Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ohne Zähne, aber mit Biss
Neue Interventionen: Michel Houellebecq räsoniert über Trump, Corona und die Religion
Müssen wir uns Sorgen machen um Michel Houellebecq? Schon bevor sein aktuelles Buch „Ein bisschen schlechter“erschienen war, kolportierte die Presse, Houellebecq halte Donald Trump für einen „der besten Präsidenten, die Amerika je hatte“. Im Buch, das sein drittes und letztes mit Interventionen sein soll, wie er ankündigte, singt er ein Loblied auf den Konservatismus. Und mal ganz ehrlich: Wirklich gesund sieht er auch nicht aus auf den letzten Fotos, die von ihm im Umlauf waren: Wirkt Houellebecq auf ihnen doch geradezu wie seine eigene Großmutter auf Crack.
Stopp! Alles halb so wild, wie sich nach der Lektüre der elf Interviews und Essays herausstellt. An der Politik Donald Trumps, dieses „haarsträubenden Clowns“, lobt Hoeullebecq lediglich, dass der die militärischen Interventionen der USA ausgesetzt, den globalen Handel eingeschränkt und Wladimir Putin nicht als „unwürdigen Gesprächspartner“betrachtet habe. Alles nachvollziehbar. Für den Konservatismus bricht er eine Lanze, weil der ja im Grund in „intellektueller Faulheit“wurzele. „Ich weiß nicht, ob ich konservativ bin, aber ich glaube nicht, dass der Mensch – ebenso wie die anderen Tiere – für das Leben in einer sich ständig verändernden Welt gemacht ist.“Und das Rätsel um sein eingefallenes Gesicht klärt sich auch: Beim Besuch der Berlinale vor ein paar Jahren, habe er seine Zähne auf dem Tisch von Frédéric Beigbeder „liegen lassen“und danach die ganzen Filmfestspiele ohne Gebiss bestritten, weswegen er auf den entstandenen Fotos „verändert“aussehe.
Alles beim Alten also beim französischen enfant terrible des Literaturbetriebes. Ohne Ironie lässt sich diesem Mann nicht beikommen. Das muss jedem klar sein, der seine Bücher in die Hand nimmt. Mag er keine Zähne mehr haben, Biss besitzt er immer noch. Oft entstehen seine Provokation aus einem Impuls heraus, die Freiheit des Individuums zu wahren, auch wenn er an die eigentlich gar nicht glaubt. So ertappe er sich, wie er schreibt, regelmäßig dabei, die ihm unterstellte Islamophobie zu verteidigen „ob ich nun selbst islamophob bin oder nicht. Denn das muss Teil der Meinungen sein, die man äußern darf … Punktum. Man hat das Recht, eine Religion anzugreifen.“Es ist nicht das einzige Mal, dass Houellebecq, der mit seinem Roman „Unterwerfung“2015 mitten ins Kreuzfeuer der Pariser Terroranschläge geriet, sich am Puls der Zeit bewegt. Seine neuen Interventionen treffen mitten hinein in die Debatten der Gegenwart und werfen Fragen auf.
Von der politischen Korrektheit ist da die Rede, die, laut Houellebecq, seit 20 Jahren stetig auf dem Vormarsch sei und bei so manchen jungen Menschen dazu führe, dass der den Quenelle-Gruß mache (die französische Variante des Hitlergrußes). Die „totale Vorherrschaft der Linken über die Intellektuellen“sei vorbei. Stattdessen erkenne er eine „Rückkehr des Religiösen“und findet die gar nicht mal so schlecht. Wenn die Kirche nur endlich aufhören würde, modern sein zu wollen und sich auf die Liturgie besinnen würde. Dass die Pfarrbezirke in den 70er-Jahren in elektronische Synthesizer investiert hätten und in den Chören junge Mädchen auf einmal den Ton angaben, sei ein Fehler gewesen. Denn die Synthesizer kamen aus der Mode und die Mädchen seien gealtert und ihre Stimmen zittrig geworden.
So lustig sich das auch liest, es steckt viel bittere Wahrheit in den Worten von Houellebecq. Hinter der Maske des dekadenten Nihilisten offenbart sich einmal mehr „ein fast schon christlicher, romantischer Moralist“, wie Frédéric Beigbeder ihm attestiert – und das trifft genau den Punkt. In der Tat ist es erstaunlich wie gut Houellebecq seinen Blaise Pascal gelesen hat, sich mit Schopenhauer, Nietzsche und Huysmans auskennt. Als den Autor, der den stärksten literarischen Einfluss auf ihn ausgeübt habe, nennt er Paulus. Und wer die Interventionen liest, glaubt ihm das. Allerhand ist aus dem schlanken Büchlein zu erfahren. Etwa, dass Houellebecq vier Schachteln am Tag raucht, bei „Let It Be“ebenso weint wie bei Schubert, und dass der Corona-Lockdown ihm als Schriftsteller, der er ja eh nicht viele Leute treffe, nicht viel ausgemacht habe. Allerdings fürchtet der Autor, dass die Menschen, die sich ans Homeoffice und die Reduzierung der Sozialkontakte gewohnt hätten, nach der Krise noch einsamer werden als zuvor. Fast prophetisch muten seine Worte an: „Wir werden nach der Ausgangssperre nicht in einer neuen Welt erwachen; es wird dieselbe sein, nur ein bisschen schlechter.“