Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Polizeischutz für das Impfzentrum
In einigen Wochen könnten Corona-Impfungen starten – Was zum Verfahren bekannt ist
BERLIN - Wie viel Impfstoff wird zur Verfügung stehen? Mit den aussichtsreichsten Kandidaten von Biontech/ Pfizer und Moderna werden laut Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bis Ende März 3,5 Millionen Menschen geimpft werden können – je zweimal im Abstand von einigen Wochen.
Wer wird zuerst geimpft?
In Deutschland gibt es – anders als in Großbritannien – noch keinen Plan. Kanzlerin Merkel erwartet solch einen entweder noch vor „oder unmittelbar nach Weihnachten“. Bislang ist nur klar, dass zunächst medizinisches Personal, Hilfskräfte, Alte, Pflegebedürftige und Vorerkrankte in Impfzentren geimpft werden sollen, die überall aufgebaut werden. Zu den Risikogruppen zählen nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts hierzulande 30 Millionen Menschen.
Warum geht es bei den Briten schneller?
In welchen Ländern ein Impfstoff zugelassen werden soll, entscheidet zunächst einmal der Hersteller. Biontech hat eine Zulassung sowohl für die EU bei der European Medicines Agency (EMA) als auch für das aus der EU ausgetretene Großbritannien bei der dortigen Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) beantragt. In einem beschleunigten Verfahren (rolling revue) hat das Unternehmen schon vor dem Antrag Informationen mit beiden Behörden geteilt. Während die Briten entschieden haben, dass ihnen die Unterlagen reichen, fordert die EMA weitere Informationen an und nimmt sich mehr Zeit für die Prüfung. Derzeit ist der 29. Dezember avisiert.
Kann Deutschland den Impfstoff auch alleine zulassen?
Zulassen nicht, in den Verkehr bringen ja. Eine Verordnung des Gesundheitsministeriums erlaubt einen solchen Schritt. Es handelt sich dann um eine Genehmigung für die Notfallanwendung. Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) würde dann den nicht zugelassenen Impfstoff prüfen und beurteilen, ob der Nutzen höher liegt als das Risiko. Da eine solche Prüfung aber zeitgleich auch beim EMA unter Mitwirkung des PEI geschieht, würde dadurch kein großer Zeitvorteil entstehen.
Wie werden die Impfzentren bewacht?
Wenn der Impfstoff bereitsteht, muss er rund um die Uhr bewacht werden.
Denn es besteht die Gefahr, dass er gestohlen oder zerstört wird. Zum einen haben Kriminelle und ausländische Geheimdienste Interesse daran, ihn an sich zu bringen. Zum anderen befürchtet das Bundeskriminalamt, dass auch Impfgegner Straftaten in Impfzentren oder Produktionsstätten begehen könnten. Bundeswehr und Polizei haben schon angeboten, bei der Logistik zu helfen. Auch private Sicherheitsunternehmen bringen sich in Stellung: Rund 10 000 Mitarbeiter schützten sämtliche militärischen Liegenschaften in Deutschland, wirbt Harald Olschok, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft: „Warum sollten sie nicht Impfzentren wirkungsvoll schützen?“
Wie ist der Datenschutz beim Impfen geregelt?
Um überblicken zu können, wie viele Menschen in welcher Region bereits geimpft wurden, soll ein zentrales Impfregister angelegt werden. Es soll Informationen wie Wohnort, Alter und Geschlecht beinhalten und die Daten anonymisiert erfassen. Des Weiteren soll es eine Impf-App geben, in der Geimpfte für Forschungszwecke freiwillig ihre Nebenwirkungen dokumentieren können. Der Bundesdatenschutzbeauftragte
hat signalisiert, dass er keine grundsätzlichen Einwände hat. Noch ist unklar, wie Risikogruppen identifiziert und kontaktiert werden sollen, um sie vor anderen zu impfen. Dementsprechende Datenbanken existieren nicht – und deren Aufbau dürfte zu Datenschutzdebatten in den Ländern führen.
Ein Grund für den Aufbau von Impfzentren waren die notwendigen Tiefkühlgeräte für den Biontech/Pfizer-Impfstoff. Was ist da dran?
Mindestens minus 70 Grad seien für die Lagerung des Biontech-Vakzins erforderlich, hieß es lange. Nun gibt es Teilentwarnung von der Firma. Zwar ist die verwendete mRNA ein instabiles Molekül, das auch im Körper nur vorübergehende Funktionen hat und dort immer wieder neu gebaut werden muss. Bei Tiefsttemperaturen zerfällt es aber nicht, bei minus 20 Grad nur langsam und bei Kühlschranktemperaturen hält es sich immerhin ein paar Tage. Biontech-Finanzvorstand Sierk Poetting versicherte, der Impfstoff könne in mit Trockeneis gefüllten Boxen bis zu 30 Tage im Impfzentrum aufbewahrt werden oder bis zu fünf Tage in einem handelsüblichen Kühlschrank.
Soll es eine Impfpflicht geben? Nein. Die Bundesregierung lehnt diese ab. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) warnt dennoch vor einer ungeregelten Corona-Impfpflicht durch die Hintertür, falls Bürgern ohne Impfschutz im gesellschaftlichen Leben Nachteile drohten. Es handele sich „nicht nur um eine rechtliche, sondern vor allem auch eine ethische Frage, die wir sehr gründlich abwägen müssen“, sagte sie der „Augsburger Allgemeinen“. Eine breite öffentliche Diskussion über das Thema sei sehr wichtig. Vor möglichen Folgen für nicht geimpfte Bürger bei bestimmten Aktivitäten müssen laut Lambrecht zuerst wissenschaftliche Fragen geklärt werden. Bisher gebe es nach ihrer Kenntnis „noch keine fundierten Erkenntnisse darüber, ob und in welchem Maße eine Impfung nicht nur die geimpfte Person vor einem Ausbruch der Krankheit schützt, sondern auch andere Personen vor einer Ansteckung“, erklärte die Ministerin. Dies sei aber Voraussetzung für alle weiteren Überlegungen.