Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Teurer Klimaschutz
Mit neuem Emissionshandel steigen die Energiekosten – Regierung reicht Erhöhung an Verbraucher weiter
BERLIN - Sechs Milliarden Euro sind eine Hausnummer. Das ist der ungefähre Preis, den die Privathaushalte und Unternehmen demnächst pro Jahr zusätzlich für Klimaschutz bezahlen werden, weil die Preise für Energie steigen. Den Verbrauchern und Betrieben diese Mehrbelastung aufzubrummen, war eine politische Entscheidung von Union und SPD. Andere Modelle, bei denen die Bürger die Mehrkosten zurückerhalten hätten, verwarf die Koalition bei den Verhandlungen über das Klimapaket vor einem Jahr. Vorschläge, besonders Leute mit niedrigen Einkommen zu entlasten, hat die Regierung ebenfalls nicht weiter verfolgt.
Die jährlich gut sechs Milliarden Zusatzausgaben sind eine Folge des neuen Emissionshandels, der zum Jahresbeginn 2021 startet. Christoph Kühleis, kommissarischer Abteilungsleiter beim Umweltbundesamt, und seine Mitarbeiter setzen ihn in die Praxis um. Anfangs „wird jede Tonne Kohlendioxid (CO2) aus Automotoren und Gebäudeheizungen 25 Euro kosten“, erklärte Kühleis. Zu diesem Preis müssen Mineralölkonzerne und andere Energiehändler Verschmutzungszertifikate kaufen, deren Kosten sie an die Kunden weiterreichen. An den Tankstellen macht das knapp sieben Cent pro Liter Benzin, acht Cent bei Diesel. Bei Heizöl und Gas ist es ähnlich. Sinn der Prozedur: Fossile Energie zu verbrauchen soll teurer werden, der Ausstoß klimaschädlichen CO2 damit sinken.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat in seiner Finanzplanung diese Zahlen stehen: 7,4 Milliarden Euro für 2021 und neun Milliarden für 2022. Das sind die Einnahmen aus dem Brennstoffemissionshandelsgesetz. Doch die Summen gehen nicht komplett zu Lasten der Verbraucher. Denn gleichzeitig beschloss die Koalition, die Umlage zur Finanzierung der Ökoenergien zu senken, die die Stromkunden bezahlen. Leute, die längere Wege zur Arbeit zurücklegen müssen, erhalten außerdem eine höhere steuerliche Entfernungspauschale. Und für Leute mit niedrigen Einkommen gibt es eine neue Mobilitätsprämie. Die drei Punkte sollen die Kostensteigerung infolge des Emissionshandels dämpfen.
Konkret dürften die Kosten der Ökostromumlage um eine Milliarde Euro im Jahr 2021 und um 2,4 Milliarden Euro 2022 sinken. Hinzu kommen die Verbesserungen durch Entfernungspauschale und Mobilitätsprämie. Unter dem Strich bleibt damit noch eine Zusatzbelastung von gut sechs Milliarden Euro jährlich. Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigte diese Größenordnung. „Durch den neuen Emissionshandel und die damit verbundenen Entlastungen wird das System insgesamt für die Privathaushalte teurer“, sagte Fabian Hein von der Organisation Agora Energiewende. „Deren Energiekosten steigen in Summe von 2021 an.“
Dass die Steigerung so deutlich ausfällt, hat aber auch mit zwei Entwicklungen
zu tun, die lästigerweise dazwischengekommen sind. Sonst würde die Bilanz des Energiemarktes in diesen Tagen besser ausfallen. Erstens sank auf dem Weltmarkt der Gaspreis, wodurch Strom an der Börse billiger wurde. Damit nahm die Lücke zwischen (niedrigem) Börsenstrompreis und (höheren) Produktionskosten von Ökostrom zu. Diese deckt die Ökostromumlage. Folge: Sie stieg. Ähnlich wirkte die Corona-Krise. Wegen geringerer Nachfrage sank der Börsenstrompreis
weiter, und die Ökoumlage bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung.
Eigentlich hätte die Umlage deshalb nächstes Jahr 9,7 Cent pro Kilowattstunde Strom betragen müssen – gegenüber 6,8 Cent 2020. Diese deutliche Erhöhung wollte die Bundesregierung den Stromkunden aber nicht zumuten. Sie stellte elf Milliarden Euro zur Verfügung, um den Anstieg der Umlage zu neutralisieren. Nun sinkt sie nächstes Jahr immerhin auf 6,5 Cent. Wären Gaspreis und Corona
jedoch nicht dazwischengekommen, hätte die Regierung die Umlage sehr viel weiter drücken und damit auch die zusätzlichen Kosten des Emissionshandels besser ausgleichen können.
Das ist die gesamtgesellschaftliche Betrachtung. Für einzelne Privathaushalte und Firmen mag die Bilanz durchaus besser aussehen. Bestimmte „Bevölkerungsgruppen und auch individuelle Verbraucher können profitieren“, sagte Agora-Mitarbeiter Hein. Einerseits macht sich die höhere Entfernungspauschaule bemerkbar, die die Steuerlast senkt. Andererseits lässt sich der Emissionshandelsaufschlag beispielsweise auf die Benzinkosten vermeiden, indem ein E-Auto erworben wird. Eine weitere Variante: „Fährt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln, kann man die Pendlerpauschale trotzdem in Anspruch nehmen und bekommt mehr raus als man zahlt“, erklärt Hein.
CSU-Energiepolitiker Andreas Lenz erklärt, warum sich die Koalition 2019 dagegen entschied, die Kosten des Emissionshandels eins zu eins zurückzugeben. „Einen Teil der Einnahmen wollten wir in gezielte Maßnahmen zum Klimaschutz investieren. Das passiert auch.“Mit Zuschüssen unterstütze die Regierung beispielsweise den Ersatz alter Ölheizungen in Wohnhäusern durch moderne Anlagen. „Insgesamt geben wir bis 2023 mindestens 54 Milliarden Euro zusätzlich für den Klimaschutz aus“, erläutert Lenz. Auch für soziale Entlastungen stünden auf diese Art Mittel zur Verfügung, etwa in Gestalt des höheren Wohngeldes.
Trotzdem kommt die soziale Komponente zu kurz, bemängeln Kritiker. Leute mit niedrigen Einkommen werden oft draufzahlen, weil sie etwa nicht genug Geld besitzen, den alten Diesel durch ein teures E-Auto zu ersetzen. Grundsätzlich ließe sich die soziale Schieflage mildern oder beseitigen, indem die Einnahmen des Emissionshandels so zurückerstattet werden, dass alle Bürger eine gleiche Summe erhalten. Dann würden wohlhabende Vielverbraucher draufzahlen, während ärmere Wenigverbraucher profitieren.
Ein solches Modell schlug Ottmar Edenhofer vor, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Seine Berechnungen zeigten, dass es möglich ist, Kleinverdiener und Mittelschichtsfamilien zu entlasten, während Wohlhabende unter dem Strich höhere Energiekosten zu tragen hätten. Aber das wollte die große Koalition nicht.