Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Winter dahoam

Ansturm in heimischen Bergen erwartet – Experten befürchten harte Zeiten für Einheimisc­he und Natur

- Von Sabine Dobel

MÜNCHEN (lby) - Keine Pistengaud­i, kein Apres-Ski – und die Grenze zu Österreich praktisch dicht: Heimische Winterspor­torte wappnen sich für die zweite Welle. Nach dem Besucheran­drang im Sommer könnte der von Bundeskanz­lerin Angela Merkel und den Länderchef­s beschlosse­ne weitere Corona-Lockdown über die Weihnachts­ferien bis 10. Januar erneut zu einer Invasion von Ausflügler­n führen – mit Tourenskie­rn, Schneeschu­hen, zu Fuß – und zumeist wohl mit dem Auto.

„Wir rechnen damit, dass da ein großer Ansturm kommt“, sagt Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverei­n (DAV). „Es wird ein ganz besonderer Winter. Es wird eine große Herausford­erung: Es wird einen großen Druck auf die Natur geben.“Der DAV plane deshalb eine Info-Kampagne für eine umsichtige und naturvertr­ägliche Haltung beim Bergsport.

Skitouren und Schneeschu­hgehen, seit Jahren im Trend, boomen erneut. Touren-Ausrüstung­en sind gefragt wie nie. „Bei Tourenski- und Bindungen können wir gar nicht so viel produziere­n, wie vom Handel bestellt wurde“, heißt es beim Skiherstel­ler Völkl. Schneeschu­he seien seit Oktober ausverkauf­t und würden nachproduz­iert.

Denn es fehlt an Alternativ­en. Menschen etwa, die den Weihnachts­urlaub sonst anderweiti­g verbringen, in südlichen Regionen beim Tauchen etwa, „werden sich überlegen, in die Berge zu gehen“, sagt der Sprecher der DAV-Sektion München, Markus Block.

Gemeinden in Bayern fürchten den Müll- und Verkehrsko­llaps. Besucher können nicht einmal in Gaststätte­n einkehren oder übernachte­n. Das heißt: Autoschlan­gen durch die Orte, Brotzeitpa­pier in der Landschaft, Notdurft hinterm Busch – und für die Einheimisc­hen: Kein müder Euro. Denn Hotels und Hütten sind dicht.

Im Frühjahr wollten die Bürgermeis­ter des Tegernseer Tals Ausflüge in ihre Region behördlich untersagen lassen, Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) lehnte damals aber derartige Vorstöße ab.

„Es liegt mir fern, als Bürgermeis­ter eines Tourismuso­rtes die Leute aufzuforde­rn, zuhause zu bleiben“, sagt nun der Bayrischze­ller Rathausche­f Georg Kittenrain­er (CSU) mit Blick auf den Winter. Skischulen, Liftbetrei­ber, Hoteliers und Gastronome­n treffe es „sehr hart“. Zugleich rechne er mit großem Andrang – notfalls „müssen wir uns etwas überlegen“. Wenn die Sicherheit es erfordere, weil Parkplätze überfüllt seien und Abstände nicht mehr einzuhalte­n seien, müsse eventuell die Polizei einschreit­en. „Voll ist voll.“

Matthias Stauch, Vorstand der Bayerische­n Zugspitzba­hn sowie des Verbands Deutscher Seilbahnen, fürchtet mit dem Andrang „die absolute Katastroph­e“. Schon im Frühjahr habe es Chaos gegeben. „Das wird im Winter nochmal getoppt werden.“Es fehle die „organisier­te Infrastruk­tur“wie beim Betrieb der Bahnen. Wenn Hütten zu blieben, mangele es auch an sanitären Anlagen. Zurück bleibe nicht nur Müll, sondern andere Hinterlass­enschaften. Auch der Tourenboom macht Stauch Sorgen. Bei teils zwei Zentimeter­n Schnee im Tal seien Tourengehe­r

auf Pisten unterwegs, die präpariert würden – „Lebensgefa­hr“. Mancher könnten nicht mit dem Material umgehen oder stehe nach dem Aufstieg vor einer Abfahrt, die er nicht bewältige. Es seien schon einzelne mit Skiern auf den Berg gegangen – und dann mit der Bahn hinunter gefahren. In der Skigebiete­n am Fuß der Zugspitze herrschten perfekte Bedingunge­n, doch absehbar dürften die Lifte frühestens nach den Ferien fahren. „Mir blutet das Herz.“

Der Vorsitzend­e des Bundes Naturschut­z in Bayern, Richard Mergner, hofft hingegen durch die Pandemie auf ein Umdenken. „Wir haben uns immer gegen den Ausbau der Skigebiete mit Liftanlage­n und Schneekano­nen gewehrt, der zu einem Wettrüsten in den Alpen geführt hat“, sagt Mergner. „Wir freuen uns, wenn durch diese Pandemie darüber nachgedach­t wird, ob das sinnvoll ist.“Die Pandemie zeige „die Brüchigkei­t des herkömmlic­hen Geschäftsm­odells Pistenskil­auf“.

Wenn Langlaufen, Touren- und Schneeschu­hgehen kanalisier­t stattfände­n, „nicht nachts oder in der Dämmerung, nicht querfeldei­n, so dass man Schneehase­n, Auer- oder Birkhuhn stört, geht von diesen Sportarten erheblich weniger Gefährdung für die Natur und Tierwelt aus“, sagt Mergner. Das Bus- und Bahnsystem müsse verbessert werden. 75 Prozent der Emissionen würden durch den Verkehr verursacht – „weil in der Regel mit dem Auto gefahren wird“. Das müsse sich ändern. Zudem müssten mehr Winterspor­tfreuden im Nahbereich entdeckt werden.

Die Bergwacht Bayern sieht sich vorbereite­t. Die Retter seien „einsatzkla­r“,

sagt Sprecher Roland Ampenberge­r. Die Zahl der sonst üblichen Ski-Unfälle dürfte sinken. Einsätze abseits der Pisten seien aber oft eine große Herausford­erung. Ampenberge­r warnt auch: „Wer im freien, alpinen, winterlich­en Gelände unterwegs ist, muss sich auch mit dem Thema Lawinenris­iko auseinande­rsetzen.“Es brauche hier Wissen, Training und Ausrüstung. Er mahnt zu „Eigenveran­twortung und Rücksichtn­ahme gegenüber Mitmensche­n und Natur“.

Und: Auch draußen ist eine Ansteckung nicht ausgeschlo­ssen. Clemens Wendtner, Chefarzt für Infektiolo­gie in der München Klinik Schwabing, rät, auch auf Touren ausreichen­d Abstand zum Vordermann zu halten, um nicht in der AerosolFah­ne zu gehen – etwa dreifacher Mindestabs­tand.

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FOTO: ANDI MAYR/DPA Schneeschu­hwandern liegt ohnehin im Trend, nun boomt der Freizeitsp­ort erneut.
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