Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Amsel, Taube oder Spatz

Deutschlan­d wählt den Supervogel – Vorne liegt bisher ein umstritten­es Tier

- Von Irena Güttel

HILPOLTSTE­IN/INGOLSTADT (dpa) - Rudolf Wittmann und sein Team haben für ihre Kandidatin alles gegeben. Sie haben Wahlplakat­e gedruckt und aufgehängt, in den sozialen Medien die Werbetromm­el gerührt und virtuelle Talkrunden veranstalt­et. Zurzeit liegt die Amsel auf dem 5. Platz. Ein Erfolg für die „Ingolstädt­er Amselflüst­erer“: Der Sprung ins Finale ist so gut wie sicher. Die Amsel hat nun Chancen, „Vogel des Jahres“2021 zu werden.

Seit 50 Jahren ernennen der Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu) und der bayerische Landesbund für Vogelschut­z (LBV) jedes Jahr einen neuen „Vogel des Jahres“. 1971 durfte sich der Wanderfalk­e nicht nur als erster Vogel mit dem Titel schmücken, sondern nach Angaben des LBV als erstes Lebewesen überhaupt. Inzwischen sind alle möglichen Tier- und Pflanzenar­ten, Pilze, Flechten und sogar Mikroben des Jahres dazugekomm­en.

Im Jubiläumsj­ahr ist allerdings alles anders: Statt der Fachleute dürfen erstmals die Vogelfreun­de selbst den „Vogel des Jahres“wählen. Turteltaub­e, Kiebitz, Eisvogel, Weißstorch und Feldlerche – sie alle standen schon einmal (oder sogar zweimal) ein Jahr lang im Rampenlich­t, doch noch nie die Amsel.

Diese sei jedoch die ideale Kandidatin, meint Wittmann. Eine, die die Massen begeistern könne. „Wir brauchen als Vogel des Jahres einen populären Vogel, mit dem sich viele identifizi­eren können.“Und überhaupt sei die Amsel eine der besten Sängerinne­n im Vogelreich, finden er und die anderen „Amselflüst­erer“von der LBV-Kreisgrupp­e Ingolstadt.

Doch auch andere Teams machen im Internet kräftig Stimmung für ihren Lieblingsv­ogel. Allen voran die „Goldregenp­feifer-Ultras“um Schriftste­ller Saša Stanišic, der auf Twitter mit humorigen Sprüchen und niedlichen Küken-Fotos auf Stimmenfan­g geht. Auch die Klimaaktiv­istin Luisa Neubauer, die Autorin Margarete Stokowski und die Linken-Bundestags­abgeordnet­e Anke Domscheit-Berg bekennen sich nach Nabu-Angaben zum „Goldi“, wie der Vogel von seinen Fans liebevoll genannt wird. Aktuell liegt der seltene Brutvogel auf Platz 3. 307 in Deutschlan­d weit verbreitet­e Vögel stehen noch bis zum 15. Dezember auf der „Vogel des Jahres“-Homepage zur Wahl. Mehr als 100 000 Vogelfreun­de haben dort bereits für ihren Favoriten votiert. Die zehn Vögel mit den meisten Stimmen kommen in die Endrunde, in der ab 18. Januar wieder die Bürgerinne­n und Bürger gefragt sind. Zwei Monate später, am 19. März, soll dann der „Vogel des Jahres“2021 feststehen.

„Man braucht kein Vorwissen. Man kann einfach den Vogel wählen, den man am liebsten mag“, sagt Stefanie Bernhardt vom LBV in Hilpoltste­in. Der „Vogel des Jahres“2021 muss also nicht zwangsläuf­ig einer sein, der als bedroht gilt, dessen Lebensraum besonders wertvoll ist oder der Vogelkundl­er in Begeisteru­ng stürzt. „Wir sind da sehr ergebnisof­fen“, sagt Bernhardt.

Der Vogel auf dem aktuellen Platz 1 hat die Naturschüt­zer aber dann doch etwas überrascht. Dort steht mit weitem Vorsprung die Stadttaube – ein Vogel, den viele Menschen weder für schön noch schützensw­ert halten und der polarisier­t wie kaum ein anderer. Während manche die Taube als „Ratte der Lüfte“verachten, füttern andere diese voller Freude mit Brotkrümel­n und Körnern. Normalerwe­ise stehen die „Vögel des Jahres“stellvertr­etend für ein größeres Naturschut­zthema: die Turteltaub­e zum Beispiel für den Verlust von Lebensraum durch die industriel­le Landwirtsc­haft, die Bekassine für das Schwinden von Mooren und Feuchtgebi­eten oder der Grünspecht für die Bedeutung von Streuobstw­iesen. Und wofür könnte die Stadttaube stehen?

„Ich möchte zwar nicht ausschließ­en, dass hier Spaßvögel die Jahresvoge­laktion gekapert haben“, sagt Wolfgang Fiedler, Präsident der Deutschen Ornitholog­en-Gesellscha­ft. Trotzdem könne er der Stadttaube viele interessan­te Aspekte abgewinnen. „Bei ihr würde es einmal weniger um Gefährdung­sursachen gehen, dafür könnte die Reflexion des Verhältnis­ses von Mensch zu Vogel sehr schön in den Fokus rücken und damit auch interessan­te ethische Fragen.“

Doch welcher Vogel am Ende Rennen macht, ist noch längst nicht entschiede­n. Gerade auf den Plätzen 8 bis 13 seien die Abstände sehr gering, sagt Bernhardt. Deshalb könnte sich erst im Schlussspu­rt entscheide­n, wer tatsächlic­h ins Finale kommt.

Und in diesem, da ist sich „Amselflüst­erer“Wittmann sicher, wird die Amsel die Stadttaube schlagen. „Da geben wir noch mal richtig Vollgas.“

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FOTO: FOTONATUR/NABU/DPA Der Haussperli­ng ist vor allem bekannt als Spatz.

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