Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das große Schweigen

Mit „Ada“schreibt Christian Berkel seine Familienge­schichte fort

- Von Sibylle Peine

ber die Kernpunkte der Geschichte hat bei uns in der Familie niemand gesprochen. Das war das große Schweigen.“Da unterschie­d sich die Familie von Christian Berkel nicht von der Mehrheit der Deutschen. In der geschäftig­en Wirtschaft­swunderzei­t wurden Krieg und Drittes Reich möglichst unter den Teppich gekehrt. Das ging so lange gut, bis die junge Generation den Finger in die Wunde legte und ihre Eltern nicht mehr davonkomme­n ließ.

Genau dieses große Schweigen hat Berkel (63) zum Thema seines zweiten Romans „Ada“gemacht, in dem er die Geschichte seiner Familie fortschrei­bt. Sein Debütroman „Der Apfelbaum“war 2018 bei Kritik wie Publikum ein Überraschu­ngserfolg, den wohl nur wenige dem beliebten Schauspiel­er („Der Kriminalis­t“) zugetraut hätten. Berkel erzählt darin die bewegende Liebesgesc­hichte seiner Eltern, einer jüdischen Mutter und eines Stabsarzte­s der Wehrmacht, die der Krieg auseinande­rreißt und die am Ende auf wundersame Weise wieder zusammenfi­nden. Erst in ihren letzten Lebensjahr­en, als sie zunehmend dement wurde, hat Berkels Mutter Sala ihre einzigarti­ge Biografie nach und nach in vielen Gesprächen ihrem Sohn enthüllt.

„Ada“ist nun die Fortsetzun­g der Geschichte, erzählt aus Sicht einer fiktiven – älteren Schwester. Kurz nach der Wende blickt Ada in einer Psychoanal­yse auf ihr Leben zurück. Sie wird während des Krieges in Berlin geboren, verbringt dann aber die ersten Lebensjahr­e mit ihrer Mutter in Argentinie­n, während der Vater in den Kriegswirr­en zunächst verschwund­en bleibt. Als sie

Mitte der 50er-Jahre mit der Mutter nach Deutschlan­d zurückkomm­t, ist das Land für sie abweisend und fremd: „In Hamburg, unserer ersten Station, wurden Fragen höflich und kühl beantworte­t, in Berlin, wohin wir weiterreis­ten, gar nicht. In der Straßenbah­n oder im Bus wurde man angeschrie­n, oder schweigend auf ein Schild hingewiese­n, das Gespräche mit dem Fahrer untersagte.“

Die Rolle der Außenstehe­nden verliert sie nie ganz. Ist Otto, Salas Jugendlieb­e, wirklich ihr leiblicher Vater, oder ist es nicht doch der geheimnisv­olle Hannes, den ihre Mutter eines Tages in Paris besucht? Eine Antwort bekommt sie nicht. Bei Familientr­effen merkt Ada schnell, dass die Erwachsene­n, sobald es um die Vergangenh­eit geht, um den heißen Brei herumreden: „Mit den Erinnerung­en ging es ihnen wie Betrunkene­n mit ihren Hausschlüs­seln, entweder sie passten nicht oder sie hatten sie verloren.“

Bald nimmt ein jüngerer Bruder, im Roman Sputnik genannt, in dem man das Alter Ego Christian Berkels sehen kann, die Aufmerksam­keit der Eltern in Anspruch, während Ada aus den beengenden Konvention­en ausbricht. Sie revoltiert gegen das Schweigen, das Verdrängen, das Verharmlos­en. Insofern ist sie ein getreues Spiegelbil­d der 68erGenera­tion. Ada bewegt sich im Berliner Studentenm­ilieu, erlebt hautnah die Anti-Schah-Demonstrat­ionen mit sowie anschließe­nd die Pariser Studentenu­nruhen vom Mai 1968. Am Ende wird sie dann auch noch Augenzeugi­n von Woodstock.

Diese historisch­en Wegmarken sind schon reichlich plakativ gesetzt, als käme Adas Emanzipati­onsgeschic­hte nicht ohne sie aus. Dabei überzeugt ihre Suche nach Identität doch auch so, denn Berkel ist ein guter Erzähler. Vermutlich werden wir bald mehr von ihm lesen. Der gebürtige Berliner, der mit der bekannten Schauspiel­erin Andrea Sawatzki verheirate­t ist, hat angekündig­t, als Schauspiel­er kürzer zu treten und sich verstärkt dem Schreiben zu widmen. „Ada“soll noch nicht das Ende der Familienge­schichte sein. Es wird noch einen dritten Teil geben. (dpa)

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Das Cover des Buches „Ada“.
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FOTO: DPA Christian Berkel

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