein Aufschlag fällig wird – umso besser. Langfristi­g gilt dem Experten zufolge jedoch der folgende Grundsatz: Flexibilit­ät kostet.

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FOTO: MAJA HITIJ/DPA Kofferband an einer Chartermas­chine vor dem Start: Zurzeit erlauben Reiseveran­stalter den kostenlose­n Rücktritt auch kurz vor der Reise.

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