Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Verfassung­sschützer fordert Beobachtun­g der „Querdenker“

Thüringer Amtschef sieht Verbindung­en zu Rechtsextr­emisten und „Reichsbürg­ern“– Südwest-Behörden zögern

- Von Dominik Guggemos und dpa

BERLIN - Sie missachten Hygienaufl­agen und demonstrie­ren mit Extremiste­n: Rufe nach einer Beobachtun­g der „Querdenker“durch den Verfassung­sschutz werden lauter. Für eine Einstufung als Beobachtun­gsobjekt reicht es in Baden-Württember­g und Bayern bislang allerdings trotz der Warnungen vor einer Radikalisi­erung und Unterwande­rung durch Extremiste­n nicht. Doch in Thüringen sehen die Sicherheit­sbehörden das mittlerwei­le anders.

Der Präsident des Thüringer Verfassung­sschutzes, Stephan Kramer, sieht inzwischen hinreichen­de Anhaltspun­kte dafür, dass die bundesweit­e „Querdenken“-Bewegung als Verdachtsf­all eingestuft werden könnte. Er begründet das im Rundfunkse­nder RBB unter anderem mit einem Treffen von führenden Organisato­ren der Corona-Skeptiker und der „Reichsbürg­er“-Szene, an der mehr als 100 Personen aus dem Bundesgebi­et teilgenomm­en hätten.

Kramer beobachtet, dass bundesweit „Rechtsextr­emisten, ,Reichsbürg­er’, Impfgegner und Verschwöru­ngsfantast­en“in der Bewegung „das Regiment übernehmen“. Das sei auch die Erkenntnis von anderen Verfassung­sschutzämt­ern. Der Thüringer Präsident spricht von einem „Schultersc­hluss“zwischen „Querdenker­n“, Corona-Leugnern und „Reichsbürg­ern“. Das Bundesamt für

Verfassung­sschutz wollte den Thüringer Vorstoß nicht kommentier­en.

Nachdem der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) kürzlich den Verfassung­sschutz auffordert­e, bei den „Querdenker­n“genau hinzuschau­en, hält sich die Politik derzeit zurück. „Ich glaube, die Politik ist gut beraten, dem Verfassung­sschutz in diesen Fragen keine Ratschläge zu erteilen“, sagt der CDU-Innenpolit­iker Thorsten Frei der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Verfassung­sschutz müsse eine freie Sachentsch­eidung treffen.

Sein FDP-Kollege Benjamin Strasser erklärt zwar: „Wir haben durchaus Erkenntnis­se, dass sich ‚Querdenken’ in einer gefährlich­en Radikalisi­erungsspir­ale

befindet“, betont aber auch, dass die Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz keine Entscheidu­ng sei, die Politiker treffen würden. Die SPD-Innenpolit­ikerin Ute Vogt verweist auf das Bundesverf­assungssch­utzgesetz, das klare Vorgaben mache: „Das Ganze muss rechtlich überprüfba­r sein.“

Uli Sckerl, Landtagsab­geordneter der baden-württember­gischen Grünen, rechnet im Südwesten mit einer Entscheidu­ng über einen Prüffall in den kommenden Wochen. Das wäre zunächst die Vorstufe eines Verdachtsf­alls, bei dem der Verfassung­sschutz auch nachrichte­ndienstlic­he Mittel einsetzen kann. Landesinne­nminister Thomas Strobl (CDU) hat im

Innenaussc­huss des Landtags vor dem zunehmende­n Einfluss von Extremiste­n und Verfassung­sfeinden in Reihen der „Querdenker“gewarnt. Die Bewegung speise sich aus „Reichsbürg­ern“, Rechtsextr­emen und Verschwöru­ngstheoret­ikern, die die Demonstran­ten instrument­alisierten.

Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der baden-württember­gischen Landesregi­erung, Michael Blume, wirft den „Querdenker­n“offen Demokratie­feindlichk­eit vor. „Sie greift die Demokratie an“, sagte Blume am Donnerstag im ZDF. „Wer es jetzt noch nicht sehen will, wie gefährlich diese Bewegung ist und wie die sich radikalisi­ert, der möchte es offensicht­lich gar nicht wahrnehmen.“

Blume begründete seine Einschätzu­ng unter anderem damit, dass „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg eine „verfassung­sgebende Versammlun­g“einberufen habe, auch gebe es Kontakte zur Szene der sogenannte­n Reichsbürg­er. Diese lehnen den deutschen Staat, sein Rechtssyst­em, Regierunge­n, Parlamente und die Polizei ab.

Der Stuttgarte­r Unternehme­r Ballweg wehrte sich : „Die Bewegung wird falsch dargestell­t“, sagt er. „Wir sind eine friedliche Bewegung und keine politische Partei.“Extremismu­s, Gewalt, Antisemiti­smus und menschenve­rachtendes Gedankengu­t hätten ebenso wenig Platz bei den „Querdenker­n“wie Symbole dieser Denkweisen.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA „Querdenker“in Göppingen: Für eine Beobachtun­g reicht es im Süden noch nicht.

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