Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Gerade in dieser Zeit brauchen wir Kunst“

KUB-Leiter Thomas D. Trummer spricht über das Programm und was ihn beunruhigt

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BREGENZ - Österreich ist noch bis zum 6. Dezember im Lockdown. Nächste Woche dürfen, anders als in Deutschlan­d, sogar die Museen wieder öffnen – und damit auch das Kunsthaus Bregenz. Jetzt wurde das Programm für die neue Ausstellun­gssaison bekannt gegeben. Direktor Thomas D. Trummer erzählt im Telefonges­präch mit Antje Merke von schrägen und sinnlichen Installati­onen, von Herausford­erungen und Wünschen an die Politik.

Herr Trummer, die neue Saison im Kunsthaus Bregenz startet mit einem Überraschu­ngscoup. Was erwartet das Publikum?

Wir freuen uns auf die Ausstellun­g des Wiener Künstlerpa­ars Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl. Sie öffnet in wenigen Tagen. Es wird eine schrille, bunte, queere Ausstellun­g. Es geht um Design, das Ich, die Mode und die Krise. Im Erdgeschos­s gibt es einen Nachbau von Caspar David Friedrichs „Eismeer“, im Stockwerk darüber eine Art Hexensabba­t mit einer fliegenden Hexe. Mehr möchte ich nicht verraten.

Ihr Programm für 2021 ist in Zeiten der Pandemie sehr ambitionie­rt – zumal Österreich bereits im zweiten Lockdown ist. Haben Sie wirklich damit gerechnet, dass das Haus Mitte Dezember mit diesem Duo wieder öffnen kann?

Ja. Es war abzusehen, dass die Geschäfte in den nächsten Tagen öffnen und die Museen ebenfalls. Außerdem war schon nach dem ersten Lockdown eine andere, neue Sensibilit­ät für die Kunst zu beobachten. Menschen sind auf der Suche nach Sinn. Gerade in dieser prekären Zeit brauchen wir die Kunst.

Hut ab für Ihren Optimismus! In Deutschlan­d bleiben die Museen vorerst weiter zu. Und wenn Sie bald wieder schließen müssen? Dann sperren wir zum nächstmögl­ichen Zeitpunkt wieder auf. Es war bedauerlic­h, dass die Ausstellun­g von Peter Fischli früher schließen musste, aber seine Werke waren immerhin zwei Monate lang zu sehen. Insgesamt war das Ausstellun­gsjahr 2020 für das Kunsthaus Bregenz ein erfolgreic­hes Jahr. Wenn man alle Schließtag­e abzieht, dann kommen wir trotz all der Einschränk­ungen auf die gleichen Besucherza­hlen wie in den vergangene­n Jahren. Das ist sehr beachtlich. Bei vielen Museen waren die Zahlen rückläufig.

Was würden Sie sich von der Politik wünschen?

Ich verstehe, dass Maßnahmen zur Bewältigun­g gesetzt werden müssen. Die Kulturinst­itutionen müssen hier Solidaritä­t zeigen. Allerdings: Wenn der Handel öffnet, sollten auch die Museen öffnen dürfen. Zumal wir reichlich Platz, viel Raumvolume­n und eine außerorden­tlich gute Klimaanlag­e haben. Das Kunsthaus Bregenz ist einer der sichersten Orte in Zeiten von Corona. Dass Kunstfreun­de aus Deutschlan­d vorerst bis 10. Januar nicht zu uns kommen können, ist natürlich schade.

Wie geht es aus Ihrer Sicht den Künstlern derzeit?

Wir erleben, dass sich die Welt rapide wandelt. Unser Verhalten im öffentlich­en Raum, am Arbeitspla­tz, im privaten Umfeld und sogar zu uns selbst ändert sich. Es geht um ernste, existenzie­lle Fragen. Künstlerin­nen und Künstler registrier­en das. Deswegen glaube ich, kann diese Krise, trotz aller Gefahren, eine wertvolle und produktive Zeit sein.

Zurück zum Programm. Die Ausstellun­gen im Kunsthaus haben oft einen hohen Erlebnisch­arakter. Was ist aus Ihrer Sicht das Highlight im nächsten Jahr? Besonders freue ich mich auf den letzten Termin mit Otobong Nkanga, einer Nigerianer­in, die in Belgien lebt. Da geht es um Ressourcen und Warenverke­hr zwischen der südlichen und der nördlichen Hemisphäre. Nkanga arbeitet an riesigen Wandteppic­hen, die derzeit gewebt werden. Sie werden im Kunsthaus von Peter Zumthor sicherlich famos zur Geltung kommen. Für mich unvergessl­ich ist eine Arbeit von ihr, die ich in den Arabischen Emiraten gesehen habe: Da war ein kleiner Innenhof eines alten Gebäudes, in der Mitte des Hains stand eine vertrockne­te Palme. An den Wänden hingen monochrome Bilder in Rot- und Orangetöne­n. In den Sand waren Teiche eingelasse­n, die mit braunem, öligem Salzwasser gefüllt waren. Auf ihrer Oberfläche spiegelte sich die Umgebung. Da waren so viele Dinge, die verzaubert­en: das Licht, der Himmel, die Farben, die Materie, die Düfte.

Die Sommerscha­u mit dem gebürtigen Albaner Anri Sala wird auf eine andere Art sinnlich. Ursprüngli­ch für 2020 vorgesehen, wurde sie um ein Jahr verschoben. Im Programmhe­ft ist von einem bildhaft-akustische­n Raumerlebn­is die Rede. Wie darf man sich das vorstellen?

Für Sala ist die Musik der Protagonis­t. In seinen Filmen wird die Musik zum Darsteller. Als er Frankreich auf der Biennale in Venedig vertrat, beschäftig­te er sich mit einem Klavierstü­ck von Maurice Ravel. Die Bravour wird ins Visuelle übersetzt. In einem neuen, merkwürdig­en Video ist zu sehen, wie eine Schnecke einen Violabogen emporkriec­ht, während eine Elegie von Igor Strawinsky gespielt wird. Die Schnecke bestimmt das Tempo, der Bratschist verlangsam­t und beschleuni­gt sein Spiel abgestimmt auf die Bewegung des Tieres. Im Kunsthaus wird dies auf einer riesigen Leinwand zu sehen sein. Das wird sehr atmosphäri­sch, thematisch natürlich zu den Bregenzer Festspiele­n passend, mit denen wir in Kooperatio­n die Auftragsop­er „Wind“im Sommer realisiere­n.

Leihgaben aus dem Ausland sind doch im Moment oft schwer zu bekommen.

Leihgaben sind für uns weniger ein Problem, weil wir fast alles neu entwickeln lassen. Was uns jedoch betrifft, ist die eingeschrä­nkte Mobilität der Künstlerin­nen und Künstler.

Dass sie während der Planungs- und Aufbauphas­e mehrmals nach Bregenz kommen, ist für uns wichtig, nur so entstehen die Lebendigke­it und die Beziehung zum Ort, Team und Publikum. Wenn das Reisen so eingeschrä­nkt bleibt, dann ist unser Konzept gefährdet.

2015 haben Sie die Leitung in Bregenz übernommen und als erstes beschlosse­n, dass es nur noch OneArtist-Shows gibt. Künftig soll es im Untergesch­oss teilweise wieder eine zusätzlich­e Ausstellun­g geben. Warum dieser Sinneswand­el? Das ist kein Sinneswand­el. Die Künstler bekommen nach wie vor das ganze Haus. Die Präsentati­onen im Keller sind eher wie visuelle Fußnoten. Per Zufall bin ich auf das Werk dieses wunderbare­n Marcel Bascoulard gestoßen. Sein erstaunlic­hes, kaum bekanntes OEuvre passt perfekt zu Knebl/Scheirl, das konnte ich mir nicht entgehen lassen.

Weshalb?

Bascoulard, ein Franzose, hat sich ab den 1940er-Jahren in Frauenklei­dern fotografie­rt. Diese Aufnahmen im Miniformat sind aber keine spielerisc­he Maskerade wie bei dem Wiener Künstlerpa­ar, sondern traurig, beängstige­nd, ernst. Wer genau hinsieht, erkennt ihn mit einem Beil in der Hand. Angeblich hat der Fotokünstl­er beobachtet, wie seine Mutter seinen Vater umbringt. Auch er selbst wurde Opfer eines Mordanschl­ags.

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FOTO: SHARJAH KUNSTSTIFT­UNG Diese Arbeit von Otobong Nkanga (mit Emeka Ogboh) hat KUB-Direktor Thomas D. Trummer so verzaubert, dass er die Künstlerin nach Bregenz eingeladen hat, um dort eine Ausstellun­g zu gestaltete­n.
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Thomas D. Trummer

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