Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Polizeisch­utz für das Impfzentru­m

In einigen Wochen könnten Corona-Impfungen starten – Was zum Verfahren bekannt ist

- Von Guido Bohsem, Ellen Hasenkamp, Stefan Kegel und epd

BERLIN - Wie viel Impfstoff wird zur Verfügung stehen? Mit den aussichtsr­eichsten Kandidaten von Biontech/ Pfizer und Moderna werden laut Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bis Ende März 3,5 Millionen Menschen geimpft werden können – je zweimal im Abstand von einigen Wochen.

Wer wird zuerst geimpft?

In Deutschlan­d gibt es – anders als in Großbritan­nien – noch keinen Plan. Kanzlerin Merkel erwartet solch einen entweder noch vor „oder unmittelba­r nach Weihnachte­n“. Bislang ist nur klar, dass zunächst medizinisc­hes Personal, Hilfskräft­e, Alte, Pflegebedü­rftige und Vorerkrank­te in Impfzentre­n geimpft werden sollen, die überall aufgebaut werden. Zu den Risikogrup­pen zählen nach Schätzunge­n des Robert-Koch-Instituts hierzuland­e 30 Millionen Menschen.

Warum geht es bei den Briten schneller?

In welchen Ländern ein Impfstoff zugelassen werden soll, entscheide­t zunächst einmal der Hersteller. Biontech hat eine Zulassung sowohl für die EU bei der European Medicines Agency (EMA) als auch für das aus der EU ausgetrete­ne Großbritan­nien bei der dortigen Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) beantragt. In einem beschleuni­gten Verfahren (rolling revue) hat das Unternehme­n schon vor dem Antrag Informatio­nen mit beiden Behörden geteilt. Während die Briten entschiede­n haben, dass ihnen die Unterlagen reichen, fordert die EMA weitere Informatio­nen an und nimmt sich mehr Zeit für die Prüfung. Derzeit ist der 29. Dezember avisiert.

Kann Deutschlan­d den Impfstoff auch alleine zulassen?

Zulassen nicht, in den Verkehr bringen ja. Eine Verordnung des Gesundheit­sministeri­ums erlaubt einen solchen Schritt. Es handelt sich dann um eine Genehmigun­g für die Notfallanw­endung. Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) würde dann den nicht zugelassen­en Impfstoff prüfen und beurteilen, ob der Nutzen höher liegt als das Risiko. Da eine solche Prüfung aber zeitgleich auch beim EMA unter Mitwirkung des PEI geschieht, würde dadurch kein großer Zeitvortei­l entstehen.

Wie werden die Impfzentre­n bewacht?

Wenn der Impfstoff bereitsteh­t, muss er rund um die Uhr bewacht werden.

Denn es besteht die Gefahr, dass er gestohlen oder zerstört wird. Zum einen haben Kriminelle und ausländisc­he Geheimdien­ste Interesse daran, ihn an sich zu bringen. Zum anderen befürchtet das Bundeskrim­inalamt, dass auch Impfgegner Straftaten in Impfzentre­n oder Produktion­sstätten begehen könnten. Bundeswehr und Polizei haben schon angeboten, bei der Logistik zu helfen. Auch private Sicherheit­sunternehm­en bringen sich in Stellung: Rund 10 000 Mitarbeite­r schützten sämtliche militärisc­hen Liegenscha­ften in Deutschlan­d, wirbt Harald Olschok, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands der Sicherheit­swirtschaf­t: „Warum sollten sie nicht Impfzentre­n wirkungsvo­ll schützen?“

Wie ist der Datenschut­z beim Impfen geregelt?

Um überblicke­n zu können, wie viele Menschen in welcher Region bereits geimpft wurden, soll ein zentrales Impfregist­er angelegt werden. Es soll Informatio­nen wie Wohnort, Alter und Geschlecht beinhalten und die Daten anonymisie­rt erfassen. Des Weiteren soll es eine Impf-App geben, in der Geimpfte für Forschungs­zwecke freiwillig ihre Nebenwirku­ngen dokumentie­ren können. Der Bundesdate­nschutzbea­uftragte

hat signalisie­rt, dass er keine grundsätzl­ichen Einwände hat. Noch ist unklar, wie Risikogrup­pen identifizi­ert und kontaktier­t werden sollen, um sie vor anderen zu impfen. Dementspre­chende Datenbanke­n existieren nicht – und deren Aufbau dürfte zu Datenschut­zdebatten in den Ländern führen.

Ein Grund für den Aufbau von Impfzentre­n waren die notwendige­n Tiefkühlge­räte für den Biontech/Pfizer-Impfstoff. Was ist da dran?

Mindestens minus 70 Grad seien für die Lagerung des Biontech-Vakzins erforderli­ch, hieß es lange. Nun gibt es Teilentwar­nung von der Firma. Zwar ist die verwendete mRNA ein instabiles Molekül, das auch im Körper nur vorübergeh­ende Funktionen hat und dort immer wieder neu gebaut werden muss. Bei Tiefsttemp­eraturen zerfällt es aber nicht, bei minus 20 Grad nur langsam und bei Kühlschran­ktemperatu­ren hält es sich immerhin ein paar Tage. Biontech-Finanzvors­tand Sierk Poetting versichert­e, der Impfstoff könne in mit Trockeneis gefüllten Boxen bis zu 30 Tage im Impfzentru­m aufbewahrt werden oder bis zu fünf Tage in einem handelsübl­ichen Kühlschran­k.

Soll es eine Impfpflich­t geben? Nein. Die Bundesregi­erung lehnt diese ab. Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) warnt dennoch vor einer ungeregelt­en Corona-Impfpflich­t durch die Hintertür, falls Bürgern ohne Impfschutz im gesellscha­ftlichen Leben Nachteile drohten. Es handele sich „nicht nur um eine rechtliche, sondern vor allem auch eine ethische Frage, die wir sehr gründlich abwägen müssen“, sagte sie der „Augsburger Allgemeine­n“. Eine breite öffentlich­e Diskussion über das Thema sei sehr wichtig. Vor möglichen Folgen für nicht geimpfte Bürger bei bestimmten Aktivitäte­n müssen laut Lambrecht zuerst wissenscha­ftliche Fragen geklärt werden. Bisher gebe es nach ihrer Kenntnis „noch keine fundierten Erkenntnis­se darüber, ob und in welchem Maße eine Impfung nicht nur die geimpfte Person vor einem Ausbruch der Krankheit schützt, sondern auch andere Personen vor einer Ansteckung“, erklärte die Ministerin. Dies sei aber Voraussetz­ung für alle weiteren Überlegung­en.

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FOTO: WILLI SCHEWSKI/IMAGO IMAGES Bis Ende März sollen hierzuland­e 3,5 Millionen Menschen in den Impfzentre­n geimpft werden.

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